Besuch bei Annette Schavan "Diplomatie durch Religion hat an Bedeutung gewonnen"

Sie war Ministerin, CDU-Vize und Frau Doktor. Dann wurde Annette Schavan Botschafterin im Vatikan. Kaum jemand hat geahnt, dass sie dort wieder aufblühen würde. Weihnachtsbesuch bei einer, die mit sich im Reinen ist.

 Annette Schavan mit deutschen Ordensschwestern in der Deutschen Botschaft.

Annette Schavan mit deutschen Ordensschwestern in der Deutschen Botschaft.

Foto: Jana Bauch

Annette Schavan sucht ihren Platz. Neben ihr steht eine schlicht geschmückte Nordmanntanne aus Oberschwaben, bloß ein paar Elektrokerzen und bunte Kugeln hängen daran. Annette Schavan, die Hausherrin, mag den Baum, weil er so anders ist als die italienischen Bäume, an denen alles blinkt, funkelt und glitzert. Deswegen hat sie sich neben ihn gesetzt. Bei Lied Nummer 13, "Es ist ein Ros entsprungen", bemerkt sie allerdings, dass dieser Platz sie etwas ausschließt. Rechts und links von ihr haben 20 Ordensschwestern Stuhlkreise gebildet. Annette Schavan schaut in die Runden, steht auf, holt einen Stuhl aus dem Speiseraum und setzt sich in einen Kreis hinein. Ganz einfach.

"Es ist ein Ros entsprungen"

Weihnachten ist nah, deswegen hat Annette Schavan, die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, wie sie tatsächlich heißt, sämtliche deutschsprachigen Ordensschwestern in Rom zu sich in die Residenz eingeladen. Es gibt Apfelstrudel mit Eis, Blutwurst mit Brot und Limoncello von Zitronen aus dem Garten. Wenn die Ordensschwestern bei einem Adventskaffee sind, dann servieren sie so etwas meistens selbst. Nur einmal im Jahr, wenn ihre Botschaft sie einlädt, dann müssen sie nicht arbeiten. Dann dürfen sie sogar die Lieder aussuchen, die sie singen. "Es ist ein Ros entsprungen" zum Beispiel, wo es doch Einfacheres gäbe. Annette Schavan hält sich zurück, überlässt ihrem Berater für Theologie den besinnlichen Teil des Nachmittags. Sie singt einfach nur mit, und sie sieht froh dabei aus.

 Mit dem libanesischen Pater Charbel Bteich in ihrer Lieblingskirche San Pietro in Vincoli.

Mit dem libanesischen Pater Charbel Bteich in ihrer Lieblingskirche San Pietro in Vincoli.

Foto: Jana Bauch

Wer hätte das gedacht, dass Annette Schavan im Juli 2014 Botschafterin im Vatikan werden würde? Nicht einmal sie selbst. Aber als die Universität Düsseldorf ihr den Doktortitel wegen Plagiats aberkannt und sie mit einem Mal ihre politische Zukunft hinter sich hatte, da bot man ihr den unter Diplomaten sehr begehrten Posten in Rom an. "Sühneposten" haben Zeitungen geschrieben. Schavan, die schon so vieles gewesen ist, Bildungsministerin, stellvertretende CDU-Vorsitzende, Merkel-Vertraute, sogar Grünkohlkönigin, habe man im Vatikan geparkt, hieß es. Was für eine Fehleinschätzung.

Neue Relevanz

Die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl liegt am Ende einer der schönsten Straßen Roms. Die Via dei Tre Orologi, die Drei-Uhren-Straße, führt im vornehmen Parioli-Viertel entlang gut gepflegter Gärten zu einem rötlich schimmernden Gebäude, das an eine Ferienvilla erinnert. Ein Vorplatz, ringsum ein paar Pflanzen, dann liegt da die Residenz, beinahe zurückhaltend schön und gleichsam erhaben. Hier ist der repräsentative Teil der Botschaft, in dem Annette Schavan auch lebt. Einen Hang tiefer liegt die Kanzlei, der administrative Teil. So nah sind sich Residenz und Kanzlei an kaum einer anderen Botschaft. Seit 1984 gibt es die Gebäude, die viele Botschafter gesehen haben, doch seit Annette Schavan die Diplomatie im Vatikan leitet, sind die Räume andere geworden. Nicht nur, weil sie Blumen gepflanzt und Bücher in die Bibliothek gestellt hat. Sie hat der Botschaft zu neuer Relevanz verholfen.

