Rheinliebe Duisburger Hafen - Drehscheibe für die Welt

Duisburg · Die Anlage hat sich zu einem internationalen Logistikzentrum entwickelt, um die globalen Warenströme sicher ans Ziel zu leiten.

 Ein Teil des Duisburger Hafens: Das Gebiet Ruhrort / Neuenkamp / Kasslerfeld. Insgesamt sind im vergangenen Jahr 3,6 Millionen Container umgeschlagen worden.

Ein Teil des Duisburger Hafens: Das Gebiet Ruhrort / Neuenkamp / Kasslerfeld. Insgesamt sind im vergangenen Jahr 3,6 Millionen Container umgeschlagen worden.

Foto: Christoph Reichwein

Der Himmel weit und flammend rot, ein imposantes Farbspektakel, das sich allabendlich über der Kolonie dunkler Krupp-Hochofen-Kolosse auftat - das war es, was die Kinder früher an den Duisburger Rhein zog. "Es krachte, zischte, donnerte", erinnert sich Erich Schauder. Der Eisenabstich in Rheinhausen war zur dreckigen, prächtigen Blütezeit des Ruhrgebiets wie eine Naturgewalt.

Schauder ist Zeitzeuge dieser Ära. Geboren vier Jahre nach Kriegsende, aufgewachsen mit Trümmergrundstücken, Ofenheizung und Eisblumen am Fenster, dem wöchentlichen Bad am Samstag in der Zinkwanne. "Erst einmal Sattwerden war die Devise der Zeit", sagt er. Auf dem Rhein schwammen giftige Öllachen. Jeden Tag stand Schauder am Ufer, beobachtete, wie Eisenerz per Schiff an die Hochöfen geliefert wurde, und lauschte dem "Toktoktok" der Schleppbootmotoren.

Man muss das so ausführlich erzählen, weil nichts davon heute noch existiert. Kein Stahlabstich, keine tosendes, spuckendes Werk, kein Eisenerz, kein schillernder Himmel, keine Öllachen. Stattdessen an gleicher Stelle: ein schnurgerades Hafenbecken, Hallen mit Dächern, unter denen Schiffe still und trocken ihre Ladung loswerden, und Kräne, die Container präzise in die Höhe stapeln. Logport 1 heißt das Gelände, die Logistikdrehscheibe ist das Zentrum des weltweit größten Binnenhafens.

3,6 Millionen Container sind im vergangenen Jahr in Duisburg umgeschlagen worden. Von Schiff zu Schiff, auf Zug oder Lkw - und umgekehrt. Dutzende Nahtstellen gibt es für die globalen Warenströme im Hafen, Wasser-Gleis-Anschlüsse, Containerbrücken, dazu den weltgrößten Kran in einem Binnenhafen. 140 Meter ist er breit. 300 Logistikunternehmen, ein Netzwerk von Reedern, Spediteuren und Eisenbahndienstleistern sorgen dafür, dass vom privaten Übersee-Umzugsgut bis zur kompletten Düngemittelanlage jede denkbare Fracht nach überall hin auf dem Globus transportiert werden kann.

"Links geht es nach Holland, rechts nach Düsseldorf", sagt Erich Schauder und zeigt auf den Rhein, diesen Highway der schwimmenden Schwerlasten. Doch natürlich geht es noch weiter als die 220 Kilometer, die zwischen Logport 1 und Rotterdam, dem drittgrößte Seehafen der Welt, liegen. Feste Linienverkehre fahren auf der Wasserstraße hin und her, steuern mit ihrer Ladung ferne Orte an: Thessaloniki, Moskau, London.

Seit 2011 ist der Binnenhafen sogar über die längste Güterzugstrecke der Welt mit Chongqing in China verbunden. Zwölf Tage ist der Yuxinou-Zug unterwegs, er durchquert auf seiner 10.320 Kilometer langen Fahrt sechs Länder, bis er mit 80 Containern voller IT-Gütern in Schauders Heimat einläuft. Auf Europas Verbindungen nach China sind sie in Duisburg besonders stolz: Inzwischen fährt jeden Tag ein Zug in die Volksrepublik, ein Dutzend Ziele in China stehen auf dem Plan.

