Im Alter von 85 Jahren: Filmemacher Michael Verhoeven gestorben
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Wien Österreich im Kaiserfieber

Wien · Vor 100 Jahren starb Franz Joseph. Ganz ohne Kitsch geht die Erinnerung nicht ab - dabei sehen Historiker den Herrscher heute kritisch.

Die Österreicher können ihren Kaiser Franz Joseph nicht vergessen. Wie auch, wenn ihre Hauptstadt in imperialem Glanz strahlt wie nicht einmal zu Zeiten der Monarchie? Wien ähnelt heute einem architektonischen Freilichtmuseum, mitunter hart an der Grenze zum Habsburger-Disneyland. "Der ewige Kaiser" lautet nicht zufällig der Titel der umfassenden Jubiläumsausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek über Leben und Wirken Franz Josephs I., der von 1848 bis 1916 herrschte.

Sein Todestag jährt sich 2016 zum 100. Mal - zwar erst am 21. November, doch liegt Österreich das ganze Jahr im Kaiserfieber. In Schönbrunn, der Sommerresidenz der Habsburger, wird der "Mensch und Herrscher" präsentiert; hier wurde Franz Joseph 1830 geboren, hier starb er auch. In der Schönbrunner Wagenburg ist der kaiserliche Fuhrpark zu sehen, vom schlichten Einspänner über barocke Prunkkarossen bis zum ersten "Hofautomobil". Das Hofmobiliendepot gewährt Einblicke in "Fest und Alltag" der Herrscherfamilie. Und Schloss Niederweiden im niederösterreichischen Marchfeld präsentiert Franz Josephs Leidenschaft für die Jagd - sein einziges Vergnügen.

Auch die Zeitungen widmen dem Anlass aufwendig gestaltete Sonderausgaben. Bisher ist das Gedenkjahr nicht in die übliche Verherrlichung der Monarchie abgeglitten. Doch ganz ohne Kitsch geht's auch nicht: So wurde Franz Josephs Wachsfigur aus dem Wiener Kabinett von Madame Tussaud's in einem historischen Tramwagen nach Schloss Schönbrunn kutschiert. Scharen von Touristen balgten sich um ein Selfie mit dem wächsernen Kaiser.

Auch Bad Ischl, des Kaisers Sommerfrische im Salzkammergut, widmet seinem berühmtesten Kurgast eine Ausstellung. Das alljährliche "Majestätische Geburtstagsfest" im August wird diesmal noch pompöser ausfallen als sonst. Die aufmarschierenden Traditionsverbände und Regimenterdefilees lassen vor allem Besucher aus dem Ausland immer wieder rätseln, ob in Österreich die Monarchie wiederauferstanden sei. "Die Ischler haben manchmal schon genug vom Kaiserrummel", räumt auch der sozialdemokratische Bürgermeister Hannes Heide ein, muss aber zugeben, dass sein 14.000-Seelen-Städtchen recht gut davon lebt.

Die Ischler Kaiservilla, wo Franz Joseph 63 Sommer seiner 68 Regentenjahre verbrachte, ist heute ein Museum. Hausherr ist Erzherzog Markus Salvator Habsburg-Lothringen. Der 70-jährige Urenkel des alten Kaisers sieht dem Trubel "eher mit gemischten Gefühlen" zu. Im spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer unterzeichnete sein Urgroßvater am 28. Juli 1914, einen Monat nach dem Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo, die Kriegserklärung an Serbien. Eher unauffällig liegt auf dem Schreibtisch eine Kopie jenes historischen Dokuments, das den Ersten Weltkrieg in Gang setzte.

Zur Legendenbildung trugen vor allem die schwierige Ehe mit der bayerischen Prinzessin Elisabeth ("Sisi"), die Seitensprünge des Kaisers und die vielen Schicksalsschläge bei. Als da wären: der Tod des ersten Kindes; der melancholische Kronprinz Rudolf, der als Mörder und Selbstmörder endete; die Erschießung des Bruders Maximilian, des Kaisers von Mexiko. Der härteste Schlag war für ihn die Ermordung der Kaiserin durch einen italienischen Anarchisten in Genf 1898.

Heute sehen Österreichs Historiker sehen den Kaiser deutlich kritischer als früher. Ein Beispiel dafür liefert das Historikerehepaar Michaela und Karl Vocelka, das eine vielbeachtete neue Biografie über Franz Joseph I. verfasste, die sich wohltuend vom nostalgischen und mythenbeladenen Duktus früherer Werke unterscheidet.

Im Blickpunkt stehen jetzt eher die politischen Verwerfungen im Vielvölkerreich und die verhängnisvolle Politik Franz Josephs. Heute wird seine politische Mitverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht mehr kleingeredet. Auch die Behauptung, er habe das Reich zusammengehalten, ist eine Mär: Der alte Kaiser hatte keine Strategie für die Zukunft, verteidigte verbissen das überholte System des Gottesgnadentums und unterschätzte die politische Sprengkraft der Nationalitätenkonflikte. Nur zwei Jahre nach seinem Tod endeten mit dem Krieg auch 640 Jahre Habsburger-Herrschaft.

Dennoch wird Franz Joseph bis heute verehrt. Auch wenn die Zeit der gnadenlosen Verkitschung der Monarchie vorbei ist, die in den 50er Jahren mit den süßen "Sissi"-Filmen einsetzte ("Sisi" ist die richtige Schreibweise): "Beide sind Teil der österreichischen Identität geworden", sagt Historiker Vocelka. Er erklärt sich dieses Phänomen mit der langen Regentschaft Franz Josephs, die er bereits als 18-Jähriger angetreten hatte: "Generationen kannten keinen anderen Kaiser."

(RP)
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