Wien Kanzler Kurz und sein umstrittenes Kabinett

Wien · Österreichs neue Regierung wurde gestern in der Hofburg vereidigt. 6000 Menschen demonstrierten gegen die rechte Koalition.

 Alexander Van der Bellen (r.) überreicht Sebastian Kurz die Ernennungsurkunde.

Alexander Van der Bellen (r.) überreicht Sebastian Kurz die Ernennungsurkunde.

Foto: afp, HKT

Diesmal legte die schwarz-blaue Regierungsmannschaft bei Tageslicht die kurze Distanz zwischen dem Kanzleramt und der Hofburg, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, zurück. An der Spitze: der neue Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. "Mit erhobenem Haupt" werde man zur Vereidigung marschieren, betonte der zu theatralischen Gesten neigende Strache in Anspielung auf das Jahr 2000.

Damals musste das erste schwarz-blaue Regierungsteam unter Kanzler Wolfgang Schüssel aus Sicherheitsgründen den unterirdischen Gang zur Hofburg nehmen, weil 150.000 wütende Demonstranten das Regierungsviertel im Zentrum Wiens besetzten. Gestern zählte die Wiener Polizei nur 6000 meist linksgerichtete Demonstranten gegen die neue Rechtsregierung. Die Nazi-Rufe und andere Freundlichkeiten blieben für Kurz und seine Mannschaft durch weiträumige Absperrungen außer Hörweite.

Auch bei der Vereidigungszeremonie in der Hofburg, die traditionell im Schlafzimmer Maria Theresias stattfindet, herrschte eine andere Atmosphäre als vor 17 Jahren. Damals musste Bundespräsident Thomas Klestil mit sauertöpfischer Miene die Schüssel/Haider-Regierung vereidigen, die er gern verhindert hätte. Der seit einem Jahr amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen nahm es geradezu locker, wiewohl auch er als Ex-Grüner kein Freund der Kurz/Strache-Koalition ist.

Doch wer genau hinhörte, vernahm eine Standpauke für Kurz und Strache. Anfangs lobte Van der Bellen die Zusammenarbeit und das Gesprächsklima im Laufe der Koalitionsverhandlungen als "konstruktiv, kooperativ und lösungsorientiert", sagte aber auch offenherzig, dass er für die politischen Proteste "Verständnis" habe. Danach mahnte der Bundespräsident erneut das Bekenntnis zu Europa sowie zu Grund- und Menschenrechten an, um schließlich die neue Regierung ins Gebet zu nehmen: "Sie tragen nun die wesentliche Verantwortung dafür, dass unsere Heimat Österreich eine positive Entwicklung nimmt." Danach sprachen der Kanzler und die 16 Minister die Vereidigungsformel: "Ich gelobe."

Die erste Auslandsreise führt Kurz heute nach Brüssel. Eine demonstrative Geste, die offenbar angesichts des EU-feindlichen Regierungspartners FPÖ beruhigen und das Europa-Bekenntnis der neuen Regierung bestätigen soll. Diplomatische Sanktionen, wie noch vor 17 Jahren gegen die Schüssel-Regierung wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ, hat Kurz nicht zu befürchten. Doch wird Brüssel die neue Wiener Regierung genau beobachten. Vor allem macht sich die EU-Kommission Sorgen um die künftige Haltung Österreichs zur gemeinsamen Sicherheitspolitik. Denn die FPÖ besetzt gleich drei der wichtigsten Ministerien: Außen, Innen und Verteidigung. In Deutschland würde dies bedeuten, dass diplomatischer Dienst, Polizei und Militär samt Geheimdiensten unter Kontrolle der AfD stünden.

Kurz will EU-Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker und Ratspräsident Donald Tusk mit vorbeugenden Entscheidungen von seinem Europakurs überzeugen: Er hat die EU-Agenden aus dem FPÖ-geführten Außenministerium ins Kanzleramt verschoben und ein Referendum über einen Austritt aus der EU zum Tabu erklärt. Strache hatte sich noch vor einem Jahr nach dem Brexit für einen "Öxit" starkgemacht. Doch just vor dem Brüssel-Besuch des jungen Kanzlers kam Störfeuer von der FPÖ: Harald Vilimsky, Straches Mann im Europaparlament, lehnte gestern erneut den Austritt der FPÖ aus der rechtsradikalen Anti-EU-Fraktion ENF um die französische Rechtspopulistin Le Pen ab. Nicht gerade ein europapolitisches Signal.

(RP)
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