Vier Zukunftsszenarien The Future of Sonntagsbraten

Düsseldorf · Fleischkonsum ist schlecht für Umwelt und Gesundheit. Immer mehr Menschen leben als Vegetarier und Veganer, und auch in den Supermärkten übernehmen die fleischfreien Alternativen die Regale. Fragt sich: Essen wir sonntags bald ein Tofuhäppchen statt dem guten alten Sonntagsbraten? Vier Zukunftsszenarien.

Sechs vegetarische Alternativen zu Fleisch
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Sechs fleischfreie Alternativen

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Foto: Thinkstockphotos, Valess, Vegetaria

Fleischkonsum ist schlecht für Umwelt und Gesundheit. Immer mehr Menschen leben als Vegetarier und Veganer, und auch in den Supermärkten übernehmen die fleischfreien Alternativen die Regale. Fragt sich: Essen wir sonntags bald ein Tofuhäppchen statt dem guten alten Sonntagsbraten? Vier Zukunftsszenarien.

Egal ob Steak oder Braten, gerade am Wochenende und zu Feierlichkeiten gehört für die meisten in Deutschland ein gutes Stück Fleisch dazu. Immer mehr jedoch werden dafür — oder gar dabei — schief von der Seite angesehen. Denn fast an jedem Tisch sitzt inzwischen mindestens ein Vegetarier oder Veganer. Menschen also, die dem Fleisch (oder auch sämtlichen tierischen Produkten) abgeschworen haben.

Als Gründe führen die Fleischfreien meist entweder ihre Gesundheit, das Tierwohl oder die Umwelt an. Unrecht haben sie damit nicht. Kaum ein anderes Lebensmittel verbraucht so viele natürlich Ressourcen wie die Produktion von Fleisch. Um einen Fleischesser zu ernähren, werden 15.000 Liter Wasser täglich verbraucht, pro Kilogramm Fleisch werden 16 Kilogramm Getreide benötigt — hochgerechnet wandern damit 70 Prozent des weltweiten Getreideanbaus in Tierfutter. Alle Faktoren eingerechnet verursacht die Produktion von einem Kilo Fleisch so viel CO2 wie eine Autofahrt über 1600 Kilometer.

Damit nicht genug, auch Gesundheitsexperten warnen schon lange vor den Konsequenzen von zu hohem Fleisch- und Milchkonsum. Ein bis zwei Portionen Fleisch (inklusive Wurst) pro Woche, dazu rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Wer diese Mengen langfristig übersteigt, der erhöht sein Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen deutlich. Nicht mal die gute alte Milch gilt mehr als sicher, soll sie doch nicht mehr vor Knochenkrankheiten wie Osteoporese schützen, sondern sie sogar auslösen.

Fleisch so sagen viele, sei die Zigarette des 21. Jahrhunderts, doch was ist die Lösung? Experten halten vier Zukunftsszenarien für wahrscheinlich:

