Berlin Katerstimmung in Berlin nach US-Wahlausgang

Berlin · Der Sieg des Außenseiters Donald Trump bei den US-Wahlen hat auch die deutschen Eliten kalt erwischt. Zu gerne schenkten sie den veröffentlichten Umfragen Glauben, wonach Hillary Clinton das Rennen machen werde. Reaktionen von Ministern, die von "Schock" und "bitterer Warnung" sprachen, bringt die Stimmungslage zum Ausdruck.

In Berlin herrscht Katerstimmung und zugleich ist Nachdenklichkeit eingekehrt. Auch wenn der politische Graben in Deutschland zwischen Establishment und jenen, die dem feindlich gesonnen gegenüberstehen, längst nicht so groß ist wie in den USA, stellen sich die Polit-Strategen die Frage: Wie kann man solche Irrtürmer wie die des US-Establishments in Deutschland verhindern? Und was genau ist zu tun, um den Bedürfnissen jener, die sich abgehängt fühlen, entgegenzukommen? Welche Bedürfnisse haben sie überhaupt.

Es setzt Selbstkritik ein. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte in der "Bild" als Ursache des zunehmenden Populismus, "dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild" abgeben würden. Zudem seien Entscheidungsprozesse häufig kaum noch nachvollziehbar. Schäuble forderte: "Jeder muss bereit sein dazuzulernen." Wenn man für die Perspektive des anderen und fürs Umdenken offen sei, dann habe es der demagogische Populismus schwer. "Wir müssen mehr auf unsere Worte aufpassen, um der Hetze keinen Vorschub zu leisten", sagt ein anderes Regierungsmitglied.

Als zweite Frage treibt die Verantwortlichen in Berlin um, wie es zu einer solchen Fehleinschätzung der Stimmung der amerikanischen Wähler kommen konnte. Wo liegt die Ursache des großen Irrtums? Der Chef des Umfrageinstituts Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, hat eine Erklärung: "Es gab in Amerika kein Versagen der Demoskopen", sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Umfrageergebnisse seien vielmehr von den Medien und den strategischen Beratern der Demokraten falsch interpretiert worden. "Die Demoskopen haben mehr als 100 der Wahlmänner im Kopf-an-Kopf-Rennen gesehen."

Jung räumt zugleich ein, dass sich bei der Bewertung populistischer Strömungen in deren Anfangsphase die Schwierigkeit stelle, diese genau einzuschätzen. "Dieses Problem hatten wir im März bei den Landtagswahlen. Die Ergebnisse der AfD lagen höher als angenommen", sagte Jung. Mittlerweile habe man die Differenz in die Prognosen einbezogen. "Dadurch waren die Vorhersagen für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern genauer." Die Dunkelziffer an Wählern bei der AfD und bei der NPD seien gleich hoch, "was nichts über die Parteien aussagt, aber zeigt, dass deren Wähler eine ähnliche gleiche Distanz zum politischen System haben."

Offen bleibt die Frage, ob und wie sich der Ausgang der US-Wahlen auf die politischen Gewichte in Deutschland auswirkt. Die AfD hofft auf Wind unter den Flügeln. Es könnte aber auch den umgekehrten Effekt geben, dass angesichts der Verunsicherung die Regierung wieder mehr Zustimmung findet. "In Krisenzeiten versammeln sich die Wähler eher hinter ihren Repräsentanten", sagte Jung. Die Verunsicherung durch den Wahlausgang in den USA könne für die deutsche Regierung aber allenfalls für einen kurzen Zeitraum ein paar Prozentpunkte mehr Zuspruch bringen.

(qua)
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