Berlin SPD will Union bei Integration antreiben

Berlin · Gleich vier Bundesministerinnen und eine wahlkämpfende Ministerpräsidentin haben einen "Integrationsplan" vorgelegt. Damit wollen sie nun den Ton in der Flüchtlingsdebatte angeben. Kosten: fünf Milliarden Euro. Pro Jahr.

Es war schon eine etwas skurrile Veranstaltung, ungewöhnlich allemal: Umringt von vier Bundesministerinnen, alle von der SPD, durfte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (auch SPD) gestern ihre Flüchtlings- und Integrationspolitik der Hauptstadtpresse vorstellen. Alle paar Sätze gab es zustimmendes Nicken ihrer Parteifreundinnen, und dann stellten alle zusammen einen umfangreichen Zwölf-Punkte-Plan für die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen vor. "Neustart in Deutschland. Für ein Jahrzehnt umfassender Gesellschaftspolitik" lautet der Titel des Papiers etwas kryptisch. Mit Investitionen von Bund und Ländern will die SPD demnach Bildung, Arbeit und Wohnungsbau massiv vorantreiben. Kostenpunkt: rund fünf Milliarden Euro zusätzlich - pro Jahr.

Viele der Vorschläge sind indes nicht neu, die Dreyer gemeinsam mit Familienministerin Manuela Schwesig, Integrationsstaatsministerin Aydan Özoguz, Arbeitsministerin Andrea Nahles und Bauministerin Barbara Hendricks präsentierte. So solle das Kooperationsverbot fallen, das dem Bund bisher nicht erlaubt, direkt in Kitas und Schulen Geld zu pumpen (die Union hält daran fest). Und auch der Plan aus Hendricks' Ressort, 350.000 neue Wohnungen pro Jahr zu errichten, ist bekannt. Allerdings sollen zudem 80.000 neue Kitaplätze mit 20.000 weiteren Stellen für Erzieher und 100.000 neue Arbeitsmöglichkeiten für Geringqualifizierte entstehen.

Das komme auch Flüchtlingen zugute, sagten Schwesig und Nahles. Zumal die Chefin des Arbeitsressorts betonte, ein wesentlicher Punkt des neuen Integrationsplans sei es, dass künftig Flüchtlinge schon Arbeit aufnehmen sollten, während sie noch einen Sprachkurs besuchen. Und damit Männer wie Frauen daran teilnehmen können, müsse die Ganztagesbetreuung für Flüchtlingskinder wieder gewährleistet werden, sagte Dreyer. Fehler aus der Vergangenheit, etwa im Umgang mit Gastarbeitern und deren Familien, dürften bei der Integration der derzeit ankommenden Flüchtlinge jedenfalls nicht wiederholt werden, sagten alle fünf SPD-Politikerinnen übereinstimmend.

Doch was war nun der Sinn und was war der Zweck ihres Auftritts? War das Wahlkampf für die daheim unter Druck stehende Ministerpräsidentin Dreyer (Nahles: "Ich habe ja das Glück, in diesem Land zu leben")? War es ein Gegenentwurf zum just zur gleichen Zeit stattfindenden "Flüchtlingsgipfel" von Dreyers Herausforderin Julia Klöckner, der Chefin der rheinland-pfälzischen CDU (sie führt derzeit die Umfragen mit rund 40 zu 30 Prozent gegen Dreyer an)? Oder war es eine Positionierung starker SPD-Frauen vor dem in einer Woche startenden Bundesparteitag in Berlin, bei dem die Partei nicht weniger vorhat, als eine Strategie für den Weg aus dem Dauerumfragetief zu finden und das Vorstandspersonal in seinen Ämtern zu bestätigen?

Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Mitte, es war von allem etwas. Vor allem jedoch will die SPD mit dem teuren, aber an vielen Stellen erstmals ausformulierten und aufeinander abgestimmten Maßnahmenpaket der Union beim Thema Integration endlich voraus sein. Der Fachbereich ist ein ureigener der Sozialdemokraten - peinlich, wenn die Konservativen ihnen da die Butter vom Brot nähmen.

Schließlich musste die SPD schon in der von der Union befeuerten Debatte um Transitzonen hinterherlaufen, bremsen, blocken und am Ende doch einem gemeinsamen Entwurf zustimmen, wenn auch unter dem Titel "Willkommenszentren". Ähnlich lief es bei beschlossenen Verschärfungen des Asylrechts wie einer ersten Einschränkung des Familiennachzugs und auch bei Themen abseits der Flüchtlingspolitik, etwa der hart erkämpften Zustimmung der SPD zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung.

Und so betonte Fraktionschef Thomas Oppermann gestern, dieser neue Integrations-Plan werde künftig bei allen Gesprächen mit der Union über die Flüchtlingspolitik auf den Tisch kommen. Man werde sich jetzt "voll darauf konzentrieren" und nicht kleckern, sondern klotzen. Will heißen: Die SPD gibt nun den Ton an, wenn es um Eingliederungsmaßnahmen von Flüchtlingen geht. Aber ob da die Union mitspielt? Wohl kaum. Am Rande der Fraktionssitzung wollte Kanzleramtschef Peter Altmaier das Papier nicht kommentieren. Eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union sagte aber, sie habe sich von dem Konzept der SPD mehr erwartet. "Bei so geballter Fachkompetenz hätte ich auf mehr Kreativität gewettet", spottete sie.

(jd)
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