Es ist leicht, all das zu belächeln. Botschafterin beim Papst, was soll schon passieren? Der Vatikan ist nicht Ankara, wo täglich außenpolitische Krisen drohen. Der Vatikan ist zwar ein Staat, aber vor allem ist der Vatikan eine Kirche, etwas, das überall auf der Welt zuhause ist. Botschafter beim Vatikan haben ein großes Netzwerk. Sie wirken an allen Krisen mit, in Kolumbien oder Syrien. Die katholische Kirche ist groß, größer als der Vatikan. La dolce vita für Annette Schavan? Man macht sich ja keine Vorstellungen.

Nicht überflüssig werden

Annette Schavan sagt: "Die Diplomatie durch Religion hat ganz gewiss an Bedeutung gewonnen." Die Krisen der Welt, nicht alle, aber viele, haben religiöse Wurzeln. Und Kirchenvertreter haben manchmal einen Zugang, der deutschen Politikern verwehrt bleibt. Wenn in Polen der Rechtsstaat zu versinken droht, könnte nicht die katholische Kirche, vielleicht gerade sie, helfen, über Eck, sozusagen? "Der Papst", sagt die Botschafterin, "hat eine Eigenschaft, die ihn für alle Gesprächspartner interessant macht: Er tritt ermutigend, nicht ermahnend auf." Kirche ist Gesellschaft, und weil das so ist, ist sie politisch. Sie muss sich zu Wort melden, findet Schavan, so wie in Deutschland, während der Flüchtlingskrise. "Ein Christentum, das politisch verstummt, macht sich überflüssig", sagt sie.

Die Residenz hat Annette Schavan zu einem Ort der Begegnung gemacht. Hier treffen Menschen aufeinander, die sich sonst vielleicht eher fremd sind. Der Präfekt des Päpstlichen Hauses Georg Gänswein und der Intellektuelle Navid Kermani. Oder der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide und Kurienkardinal Walter Kasper. Die Vielfalt, die im Vatikan gebündelt wird, gefällt Annette Schavan.

Auch Pater Charbel Bteich gehört zu dieser Vielfalt. Er ist seit kurzem Rektor des Kollegs des libanesischen Maronitenordens im Vatikan. Er empfängt Annette Schavan wie eine gute Bekannte, vertraut, aber respektvoll. An einem Nachmittag im Dezember serviert er Kartoffelchips, Aperol Spritz und reicht Papiertücher aus einem samtigen Kissen. Sie sprechen über die Krisen der Zeit, über die Übersetzung des Vaterunser, aber auch über Rezepte für leckeren Grünkohl. Diplomatie heißt Netzwerken und Smalltalk. Schavan ist in beidem ein Profi.

Wer Annette Schavan im Vatikan besucht, trifft auf eine Frau, die mit sich im Reinen ist. Die über ihre Zeit beim Heiligen Stuhl sagt: "Das ist für das Leben eine ganz besondere Zeit." Diese geht bald vorüber, im Sommer endet ihre Amtszeit. Sie wird diese Stadt im Dauerfrühling vermissen, die kleinen Gassen, die italienische Küche, aber auch die Moses-Skulptur von Michelangelo in ihrer Lieblingskirche San Pietro in Vincoli, Sankt Peter in Ketten. Was in ihrer Vita folgt, darüber sagt sie bloß: "Ich bin mir sicher, dass ich mich in Deutschland nicht langweilen werde." Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung wird sie jedenfalls nicht. Das übernimmt Norbert Lammert, der auch mal, nun, Probleme mit seiner Doktorarbeit hatte.

Man könnte natürlich sagen, während im politischen Berlin das Chaos tobt, sitzt Annette Schavan am Weihnachtsbaum in Rom und singt mit Ordensschwestern Weihnachtslieder. Man könnte aber auch sagen, während im politischen Berlin sich die Immergleichen die Köpfe einschlagen, hat Annette Schavan in Rom etwas gefunden, das sie ausfüllt und froh macht. "Politik ist ein Überraschungsei", sagt sie. Manchmal ist ja auch was Gutes drin.

(her)
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