Dass der einst graue, beengte Duisburg-Ruhrorter Hafen zum boomenden, effizienten Vorzeigestandort in NRW geworden ist, hat auch mit ihm, Erich Schauder, zu tun. Aus dem Steppke, der gegenüber den Hochöfen herumlungerte, wurde ein Tiefbauingenieur. Für die Firma Züblin plante er Überseehäfen in Costa Rica und Indonesien. Doch wollte er nicht in der Ferne an seinen Projekten schrauben. "Ich sah ja bei Kollegen, die im Iran und Irak bauten, wie deren Ehen zerbrachen", erinnert er sich. "Nein, das fand ich nicht toll, ich bin bodenständig. Der Rhein ist Heimat." Als er 1984 eine Zeitungsannonce des Duisburger Hafens sah, in der nach einem Tiefbauingenieur gesucht wurde, bewarb er sich: "Es schien, als wäre diese Anzeige für mich vom Himmel gefallen."

Was für ein Glück, was für ein Pech! Denn Schauders Werdegang geriet mitten hinein in die Verwerfungen des Strukturwandels. Zwei Jahre nach seinem Dienststart verkündete Krupp, dass es seine Hütten schließen wollte - damit sollten auch die neun Hochöfen und der rote Himmel über Duisburg verschwinden. 160 Tage streikten die Stahlkocher, Schauder mit ihnen. Am 15. August 1993 war endgültig Schluss. Letzter, glühender Stahlabstich in Rheinhausen, noch einmal großes Kino, dann Ende, aus, vorbei. Schauder heulte an dem Tag. Von 16.000 Kruppianern verloren 10.000 ihre Arbeit. Was für ein Pech, was für ein Glück! Denn dank des Strukturwandels war der Hafen in der Lage, 1998 das Areal der Stahlwerke aufzukaufen, um dort die heutige Logistikdrehscheibe einzurichten. Schauder wurde dabei zum Gestalter dieses Wandels und plante Zufahrtsstraßen, Hallen mit Gleisanschlüssen und den Hochwasserschutz. "Ich habe an die vielen Menschen gedacht, die Jahrzehnte hier ihre Existenz hatten", sagt er.

Aus dem Ort des Niedergangs ist eine "Schnittstelle für Neues" geworden. Es fällt ihm schwer, das ohne Wehmut zu erzählen. Doch im Ruhrgebiet liegen Herzschmerz und Ärmelaufkrempeln stets dicht beisammen. "Die alten Strukturen kommen nicht wieder, die sind endgültig weg", sagt Schauder. "Aber eine Brache, die nutzt ja auch niemandem was." Dass an der Stelle der alten Stahlkathedralen heute die Logistik brummt, sei "ein superschönes Gefühl". Der Blick nach vorn, der sei goldrichtig gewesen.

Dieses 40 Kilometer lange Hafen-Ufer ist selbstverständlich keine schicke Flaniermeile wie beispielsweise in Düsseldorf. In der Schiffswerft liegen Blaukittel unter bauchigen, aufgebockten Kähnen und dichten Lecks ab, ein Stück weiter werden jeden Tagen Hunderte Gebrauchtwagen aufbereitet und verschifft, Importkohle für deutsche Kraftwerke verladen. Latte Macchiato trinkt man an anderen Rheinmetern; hier wird malocht. Immerhin. "Es ist ein schönes Gefühl, etwas mit erschaffen zu haben, das nachhaltig und sinnvoll ist", sagt Schauder.

Logport im Hafen zählt heute 4000 Mitarbeiter, 22.000 Jobs in der Stadt und mehr als doppelt so viele in ganz NRW hängen vom Frachtgut auf dem Wasser ab. Die Auftragslage ist so gut, dass mittlerweile Logport 4 in Kamp-Lintfort entsteht und Logport 5 für Oberhausen geplant wird. "Der Hafen ist meine Lebensgeschichte mit einem - für mich - Happy End", sagt Erich Schauder.

Die Serie Die Folgen der "Rheinliebe" erscheinen dienstags und donnerstags im Lokalteil und mittwochs und freitags auf den Seiten Wissen und NRW oder Panorama.

Das Buch Die Serie entstand mit dem Bonner "General-Anzeiger" und der "Kölnischen Rundschau". Die besten Folgen münden in das Buch "Rheinliebe", das am 9. September im Droste-Verlag erscheint. Es kostet 24,99 Euro und kann im RP-Shop schon jetzt vorbestellt werden: Telefonisch unter . 0211 - 505 2255 (Mo-Fr 8-16 Uhr) oder unter www.rp-shop.de Es wird kostenfrei versandt..

(RP)
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