Pro und Contra Darf das Rentenniveau sinken?

Die Rentenpolitik wird das Wahlkampf-Thema. Die SPD stellt die Schröder'sche Sozialreform infrage, nach der das Rentenniveau sinken wird. Die Union springt bereits auf den Zug auf.

Sigmar Gabriel hat den Bundestagswahlkampf eröffnet: Das Rentenniveau darf nicht weiter sinken, sondern muss auf dem jetzigen Niveau stabilisiert werden, fordert der SPD-Chef. CSU-Chef Horst Seehofer steigt mit ähnlichen Parolen in den Wettbewerb der Sozialpolitiker ein.

Das Kalkül der beiden ist klar: Sie zielen auf die Stimmen der Rentner, die bereits ein Drittel der Wahlberechtigten ausmachen. Dabei geht es bei der Frage des sinkenden Rentenniveaus gar nicht um diese Menschen. Niemand, der heute im wohlverdienten Ruhestand ist, muss fürchten, dass er ohne Reform von Gabriels Gnaden ärmer wird.

Die Rentenreform, die die Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) vor 15 Jahren auf den Weg brachte, bedeutet für niemanden eine Kürzung der monatlichen Rente. Sinken soll das Rentenniveau. Das ist das Verhältnis der Rente eines Neu(!)rentners, der 45 Jahre lang gearbeitet und durchschnittlich verdient hat, zum Durchschnittseinkommen eines Erwerbstätigen im selben Jahr. (Und das nach Abzug der Sozialabgaben, aber vor Abzug der Steuern.)

Im Jahr 2000 hatte das Rentenniveau bei 53 Prozent gelegen, inzwischen ist es auf 47,8 Prozent gesunken. Die Schröder'sche Reform sieht vor, dass es bis 2030 auf 43 Prozent fallen darf, ohne dass der Staat einschreiten muss. Gabriel und Seehofer wollen nun, dass der Staat schon vorher interveniert.

Dabei war Schröders Reform keine Maßnahme von Politikern im Jugendwahn, die willkürlich Senioren ärgern wollten, sondern war - und ist - zwingende Logik einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft.

In den 1960er Jahren lebten Männer nach Rentenbeginn im Schnitt zehn Jahre, heute sind es 17 Jahre. Das ist schön, doch einer muss es auch bezahlen. In einem Rentensystem, das auf dem Umlageverfahren beruht, schultern Arbeitnehmer und Arbeitgeber diese Ausgaben.

Deutschland altert nicht nur, sondern schrumpft auch noch: Schuld daran ist die Babyboomer-Generation (also meine), die viel zu wenig Kinder und damit künftige Beitragszahler in die Welt gesetzt hat. In den 50er Jahren kamen auf einen Rentner fünf Beitragszahler. Heute sind es nur noch 2,8. Künftig stehen einem Rentner nur noch 1,5 Zahler gegenüber.

Würde man Gabriel und Co. folgen und das Rentenniveau einfrieren, würde man die Beitragszahler von 2050 maßlos belasten. Der Rentenbeitrag, der heute 18,7 Prozent beträgt, müsste auf über 25 Prozent steigen. Wer soll das tragen? Zumal die demografische Entwicklung auch die Krankenkassen-Beiträge treibt. Welches Unternehmen wird bei solchen Sozialabgaben noch Arbeitsplätze in Deutschland halten, geschweige denn schaffen?

Das Rentenniveau muss nicht nur wie geplant sinken, sondern sogar stärker. Zugleich muss die Politik sehen, wie sie die Menschen zu besserer Altersvorsorge bewegt. Die Riester-Rente muss nicht abgeschafft, sondern grundsaniert werden, damit die Bürger statt der Banken und Versicherungen daran verdienen. Auch lässt sich die Zahl der Schultern vergrößern, die das Rentensystem tragen: durch mehr Frauenerwerbstätigkeit, durch ein Zuwanderungskonzpt, durch die Rente mit 70. Das wären große Aufgaben für eine große Koalition. Wer dagegen neue Rentengeschenke verteilt, verspielt die Zukunft seiner Kinder und Enkel.

Antje Höning

Ich hatte als Beschäftigter mit 37 Jahren und fünf Monaten Berufstätigkeit und ich habe auch jetzt als journalistisch teilaktiver Ruheständler ein Faible für Ludwig Erhards unvergessene Parole "Wohlstand für alle". Sie ist die auf Slogan-Kürze verknappte Essenz von sozialer Marktwirtschaft. Die von Männern wie dem Wirtschaftswissenschaftler Walter Eucken erdachte und von dem großen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard praktizierte soziale Marktwirtschaft gilt als die entscheidende politische, ökonomische und gesellschaftliche Erfolgsformel der Bundesrepublik Deutschland seit den frühen 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Machen wir es kurz: Sollte es den puren Marktwirtschaftlern, die das Beiwort "sozial" wenn überhaupt, dann nur ganz klein schreiben und für politischen Klimbim halten, gelingen, das für zu viele Menschen schon jetzt schäbig niedrige staatliche Altersruhegeld noch mehr zu senken - wäre Erhards und Euckens Jahrhundertidee einer sozialen Marktwirtschaft mausetot.

Die Beerdigungskosten trügen nicht allein die insgesamt 20 Millionen Rentner, es trügen sie fast alle Schichten der Bevölkerung, denn: Ein Deutschland ohne die soziale Marktwirtschaft wäre vielleicht für ganz wenige Landsleute ein kapitalistisches Eldorado; aber für das Gros der Jungen und Alten, der Alleinerziehenden und der Familien mit Kindern wäre es doch eine sehr ungemütliche Kältekammer.

Kein Älterer, der verantwortungsbewusst an seine Kinder und Enkelkinder denkt und seine fünf Sinne beisammen hat, möchte dem Typ des Rentner-Spießers auf dem Egotrip gleichen, der sich alle Sorgen um sich, aber keinerlei Sorgen um das Wohl der nachwachsenden, arbeitenden Generation macht. Aber müssen sich die Ruheständler mit einer deutschen Durchschnittsrente von nicht einmal 1500 Euro monatlich wirklich für ihren in aller Regel nicht üppigen Lebensstandard entschuldigen? Dieser Lebensstandard ist übrigens kein staatliches Geschenk, sondern er wurde in Jahrzehnten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erarbeitet.

So manchem Ruheständler mag aus medizinisch-orthopädischen Gründen mit fortschreitendem Alter der aufrechte Gang schwerfallen. Politisch und gesellschaftlich sollten sich die Alten diese Körperhaltung aber von niemandem aufzwingen lassen. Die meisten Älteren sind nicht vom Stamme Nimm.

Johann Nestroys melancholischer Satz, wonach die edelste Nation die Resignation sei, ist in der Rentenpolitik der völlig falsche Ratgeber. Wenn es um "Wohlstand für alle" geht, sollten Jung und Alt, sollte die starke, erfindungsreiche deutsche Nation nicht resignieren.

Und noch etwas sei denjenigen zugerufen, die das große Thema einer gerechten, finanzierbaren Altersrente am liebsten aus dem Bundestagswahlkampf verbannen möchten, auch weil sie befürchten, eine allzu spendable Politik werde ab 2017 auf die wahlberechtigten Rentnerscharen wie aus Helikoptern Geld herabregnen lassen. Auch da muss man als Demokrat Contra geben, weil es politisch absurd und wenig demokratisch wäre, etwas, was direkt oder zeitverzögert beinahe alle Bürgerinnen und Bürger angeht, künstlich beschweigen zu wollen. In die Wahlkämpfe gehört alles, was für die Res Publica von Belang ist.

Reinhold Michels

(anh)
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