Merkel relativiert Ziele für den Gipfel "EU-Staaten würden sich ziemlich lächerlich machen"

Berlin · An diesem Mittwoch gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel ab. Schon zuvor dämpfte sie die Erwartungen an das Treffen. Es gehe nicht um die "Vereinbarung von Kontingenten".

 Kanzlerin Angela Merkel gibt vor dem EU-Gipfel eine Regierungserklärung ab.

Kanzlerin Angela Merkel gibt vor dem EU-Gipfel eine Regierungserklärung ab.

Foto: ap

Bei dem zweitägigen Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs steht ab Donnerstag die Flüchtlingskrise im Mittelpunkt. Merkel setzt sich für ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten ein, stößt damit aber auf Widerstand. Nachdem Frankreichs Premie Manuel Valls am Wochenende erklärt hatte, Frankreich werde keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen, gilt Merkel gar als isoliert in Europa.

Der Gipfel gilt als schicksalhaft für die Zukunft der EU, geht es doch auch um von Großbritannien geforderte Reformen, mit denen ein Ausscheiden des Landes aus der EU verhindert werden soll.

Schon am Dienstag gab Merkel ihren Kampf für eine permanente Aufteilung von Flüchtlingen in der EU vorerst auf. Beim Gipfel ab Donnerstag gehe es "nicht um die Vereinbarung von Kontingenten", sagte sie am Dienstag. Statt dessen soll eine "Koalition der Willigen" der Türkei Syrien-Flüchtlinge abnehmen, um die ungesteuerte Zuwanderung zu beenden. Österreich kündigte im Alleingang eine massive Verschärfung seiner Grenzkontrollen an.

Die bisherige Bilanz ist kümmerlich

Kontingente seien "wahrlich nicht die jetzt sehr breit diskutierte Frage", sagte Merkel in Berlin. Die EU-Länder würden sich "ziemlich lächerlich" machen, wenn sie neue Zahlen zur Flüchtlingsaufnahme beschließen würden, während bisherige Vereinbarungen bei weitem nicht umgesetzt seien: ein halbes Jahr nach dem Beschluss, 160.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland umzuverteilen, sind bisher keine 500 in anderen Ländern aufgenommen worden.

Zum hartnäckigen Widerstand vieler osteuropäischer Länder war am Wochenende auch die Absage aus Paris gekommen: Er sei gegen den Verteilungsmechanismus, hatte Premierminister Manuel Valls klargemacht. Frankreich wolle die zugesagten 30.000 der 160.000 Flüchtlinge aufnehmen, "aber nicht mehr."

Statt eines dauerhaften Verteilungsmechanismus anhand von Quoten soll "ein freiwilliges humanitäres Aufnahmeprogramm" für syrische Flüchtlinge aus der Türkei kommen, ließ EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Dienstag ankündigen. Darüber soll allerdings nicht auf dem Gipfel selbst, sondern auf einem "Mini-Gipfel" der sogenannten Koalition der Willigen beraten werden, wie eine Kommissionssprecherin mitteilte.

Ziel seien "legale Wege" nach Europa und eine Teilung der Verantwortung mit der Türkei, die selbst über zwei Millionen Syrien-Flüchtlinge aufgenommen hat. Diplomaten zufolge sollen elf EU-Länder sowie der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu, Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an dem "Mini-Gipfel" teilnehmen.

Durch die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge aus der Türkei soll Ankara dazu gebracht werden, die unkontrollierte Einwanderung zu stoppen, insbesondere durch eine Bekämpfung der Schleuserkriminalität. Allerdings macht sich inzwischen auch bei der Kanzlerin Skepsis breit. "Lohnt es sich, diesen Weg weiterzugehen?", fragte sie am Dienstag. Oder müsse Europa "jetzt schon aufgeben und stattdessen die griechisch-mazedonisch-bulgarische Grenze schließen?" Sie wolle jedenfalls in Brüssel den europäisch-türkischen Ansatz verteidigen.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) kündigte derweil eine Ausweitung der Grenzkontrollen an. An den Grenzübergängen - darunter drei an der italienischen Grenze - würden nun ähnliche Maßnahmen wie in Spielfeld ergriffen, wo schon im Dezember ein Zaun hochgezogen worden war. Die "massive Verstärkung" der Grenzkontrollen sei "keine leichte Aufgabe, aber eine notwendige", sagte Kanzler Werner Faymann (SPÖ).

Faymann kündigte überdies an, dass die Regierung ab Mittwoch tägliche Quoten festlegen werde, also eine Obergrenze für Flüchtlinge, die ins Land gelassen werden. Seine Regierung hatte im Januar eine Jahresobergrenze von 37.500 festgelegt, nachdem vergangenes Jahr 90.000 Neuankömmlinge registriert worden waren.

Griechenland meldete derweil einen Erfolg beim Versuch, des Flüchtlingsandrangs auf den Ägäis-Inseln Herr zu werden: Vier von fünf geplanten Registrierungszentren seien inzwischen "bereit, Flüchtlinge zu empfangen", sagte Verteidigungsminister Panos Kammenos. Weil Athen mit der Erfassung und Betreuung der Flüchtlinge monatelang überfordert war, steht die Regierung seitens der EU-Partner unter massivem Druck.

(pst/AFP)
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