Warum doch wieder alle zuschauen Im Dschungel der Schadenfreude

Düsseldorf · Am Freitag startet eines der wichtigsten Fernseh-Ereignisse des Jahres: "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!". Zunächst als niveauloses Ekelfernsehen abgestempelt, ist es heute ein anerkanntes, quotenstarkes TV-Experiment, das auf einem wohligen Gefühl der Zuschauer basiert: Überlegenheit.

Das sind die Favoriten für die Dschungelkrone 2012
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Das sind die Favoriten für die Dschungelkrone 2012

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Am Freitag startet eines der wichtigsten Fernseh-Ereignisse des Jahres: "Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!". Zunächst als niveauloses Ekelfernsehen abgestempelt, ist es heute ein anerkanntes, quotenstarkes TV-Experiment, das auf einem wohligen Gefühl der Zuschauer basiert: Überlegenheit.

Der Countdown läuft. Seit Wochen fiebert die Fernsehnation einer Show entgegen, die 14 Tage lang in vielen Büros, Kneipen und Freundeskreisen Thema Nummer eins sein wird: das Dschungelcamp. In diesen 14 Tagen, das lehrt vor allem die vergangene Staffel vor einem Jahr, stehen bis zu zehn Millionen Zuschauer im Bann eines versprengten Haufens ehemaliger Halb-Prominenter, die sich bewusst erniedrigen, um endlich wieder im Gespräch zu sein.

Schon das Rätseln um die Kandidaten kann es an nationaler Relevanz fast mit der Suche nach Gottschalks Nachfolger bei "Wetten, dass..?" aufnehmen. Ist Lothar Matthäus, der sich schon außerhalb des Dschungels für ein bisschen Sendezeit zum Deppen macht, endlich so weit, den letzten, konsequenten Schritt zu tun und ins Dschungelcamp zu gehen? Was macht Daniela Katzenberger im Januar? Jedes Gerücht um eine angebliche Zusage eines Kandidaten wird als Breaking News in die Welt getragen und heiß diskutiert.

Zumindest als Z-Promi gelten

Die möglichen Dschungel-Bewohner müssen nur eine bestimmte Voraussetzung erfüllen: Sie müssen, um zumindest als Z-Promi zu gelten, schon mal irgendwann im Fernsehen aufgetaucht sein, und sie müssen in irgendeiner Form lächerlich sein. Da sich seriöse Stars nicht auf diese Fleischbeschau einlassen, weil sie auch ohne Dschungel in der Öffentlichkeit präsent sind, braucht sich RTL nicht zu sorgen, die geeigneten Kandidaten für eine amtliche Freakshow zusammenzubekommen.

"Das Gefühl, gesehen zu werden, ist für Promis wichtiger als die Frage, ob man sie bewundert oder belächelt"

Dieses Jahr sind es: Ex-Stallone-Gattin Brigitte Nielsen, Ex-Tic-Tac-Toe-Sängerin Jazzy, Ex-Momo Radost Bokel, Ex-Germany's-Next-Topmodel-Teilnehmerin Micaela Schäfer, Ex-Moderatorin Ramona Leiß, Ex-DSDS-Kandidat Daniel Lopes, Ex-Star Search-Sieger Martin Kesici, Ex-Next-Uri-Geller-Gewinner Vincent Raven, Ex-Fußballprofi Ailton, Uwe Ochsenknechts verstoßener Sohn Rocco Stark und als Ersatz Ex-DSDS-Kandidatin Kim Gloss.

Von mindestens der Hälfte der Dschungelbewohner werden die meisten Zuschauer noch nichts gehört haben, aber das ist auch nicht weiter wichtig. An Jay Khan oder Sarah Knappik konnten sich vor ihrer Teilnahme am Dschungelcamp auch nur eingefleischte Castingshow-Fans erinnern, und doch waren sie dank ihrer Selbstüberschätzung und Profilneurose die Helden der vergangenen Staffel.

So banal wie nachvollziehbar

Die Gründe, warum sich diese Menschen zwei Wochen lang zum Gespött einer ganzen Nation machen, sind so banal wie nachvollziehbar: Geld und die Hoffnung, durch die explosionsartig angestiegene Bekanntheit doch wieder irgendwo in der großen Unterhaltungsmaschinerie unterzukommen.

Und sei es, um in den zahllosen Panelshows der RTL-Senderfamlie Kommentare zu Charts oder Fernsehpannen abgeben zu dürfen. "Das Gefühl, gesehen zu werden, ist für Promis wichtiger als die Frage, ob man sie bewundert oder belächelt", sagt Reinhold Görling, Leiter des Instituts für Medien- und Kulturwissenschaft an der Universität Düsseldorf im Gespräch mit unserer Redaktion.