  1. Heuschrecken, Würmer, Maden: "Insekten beispielsweise werden in Ländern wie Thailand, China und Afrika schon lange als fettarme Quelle für Proteine, Vitamine und Mineralien benutzt", sagt Folke Damman, Inhaber von Snack Insects. Seit 2013 vertreibt er in Schokolade getauchte Heuschrecken auf Erdbeeren, oder auch Gemüsepfanne mit Würmern. "Die meisten bestellen bei mir als eine Art Mutprobe", gibt er zu. "Aber die Nachfrage ist in den letzten zwei Jahren deutlich gestiegen." Wenn es nach der FAO, der Ernährungsorganisation der UN, ginge, würde diese Tendenz in den kommenden Jahren nur steigen. Immerhin zeigen die Zahlen, dass ein Schwein zehn bis hundert Mal mehr Treibhausgase pro Kilogramm als beispielsweise Mehlwürmer verursacht. Ganz abgesehen davon, dass die Insekten-Mahlzeit besser für die Gesundheit ist. "Tatsächlich schmecken die Insekten auch gut", sagt Dammann, "man kann sich das vorstellen wie Sonnenblumenkerne oder Erdnussflips." Je nach Insektenart spricht Dammann von einem nussigen Geschmack mit wenig Aroma. Bislang allerdings ist es Insektenfarmen in Deutschland verboten, für den reinen Verzehr zu produzieren. Die meisten züchten für Reptilienbesitzer und Angler. Der kleinere Teil, wie etwa die Snacks von Dammann, gehen an Erlebnisrestaurants, spezielle Events oder eben an Mutige.
  2. Fleisch aus dem Labor: Ganz ohne Tierleid, dafür aber unter Einsatz höchstmoderner Technik: Bald könnte Fleisch auch standardmäßig aus dem Labor kommen. Erstmals geglückt ist das 2013 in Holland. Dort wurde der erste Stammzellen-Burger präsentiert. Für das Fleisch entnahmen die Forscher Muskelstammzellen von Rindern und vermehrten diese im Labor. Daraus wuchsen mehrere Zentimeter lange Muskelstränge. Rund 20.000 davon sind für eine 140-Gramm-Frikadelle nötig. Die Stammzellen können den Rindern, etwa durch Biopsie, entnommen werden. Kostenfaktor: Mehr als 250.000 Euro pro Frikadelle. Am Preis müsste also noch deutlich geschraubt werden. Zukunftsforscher Eike Wenzel hält solche Alternativen aber für deutlich wahrscheinlicher als den kompletten gesellschaftlichen Verzicht auf Fleisch: "30 Prozent der Menschen heutzutage haben mit gesundheitlichen Themen nichts zu tun. Sie haben dafür einfach kein Bewusstsein." Hinzu käme, dass salzige und fettige Geschmäcker zur Gewohnheit gehören würden und sich somit nur schwer von der Speisekarte verdrängen ließen. Zwar bekommt die Vegetarier- und Veganerbewegung mehr Aufmerksamkeit, Wenzel glaubt aber, dass sich der Fleischessertrend auch in den kommenden Jahren nicht verändern wird. Die Zahlen der WHO geben ihm Recht. Experten befürchten, dass der weltweite Fleischkonsum bis 2050 um etwa 73 Prozent steigen könnte. Dafür werden zwei Gründe genannt: Zum einen gibt es unter anderem in Europa einen wachsenden Trend zur Fettleibigkeit. Das bedeutet eine verstärkte Neigung, sich ungesund (Burger, Döner, Pizza) zu ernähren. Zum anderen steigt mit wachsendem Wohlstand auch in Entwicklungsländern die Nachfrage auf Fleisch. "Aus diesem Grund halte ich es nicht für eine Lösung, Fleisch abzuschaffen, sondern die Hersteller müssen stärker zur Verantwortung gezogen werden. Fleisch darf kein Billigprodukt mehr sein."
  3. Weniger Fleisch bei mehr Qualität: Ein Trend, der sich ebenfalls langsam beginnt durchzusetzen, ist der Kauf von Biofleisch. Fleisch von Tieren also, die unter besseren Umständen gehalten werden — und das entsprechend am Ende auch mehr kostet. Für ein Schwein beispielsweise bedeutet Bio-Haltung, dass jedes Tier im Stall einen Quadratmeter zur Verfügung hat. Umgerechnet auf die Kosten für den Hersteller macht das 20 Euro mehr pro Tier aus. Natürlich werden Kosten wie diese an den Verbraucher weitergegeben, wer aber die Devise pflegt: wenig und dafür hochwertiges Fleisch, steht am Ende der Rechnung nicht schlechter da, als jemand der täglich Fleisch beim Discounter einkauft. Laut Umweltorganisation Greenpeace wäre dieser Weg, der ökologisch, ethisch und gesundheitlich beste, um der steigenden Fleischproduktion und ihren Folgen zu begegnen.
  4. Pflanzliche Alternativen: Schnitzel aus Pflanzeneiweiß, Bolognese aus Seitan und Bratwurst aus Tofu — diese Ersatzprodukte gehören heute für viele bereits zum Alltag. Die Nachfrage nach vegetarisch-veganen Produkten wächst rasant, so der Vegetarierbund (Vebu). Allein in diesem Bereich wurde im vergangenen Jahr 30 Prozent mehr Umsatz gemacht. Einer der größten Hersteller, Valess, konnte eigenen Angaben zufolge im Vergleich zu 2014 mehr als 360.000 neue Käuferhaushalte dazugewinnen. Immer mehr Wurst- und Käsesupermarktregale weichen den pflanzlichen Alternativen. "Hauptsache es schmeckt", ist hier die Devise. Ein Motto, dass sicherlich auch in Zukunft viel Durchsetzungskraft haben wird, und das noch einmal beweist: Schief anschauen lassen werden sich Fleischesser wohl auch weiterhin lassen müssen — abschaffen aber kann man sie auf unabsehbare Zeit nicht.
(ham)
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