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Alarmierende Erkenntnis Arme Kinder machen selten Musik

Düsseldorf · Eine neue Studie belegt, dass Einkommen und Bildung der Eltern beeinflussen, ob Kinder ein Instrument erlernen.

Alarmierende Erkenntnis: Arme Kinder machen selten Musik
Foto: Bertelsmannstudie, Grafik: Ferl

Es geht um Kultur in dieser Studie, aber ihr Ergebnis ist doch vor allem gesellschaftspolitisch aussagekräftig. Die Bertelsmann-Stiftung und der Deutsche Musikrat haben 17-Jährige zu ihrer musikalischen Bildung befragt. Es fängt erfreulich an, von den 6256 Befragten gaben nämlich 88,6 Prozent an, dass Musik ihre wichtigste Freizeitbeschäftigung sei und sie deshalb jeden Tag Musik hörten. Allerdings führt die Vorliebe nur bei wenigen dazu, dass sie auch ein Instrument spielen oder im Chor singen: Lediglich 14,2 Prozent musizieren demnach täglich, 13,1 Prozent einmal in der Woche. Insgesamt machen 24,4 Prozent der Jugendlichen selbst Musik, 16,9 Prozent nehmen bezahlten Unterricht. Mehr als die Hälfte der Musizierenden macht Rock oder HipHop, etwas mehr als ein Viertel klassische Musik, die übrigen Unterhaltungsmusik oder Schlager.

Bei Betrachtung dieser Zahlen stellt sich die Frage, warum es unter so vielen Musikbegeisterten nicht noch mehr Jugendliche gibt, die ein Instrument erlernen. Die Studie erkennt vor allem Bildungsstand und Einkommen der jeweiligen Familien als Gründe. Je niedriger der Bildungsstatus und das Einkommen der Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Jugendlicher Musik macht. Anders gesagt: Hat der Vater Abitur, verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jugendlicher singt oder ein Instrument spielt. Gymnasiasten musizieren häufiger und beginnen früher damit, nämlich schon im Alter von acht Jahren. Schüler anderer Schulformen erst mit zehn Jahren. Außerdem bekommen Gymnasiasten häufiger Musikunterricht: Während ein Drittel der Jugendlichen aus einkommensstarken Haushalten (mehr als 30.000 Euro Netto pro Jahr) bezahlten Unterricht erhält, sind es in Haushalten mit niedrigem Einkommen (unter 15.000 Euro im Jahr) nur noch acht Prozent.

Es gibt zwar einen Aufwärtstrend bei Musikschulen und privaten Lehrern zu beobachten: 2015 nahmen im Vergleich zu 2005 sechs Prozent mehr Jugendliche Unterricht. Auch die Gesamtzahl der musizierenden Jugendlichen ist in diesem Zeitraum gestiegen, und zwar um zehn Prozent. Die Hinzugekommenen stammen aber fast ausschließlich aus wohlhabenden Familien. "Die soziale Ungleichheit des deutschen Bildungssystems setzt sich in der musikalischen Bildung fort", lautet das Fazit der Auftraggeber der Studie. Wenn man den Trend in die Zukunft verlängert, entgehen vor allem ärmeren Kindern die Vorteile gemeinsamen Musizierens: die gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit, die Ermunterung zu Kreativität und die Möglichkeit, Dinge spielerisch miteinander in Zusammenhang zu setzen. Hat der Auftraggeber denn auch einen Ratschlag, den man aus all den Daten ableiten könnte? Ute Welscher von der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh rät, die Musikprogramme in den Ganztagsschulen stark auszuweiten. Chöre, Orchester und Musikschulen müssten schon in den Schulen Brückenbau betreiben, sie müssten Kinder dort abholen: gemeinsames Singen also statt Multiball-AG. Man kann bereits beobachten, dass sich hier einiges tut.

Der Verdacht liegt nahe, dass bei dem enorm hohen Interesse an Musik im Allgemeinen viele Kinder gern ein Instrument spielen würden, es aber nicht können. Dabei bestünde theoretisch durchaus für fast jeden die Möglichkeit, wie der Rat für kulturelle Bildung bestätigt. Große Teile des Geldes aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, das Kindern aus einkommensschwächeren Familien zusteht, liegen demnach brach, weil niemand sie einfordert. Für Nordrhein-Westfalen sind das 58 Millionen Euro im Jahr. Nicht einmal zehn Prozent der Berechtigten greifen auf diese Leistungen zu. Das heißt: Kinder, die gern teilnehmen würden, bleiben vom Musikunterricht ausgeschlossen, weil ihre Eltern entweder nicht wissen, dass ihnen finanzielle Unterstützung zusteht, weil sie es als zu bürokratisch empfinden, an das Geld heranzukommen, oder weil sie sich stigmatisiert fühlen würden, wenn sie es annähmen.

Der Rat für kulturelle Bildung empfiehlt jedenfalls eine Reform dieses Pakets; die Zugangsschwelle möge gesenkt werden. In Hamm, Münster und im Kreis Steinfurt gebe es seit einiger Zeit Chipkarten, die das Verfahren erleichtern. Dort liegt die Teilhabe inzwischen bei 50 Prozent.

Das klingt schon besser.

(hols)
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