Jeden Abend eine Dosis Selbstbestätigung

Ehemalige Teilnehmer und Dschungelkönige geben durchaus Anlass zur Hoffnung. Costa Cordalis, Sieger der ersten Staffel im Jahr 2004, ließ kürzlich verlauten, er habe bis heute dank seines Popularitätsschubs rund 500.000 Euro verdient. Ross Anthony, Dschungelkönig von 2008, moderiert Primetime-Shows bei RTL 2. Andere wie Schauspielerin Katy Karrenbauer haben einfach die Gage von rund 50.000 Euro genutzt, um dem Gerichtsvollzieher zu entgehen. Und Ex-Nationaltorwart Eike Immel konnte seine Privatinsolvenz zumindest hinauszögern, wenn auch nicht verhindern.

Es sind also mehr oder weniger gebrochene Existenzen, die für zwei Wochen in den australischen Dschungel ziehen, und da fängt der Spaß für die Zuschauer schon an. "Der Reiz besteht für das Publikum darin, gemütlich im Sessel zu sitzen und so aus sicherer Distanz zuzusehen, wie andere eklige Sachen essen oder durch undefinierbaren Matsch robben. Das genießt es richtig", sagt der Psychologe Michael Thiel.

Chips knabbern statt Kängurupenis

Es löst ein wohliges Gefühl der Überlegenheit aus. Da unten die primitiven Möchtegern-Stars, die keinen Deut Mitleid verdienen, weil sie freiwillig da sind, hier wir, die lässigen Beobachter, die so einen Quatsch nicht nötig haben.

Zwei Wochen lang verabreicht RTL seinen Zuschauern, die bei dieser Show für Senderverhältnisse überdurchschnittlich gebildet sind, jeden Abend eine Dosis Selbstbestätigung. Ein knappes Drittel der Zuschauer hat Abitur, jeder fünfte verfügt über einen Uni-Abschluss.

Im Gegensatz zu denen habe ich es ja doch zu etwas gebracht, ich kann Chips knabbern statt Kängurupenis. Die gute Laune, die die Show auslöst, lässt sich sogar medizinisch erklären, sagt Michael Thiel. "Schadenfreude liegt im Gehirn dicht neben den Regionen, die für Glück und Freude zuständig sind. Somit löst auch Schadenfreude Glücksgefühle aus."

Zaungast täglicher Hierarchiekämpfe

Der Zuschauer, besonders der mit Abitur oder Uni-Abschluss, delektiert sich an der Schlichtheit einer Sarah Knappik ("My air is away"), er haut sich auf die Schenkel, wenn die Moderatoren Dirk Bach und Sonja Zietlow sich in ihrer Häme und Boshaftigkeit mit ihm verbünden.

Er ist Zaungast täglicher Hierarchiekämpfe, er kann analysieren, wer die Gruppendynamik für seine Zwecke nutzt, wer sich gut verkauft, wer versagt. Mitleid, sagt Dirk Bach, ist völlig fehl am Platz: "Wir haben hier nicht zehn wehrlose Hartz-IV-Empfänger eingeschlossen, sondern zehn Prominente, deren Beruf es ist, in diesem Medium zu leben." Kollegin Sonja Zietlow genießt die "Freiheit zur Wahrheit", die sie als Moderatoren ausleben können. "Wir sagen laut, was die Zuschauer denken."

Das Dschungelcamp ist das TV-Lagerfeuer, das "Wetten, dass..?" einmal war, jeder hat es gesehen, jeder kann und will mitreden. Dabei bilden sich durchaus unterschiedliche Fanlager. "Wir bewerten als Zuschauer die Inszenierungsmuster der einzelnen Kandidaten, ihre Strategie, sich beliebt zu machen. Dabei entstehen Sympathien und Antipathien", sagt Joan Kristin Bleicher, Professorin am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg.

Dennoch ist etwaige Sympathie immer eingebunden in ein übergeordnetes Gefühl der Verachtung für das Triviale, und die Machart der Show hilft den Zuschauern dabei. Dirk Bach und Sonja Zietlow versuchen gar nicht erst, die Sendung oder die Kandidaten ernstzunehmen. Viel mehr entlarven sie die absurden Gesetzmäßigkeiten der Showbranche. Fall auf, egal wie. "Sie betreiben ironische Medienkritik. Das macht sie attraktiv für gebildete Zuschauer", sagt Bleicher.

Längst ist die Show im Feuilleton angekommen, längst ist sie allseits anerkannt als "saugute Unterhaltungssendung" (Spiegel). Schön, dass es bald wieder losgeht.

"Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!", ab Freitag, 13. Januar, 21.15 Uhr, RTL

(csr)
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