Düsseldorf Festung der Justiz

Düsseldorf · Im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts müssen sich regelmäßig Terrorverdächtige verantworten. Das Gebäude gilt als eines der modernsten seiner Art.

Das ist der Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf
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Das ist der Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf

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Foto: Endermann, Andreas (end)

Diese Woche war mal wieder was los am Kapellweg. Schwerbewaffnete Polizisten patrouillierten schon morgens entlang der Felder von Kappes-Hamm, ausgestattet mit Maschinenpistolen, dicken Schutzwesten und strengen Mienen. Dort, ganz in der Nähe des Medienhafens und nur einen (hier strikt metaphorisch gemeinten) Steinwurf vom Landeskriminalamt entfernt, steht der Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Während einige Prozesse in dem Gebäude, auch gegen Sympathisanten der Terror-Miliz IS, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit über die Bühne gehen, hat das Verfahren gegen den Dinslakener Konvertiten Nils D. bundesweit großes Interesse geweckt.

IS-Terrormiliz: Prozess gegen Nils D. 2016
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IS-Terrormiliz: Prozess gegen Nils D. 2016

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Foto: dpa, fg lof

Kein Wunder: Ein mit solcher Spannung erwartetes Geständnis eines deutschen Islamisten hatte es hier lange nicht mehr gegeben. Zuletzt im Prozess gegen die "Sauerland-Gruppe", deren Mitglieder in ihrem Prozess im Jahr 2009 bis ins kleinste Detail schilderten, wie sie erst in den "Heiligen Krieg" zogen und sich dann in einem Ferienhaus in der Pampa mühten, Sprengstoff für Anschläge zu kochen. Beide Prozesse haben die Aufmerksamkeit auch auf das 35 Millionen Euro teure, festungsartige Prozessgebäude gelenkt, in dem seit der Eröffnung 2004 vor allem Staatsschutz-Prozesse stattfinden - und andere Verfahren, für die besondere Sicherheitsanforderungen gelten, etwa im Bereich der organisierten Kriminalität. "Das Prozessgebäude dürfte derzeit eines der sichersten Gerichtsgebäude in Deutschland sein", sagt Oberlandesgerichts-Sprecher Andreas Vitek. Er klingt ein bisschen stolz.

Nur wenige Düsseldorfer verbinden die Bilder der Angeklagten hinter dicken Glasscheiben aber spontan mit dem Gebäude am Kapellweg, das von außen ebenso uneinnehmbar wie spröde wirkt. Ein schlichter Betonklotz, grau, aber durch einige signalrote und weiße Streifen auf dem Dach weithin sichtbar. "Was ist da eigentlich drin?" hört man manchmal Spaziergänger fragen, die es vom schicken Medienhafen aus in die Nachbarschaft gezogen hat und deren Blick an dem Flachdach hängenbleibt. Dort befindet sich übrigens eine Landeplattform für die Hubschrauber, mit denen die Angeklagten oftmals aus der Untersuchungshaft zum Prozess gebracht werden.

Die Spaziergänger hätten noch einiges mehr zu staunen, wenn sie - was nur während der öffentlichen Gerichtsverhandlungen möglich ist - einfach mal reingingen ins Gebäude. Der Weg führt durch Sicherheitsschleusen, wie man sie sonst vom Flughafen kennt. Reinkommen darf man nur einzeln, durch Drehtüren, die die Justizmitarbeiter von drin freischalten. Taschen oder Rucksäcke werden auf ein Band gelegt und durchleuchtet, die Besucher selbst treten durch ein Tor und müssen im Zweifelsfall - auch das ist wie am Flughafen - auch mal Gürtel und Schuhe ausziehen, bis nichts mehr piept und das Misstrauen des Wachpersonals erregt.

Welche technischen Sicherheits-Raffinessen es hier noch gibt, darüber hüllt man sich beim Oberlandesgericht in striktes Schweigen, aus, na klar, Sicherheitsgründen. Einiges allerdings ist für aufmerksame Besucher schnell ersichtlich. Etwa die Tatsache, dass im Wartebereich vor dem Verhandlungssaal nichts einfach herumsteht, das man mitnehmen oder zum Wurfgeschoss umfunktionieren könnte. Die wenig bequemen Sitzgelegenheiten (zu einladend soll's wohl auch nicht sein) sind fest am Boden verschraubt, die Mülleimer ebenfalls. An den Wartebereich grenzt eine kleine Kabine mit verspiegelten Scheiben, und wer genug amerikanische Krimiserien gesehen hat, ist rasch überzeugt, dass dahinter (selten? manchmal? immer?) Justizbeamte sitzen und ein wachsames Auge auf die Vorgänge haben. Auf den Toiletten gibt es weder Klobrillen noch Deckel, nein, nicht einmal das. Aber, bei den Männern, einige Fußwaschbecken - aus guten Gründen. Denn muslimische Zuschauer hatten, so erzählt man sich, im alten Prozessgebäude an der Tannenstraße regelmäßig ganze Klopapierrollen in die Toiletten geworfen und dann mehrfach gespült, um sich so selbst eine Möglichkeit für rituelle Fußwaschungen zu schaffen.

