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Brüssel Europas Scheidungsanwalt

Brüssel · Didier Seeuws führt die Trennungsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien. Keine leichte Aufgabe für den Belgier, denn der EU-Vertrag regelt nicht einmal im Ansatz, wie der Brexit auszusehen hat.

Bei aller Brexit-Unsicherheit steht zumindest schon einmal eine Personalie fest: Ein Scheidungsanwalt, der die Interessen der EU vertreten wird, ist benannt. Der Belgier Didier Seeuws soll aufseiten der EU die Trennungsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich führen. Der 51-jährige Karrierediplomat wurde am Wochenende zum Chef der Brexit-Arbeitsgruppe berufen. Die belgische Zeitung "Le Soir" schreibt dem dunkelhaarigen Flamen, der mühelos zwischen Niederländisch und Französisch wechselt, die Attribute "leutselig" und "brillant" zu. Seeuws, der wie viele Belgier in seiner Freizeit gern in die Pedale tritt, hat Jura studiert und ist mit 26 Jahren in den diplomatischen Dienst eingetreten. Er hat im Ausland, etwa in den USA, gearbeitet und hatte Positionen als Pressesprecher inne - im Außenministerium und für den belgischen Premier Guy Verhofstadt. Er leitete von 2012 bis 2014 das Büro seines Landsmannes Herman Van Rompuy, dem ersten Ratspräsidenten der EU. Seeuws hat sein Büro derzeit im Ministerrat, der die nationalen Regierungen auf EU-Ebene in Brüssel repräsentiert. Der Ministerrat hat seinen Sitz im Lipsius-Gebäude gegenüber der EU-Kommission. Dort finden auch die EU-Gipfel statt.

Seit Ende 2014 ist Seeuws dort Direktor der Abteilung für Verkehr, Telekommunikation und Energie. Von ihm wird jetzt Pionierarbeit verlangt: Artikel 50 des EU-Vertrags regelt nicht einmal im Ansatz, wie die Scheidungsverhandlungen ablaufen sollen. Klar ist nur, dass sie zunächst einmal auf zwei Jahre angesetzt sind. Als sicher gilt auch, dass Untergruppen für die Verhandlungen gebildet werden. Noch hat der Belgier Zeit, um sich vorzubereiten. Solange die britische Regierung nicht förmlich den Austritt erklärt, wird es keine Verhandlungen geben. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat für seine Kommissare und EU-Beamten eine "ordre de mufti", wie er es selbst nennt, ausgegeben - eine Anordnung von höchster Stelle. Im jetzigen Stadium dürfe es zu keinerlei Kontakt kommen.

Mit dem Brief aus London wird aber frühestens gerechnet, wenn der britische Premier David Cameron auch faktisch zurücktritt und die Regierungsgeschäfte an seinen noch zu bestimmenden Nachfolger übergibt. Vor Herbst wird dies aber nicht geschehen. Selbst informelle Gespräche sind bis dahin tabu. Mit der Devise will die EU den Druck auf Großbritannien erhöhen und "Rosinenpickerei" bei den Trennungsverhandlungen verhindern. Alles soll im Paket besprochen werden.

Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass es eine gewisse Rangelei zwischen den EU-Institutionen um die Kompetenzen bei den Scheidungsverhandlungen gibt. Offensichtlich gibt es Verwunderung in der Kommission über die Benennung von Seeuws. Damit sei EU-Ratspräsident Donald Tusk gegenüber der EU-Kommission vorgeprescht, hört man. In Brüssel heißt es: Tusk beanspruche so für sich und den Ministerrat eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen mit London. Ein Sprecher der Kommission erklärte hingegen, es sei zentrale Aufgabe der Kommission, die Gespräche mit London zu führen. Wie man hört, kam die Sache auch bei der Sitzung der Kommissare am Montag zur Sprache. Jean-Claude Juncker ist dort dem Vernehmen nach aufgefordert worden, für die Kommission das Verhandlungsmandat zu beanspruchen. Der Sachverstand der EU-Beamten werde dringend für die Abwicklung der Beziehungen benötigt. Insbesondere die Finanzgeflechte seien so komplex, dass damit der Ministerrat überfordert sei. Auch im Forschungssektor werde mit komplizierten Verhandlungen gerechnet.

Einen offenen Streit erwartet aber niemand. Vermutlich wird es auf eine Arbeitsteilung hinauslaufen. Dabei könnte der Ministerrat eher für die politischen Fragen der Scheidungsverhandlungen zuständig werden. Und die Kommission würde den technischen Sachverstand beisteuern. Wenn es so käme, würde Seeuws in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rücken. Von seinem Werdegang her wäre diese Rolle auf ihn zugeschnitten: Diplomatisches Auftreten und ein geschliffenes Wort sind dabei von Vorteil.

(RP)
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