Landtagswahl in Rheinland-Pfalz "Last Minute Swing" - Dreyer hauchdünn vor Klöckner

Berlin · Das Phänomen des "Last Minute Swing" könnte der SPD in Rheinland-Pfalz zum Machterhalt verhelfen. Experten warnen vor Risiken.

 Malu Dreyer (rechts im Bild) liegt hauchdünn vor Julia Klöckner.

Malu Dreyer (rechts im Bild) liegt hauchdünn vor Julia Klöckner.

Foto: dpa, fve rho

Vor elf Jahren gab es ihn schon mal, den "Last Minute Swing", den Meinungsumschwung in letzter Minute. Im Bundestagswahlkampf 2005 profitierte die FDP von diesem unkalkulierbaren Phänomen, das Wahlkämpfer erhoffen oder fürchten.

Zulasten der Union gewannen die Liberalen damals kurz vor der Wahl noch einige Stimmen dazu und landeten am Schluss bei knapp zehn Prozent - eine Woche vor Öffnung der Wahllokale hatten Umfragen sechs Prozent vorausgesagt. Gereicht hat es für die FDP trotzdem nicht: Kanzler Gerhard Schröder (SPD) machte zähneknirschend den Weg frei für die erste große Koalition unter Angela Merkel (CDU) mit den Sozialdemokraten als Juniorpartner.

Bei den Landtagswahlen am Sonntag könnte nun die SPD in Rheinland-Pfalz die große Gewinnerin eines solchen Umschwungs sein. Monatelang hatte die Partei von Herausforderin Julia Klöckner (CDU)in den Vorhersagen der Demoskopen vor der amtierenden Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gelegen.

Überraschende Trendwende

Die Forschungsgruppe Wahlen sagte der CDU noch im November einen Vorsprung von mehr als zehn Prozentpunkten (41 zu 30 Prozent) voraus. Doch jetzt die überraschende Trendwende: Malu Dreyer hat in der aktuellen Prognose desselben Instituts einen hauchdünnen Vorsprung von einem Prozentpunkt vor Klöckner. Zwar ist das im Bereich der statistischen Erhebungen und Ungenauigkeiten eher als Gleichstand zu werten. Trotzdem ist eingetreten, was sich die SPD-Strategen immer erhofft hatten.

Schließlich wissen Wahlkampfveteranen um die Vorzüge eines wenn auch nur augenscheinlichen "Last Minute Swing", vor allem um dessen psychologische Wirkung auf Wechselwähler. Denn ein allgemein zu beobachtendes Phänomen ist, dass immer mehr Wähler immer länger unentschlossen sind. Experten zufolge ist das in Rheinland-Pfalz derzeit noch etwa ein Drittel aller rund drei Millionen Wahlberechtigten - im Verhältnis eine enorme Größe, deren Entscheidung schwer vorherzusehen ist. "Da die Wähler heute nicht mehr so fest an eine Partei gebunden sind, können sie leichter die Partei wechseln", sagte Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, unserer Redaktion. Für das Wahlergebnis sei aber dann der letzte Wechsel entscheidend. "Niemand hat etwas davon, wenn er sechs Wochen vor der Wahl jemanden überzeugt hat, und danach ändert sich das wieder durch neue Einflüsse", so Jung.

Und so könnte durch einen Meinungsumschwung in letzter Minute diejenige Partei, die kurz vor Toresschluss noch einmal Oberwasser gewinnt, Bewegungen von vier, fünf und mehr Prozentpunkten für sich verbuchen. Auf dieses Szenario konzentrieren sich jetzt alle Hoffnungen der Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz, um den schlimmsten anzunehmenden Fall noch abzuwenden: Nach 25 Jahren droht der SPD im Land ihres als legendär glorifizierten Ex-Ministerpräsidenten Kurt Beck (regierte durchgehend von 1994 bis 2013) der erniedrigende Machtverlust. Der Berliner Politologe Oskar Niedermayer gießt der SPD aber Wasser in den Wein: "Ein ,Last Minute Swing' ist ein zweischneidiges Schwert." Einerseits könnten sich SPD-Anhänger in Rheinland-Pfalz nun ermutigt fühlen, die Trendwende wirke mobilisierend. "Andererseits mobilisiert ein solcher Umschwung auch im gegnerischen Lager", so Niedermayer. Das könne mehr Wähler zu einem Kreuzchen bei der CDU bewegen. Ein anderer Effekt: Die Wahlbeteiligung könnte steigen, sagt der Wissenschaftler. Aber warum konnte Dreyer zuletzt so stark aufholen? Niedermayer führt das auf ihren Amtsbonus als Ministerpräsidentin und ihren erfolgreichen Wahlkampf zurück, der das Vertrauen in die Landesmutter nicht erschütterte. Julia Klöckner hingegen habe zuletzt viel Vertrauen beim Wähler eingebüßt, weil sie mit Baden-Württembergs CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf ein Papier gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin veröffentlichte. "Das sollte man in der Endphase keinesfalls tun, weil man damit nur für Verunsicherung sorgt", sagte Niedermayer. Gleichzeitig ist er sicher: "Hätte Dreyer am TV-Duell mit der AfD teilgenommen, hätte sie noch mehr Prozentpunkte zulegen können."

Die Art der Botschaften und die Personen sind also entscheidend. Und so erinnert die Trendwende in Rheinland-Pfalz auch an vergangene Tage der FDP in Nordrhein-Westfalen. Im März 2012 waren die Werte der Liberalen bei nur zwei Prozent eingefroren. Dann kam Christian Lindner mit einer zündenden Kampagne - und vervierfachte den Wert. Parteistrategen rechnen inzwischen den "Last Minute Swing" bewusst in ihre Wahlkampfplanungen mit ein. Unkalkulierbar und damit riskant bleibt das Unterfangen trotzdem.

(RP)
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