In den beiden schalldichten Verhandlungssälen selbst - einer ist mit 560 Quadratmetern Fläche geradezu riesig und bietet Platz für bis zu 15 Angeklagte, 60 Verteidiger und 145 Zuschauer - fallen vor allem die dicken Glasscheiben ins Auge, die sowohl die Anklagebank als auch den Zuschauerraum von Richtern, Verteidigern und den Vertretern der Anklage trennen. Ist vermutlich auch kein normales Glas, aber wer's weiß, sagt es zumindest nicht. Auf ihre Plätze gelangen die Angeklagten aus dem "Hausgefängnis" irgendwo im Gebäude, werden kurz vor dem Senat in den Saal geführt, immer mit Justiz-Mitarbeitern an ihrer Seite.

Dass sich sogar unter so strengen Vorkehrungen mal zu viel Routine einschleichen kann, konnte man übrigens gleich im ersten Prozess in dem Gebäude beobachten. Auf der nagelneuen Anklagebank - es sind eigentlich einzelne Stühle! - saßen drei Mitglieder und ein Unterstützer der Al Kaida nahestehenden Terror-Organisation Al Tawhid. Bei der Urteilsverkündung mochte einer von ihnen plötzlich nicht mehr zuhören - stand zeternd auf und stiefelte vorbei an den verdutzten Sicherheitsbeamten aus dem Saal. Erst nachdem der erboste Vorsitzende Richter Ottmar Breidling sie dazu aufforderte, folgten die überrumpelten Justiz-Mitarbeiter dem Mann, trugen ihn Minuten später wieder in den Saal. So peinlich diese Situation war - echte Fluchtgefahr dürfte damals angesichts der dicken Mauern, des hohen Zauns und des Stacheldrahts nicht bestanden haben.

" Es ist für uns alle angenehm zu wissen: Wir arbeiten in einem gut gesicherten Umfeld", sagte Richterin Barbara Havliza, Vorsitzende des 6. Strafsenats, in einem Gespräch mit unserer Redaktion - aktuell leitet sie den Prozess gegen Nils D.. "Die Sorge, dass etwas passieren könnte, gibt es natürlich immer. Die Angeklagten können sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden, wenn sie vor uns sitzen. Ich selbst habe auch am Landgericht schon Fälle erlebt, bei denen Angeklagte andere angegriffen oder sich selbst verletzt haben." Hervorheben müsse man die gute Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche, fügt die Richterin hinzu, insbesondere zwischen der Justiz und der Polizei. "Die Polizei unterstützt uns in verschiedensten Bereichen hervorragend, was natürlich die Sicherheit erhöht - für uns und für die Zuhörer im Saal. Die Schleusen und die strengen Kontrollen an den Eingängen sorgen für zusätzliche Sicherheit." Die Glasscheibe zwischen Richtern und Angeklagten stört Havliza nicht: "Wenn überhaupt, dann wäre es wohl eher der räumliche Abstand zu den Angeklagten in dem großen Saal, der es schwieriger machen würde - aber ich nehme diese Distanz kaum wahr. Ich sehe es den Angeklagten zum Beispiel auch an, wenn es ihnen mal nicht gutgeht und sie einen schlechten Tag haben."

Das alte Gebäude für Staatsschutzprozesse an der Tannenstraße in Derendorf hatte mit dem Neubau wenig gemeinsam. Es lag mitten in einem Wohngebiet; Zuschauer wurden mit Handscannern überprüft, bekamen für mitgebrachte Rucksäcke und Taschen Garderobenmärkchen. Den Zuschauerraum trennte vom restlichen Saal damals eine dicke Kordel in Kniehöhe. Nebenbei störte man sich an der bedrückenden Atmosphäre des fensterlosen Gerichtssaals, in dem die Beteiligten bei langen Prozessen auch mal mehr als 100 Verhandlungstage verbringen mussten.

"Nach dem 11. September hat die Bundesanwaltschaft signalisiert, dass die Zahl der Prozesse gegen Islamisten ansteigen würde", sagt Gerichtssprecher Vitek: "Es war schnell klar, dass das Gebäude an der Tannenstraße nicht dafür geeignet sein würde." Im Mai 2002 hatten Vertreter von Gericht, Justizministerium und BLB entschieden, sich für ein neues Gebäude einzusetzen - und dann ging alles bemerkenswert schnell. Das Gelände in Hamm war schnell gefunden, schon im Januar 2003 fand der Spatenstich, im Juni das Richtfest statt. Wenige Tage vor Weihnachten wurde das Gebäude an die Justiz übergeben, der erste Prozess begann dann am 10. Februar 2004.

Neben der Sicherheit hat sich mit dem neuen Gebäude auch der technische Komfort verbessert. "Ich kann vom Richtertisch aus mit einem Touch-Display beispielsweise die komplette Mikrofon-Anlage steuern, also jedes Mikrofon einzeln aktivieren oder stummschalten, oder Bilder und Filme von meinem Bildschirm aus auf die Großleinwände projizieren", sagt Havliza. "Es ist zum Beispiel sehr hilfreich, wenn Sachverständige ihre Gutachten erstatten und dazu etwa eine Power-Point-Präsentation mitbringen." Die Dolmetscher können per Knopfdruck aus ihrer Kabine signalisieren, ob Richter oder Anwälte zu schnell sprechen. Sogar Tageslicht kommt jetzt durch eine Reihe von Oberlichtern in den Saal. Ob das auch Nils D. zu schätzen weiß, lässt sich nur ahnen.

(RP)
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