Berlin Die Union macht Pause von der Flüchtlingskrise

Berlin · 20, 30, 40 Wortmeldungen zu einer jeweils immens quälenden Debatte über die prekären Auswirkungen der Flüchtlingskrise in den einzelnen Wahlkreisen - so sahen die Sitzungen der Unionsfraktion in den vergangenen Monaten aus. Der Unmut war so gewachsen, dass kaum Zeit für die vielen anderen anstehenden Sachthemen blieb. Doch mit den stark gesunkenen Flüchtlingszahlen und dem offenbar greifenden EU-Türkei-Abkommen geht die Union nun wieder zur normalen Tagesordnung über.

Die Kanzlerin habe gestern schon zu Beginn der Sitzung "deutlich erleichtert" gewirkt, berichteten Teilnehmer. Das hing offenbar auch mit der Verständigung zwischen CDU und CSU in der sechsstündigen Aussprache vom Sonntagabend im Kanzleramt zusammen. Zuvor sei der Bruch zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik in jeder Fraktionssitzung deutlich geworden, aber auch die Auseinandersetzung zwischen Merkel-Kritikern und Merkel-Anhängern innerhalb der CDU, hieß es.

"Viel zu viele" Wortbeiträge habe die Fraktionsführung zugelassen, kritisierten einzelne Abgeordnete, die sich in diesem Punkt "mehr Führungsstärke" wünschten. Allerdings hätten die mitunter drei oder vier Stunden dauernden Aussprachen allein über die Berichte von Fraktionschef und Kanzlerin dazu beigetragen, dass sich beide Seiten ernst genommen fühlten und eine weitere Eskalation unterblieb, berichteten andere Abgeordnete. Im Herbst hatte eine Gruppe mit einem Antrag gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gedroht - diesen dann in einen von 44 Abgeordneten unterzeichneten Brief an Merkel umgewandelt.

Demgegenüber erlebten die Unionsabgeordneten gestern Nachmittag eine atmosphärisch und thematisch völlig veränderte Fraktionssitzung. Die Kanzlerin sprach nicht von Flüchtlingen, sondern von ihrer innen- und europapolitischen Agenda bis zum Rest der Wahlperiode. Alles Wichtige, das noch bis zur Bundestagswahl Gesetz werden solle, müsse das Kabinett bis zum Sommer auf den Weg gebracht haben. Auch Fraktionschef Volker Kauder sprach nicht von Flüchtlingen, sondern von den Panama-Papieren und dem "neuen Schub", den die Enthüllungen über die Briefkastenfirmen Finanzminister Wolfgang Schäubles Politik der Austrocknung von Steuerhinterziehung durch Transparenz gegeben hätten.

Dann die Nachfragen der Abgeordneten. Nicht Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge, sondern Renten, Mindestlohn und Böhmermann. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, sieht darin auch eine Möglichkeit, den Trend in den Umfragen umzudrehen. "AfD mit Flüchtlingskrise ist zweistellig, AfD ohne Flüchtlingskrise ist 2,5 Prozent", lautete seine auf den Punkt gebrachte Chancen-Analyse.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort