Interview "Wir wollen die gleichen Rahmenbedingungen wie Google"

Bonn · Tim Höttges führt seit Januar die Deutsche Telekom und damit den größten Telefonkonzern Europas. Er ist seinem Freund René Obermann gefolgt, der beim niederländischen Kabel-Konzern Ziggo angeheuert hatte.

 Tim Höttges ist der Chef der Deutschen Telekom.

Tim Höttges ist der Chef der Deutschen Telekom.

Foto: dpa

Herr Höttges, sind Sie zufrieden mit dem ersten Amtsjahr?

Höttges Meine Arbeit müssen andere bewerten - es macht mich stolz, das Unternehmen repräsentieren zu dürfen. Und ich sehe uns insgesamt auf einem guten Weg: Der Umsatz steigt wieder, obwohl uns die Regulierung das Leben weiter schwermacht. In den USA könnten wir die Nummer drei werden, in Deutschland gewinnen wir Marktanteile, in Europa legen wir zu, für die Wende bei T-Systems gibt es einen klugen Plan.

Es gab Gerüchte über einen Vorstandsumbau …

Höttges … den hat es bereits gleich zu meinem Amtsantritt am Jahresanfang gegeben. Ich habe den Vorstand erweitert, seit dem tagt wöchentlich das sogenannte ExCom: Zusätzlich zu den bisherigen Vorständen haben wir uns die führenden Fachleute zu den wichtigsten Themen mit an den Tisch geholt, wie z.B. Technik, Innovation oder IT. Dadurch haben die Sitzungen verstärkt inhaltliche Tiefe, dafür nehme ich gerne in Kauf, dass sie etwas länger dauern… (schmunzelt).

Seit Marion Schick im April freiwillig ging, haben Sie keinen Personalvorstand mehr. Bleibt das so?

Höttges Natürlich haben wir einen Personalvorstand: Thomas Kremer führt den Bereich derzeit zusätzlich zu seiner Aufgabe als Datenschutz- und Rechtsvorstand und setzt wichtige Akzente. Ich arbeite mit ihm gut und gerne zusammen. Ob und wann es einen neuen Personalvorstand geben und wie der heißen wird, entscheidet der Aufsichtsrat.

Kommen wir zum Geschäft: Wer sind Ihre wahren Gegner? Andere Telefonkonzerne oder Internetgiganten wie Google und Facebook?

Höttges Der Wettbewerb mit Vodafone oder Telefonica ist und bleibt hart. Wir kämpfen weiter um jeden Kunden, aber der unfaire Eingriff der amerikanischen Internetgiganten führt dazu, dass die Branche enger zusammenrückt.

Was bedeutet das?

Höttges Die Digitalisierung betrifft auch die Telekommunikationsunternehmen - wir müssen effizienter werden. Deswegen arbeiten wir beispielsweise da, wo es möglich und erlaubt ist, beim Thema Netzausbau zusammen. So baut die Telekom in Deutschland für Milliarden ein hochmodernes Netz, das auch für Wettbewerber wie Vodafone oder Telefonica offen ist. Die Nachfrage nach diesem sogenannten Kontingentmodell ist enorm.

Wo liegt das Problem?

Höttges Europas Telekommunikationsbranche investiert in den nächsten Jahren rund 150 Milliarden Euro in die Netze. Gleichzeitig nutzen aber Google, Facebook und andere US-Konzerne unsere Infrastruktur, um Milliardengewinne zu machen - ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Nur ein Beispiel: Wir garantieren unseren Nutzern, dass sie mit Anrufen oder SMS jeden anderen Anschluss weltweit erreichen, dazu sind wir verpflichtet. Warum ist das bei WhatsApp nicht so? Die Internetkonzerne schaffen geschlossene Systeme, und alle akzeptieren, dass ich zum Beispiel die Musik, die ich bei iTunes gekauft habe, nicht über einen anderen Dienst nutzen kann. Warum eigentlich?

Was soll sich ändern?

Höttges Die EU muss für fairen Wettbewerb sorgen. Wenn Internetkonzerne Kommunikationsdienste anbieten, dann müssen für alle die gleichen Regeln gelten.

Zum Beispiel?

Höttges Nehmen Sie den Datenschutz. Die europäischen und vor allem die deutschen Gesetze sind viel schärfer als die amerikanischen. Es ist doch total widersinnig, dass Firmen, die die Toll Collect Informationen für bessere Verkehrsprognosen nutzen möchten, das aus Datenschutzrechten nicht dürfen und stattdessen zu Google gehen.

Soll Google für Netzausbau zahlen?

Höttges Früher gab es ein Gleichgewicht, zwischen denen, die Infrastruktur gekauft haben, und denen, die ihre Dienste darüber abgewickelt haben - dieses Gleichgewicht ist völlig aus den Fugen geraten: Google etwa macht pro Monat eine Milliarde Euro Gewinn, ohne sich beim Netzausbau zu engagieren. Ich fände es nur fair, wenn die europäischen Netzbetreiber die gleichen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen hätten wie Google.

Die größten europäischen Telekommunikationskonzerne haben dies in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Juncker gefordert. Erwarten Sie Besserung durch die neue EU-Kommission?

Höttges Erstmalig spricht die europäische Industrie mit einer Stimme! Das ist wichtig, denn Digitalisierung wird alle Wirtschaftsbereiche erreichen. Es wird riesige Effizienzgewinne geben. Aber noch ist offen, ob die Jobs in der digitalen Wirtschaft auch in Europa entstehen, oder ob sie wie bei Smartphones nach USA und Asien abwandern. Ich sehe klare Signale, dass die neue Kommission die Bedeutung der digitalen Wirtschaft für Europa verstanden hat. Es geht um Millionen Jobs.

Apple will in iPads eine umprogrammierbare Sim-Karte fest einbauen, die verschiedene Mobilfunknetze ansteuern kann. Droht Ihnen mit dieser E-Sim-Karte der Abstieg zum Sublieferanten von Mobilfunk für Apple?

Höttges Nein, wir sehen die E-Sim-Karte als Chance. Zukünftig werden alle Geräte einen Internetzugang haben, alle! Manche werden so klein sein, dass man kein Plastikkärtchen reinschieben kann, wie die sogenannten wearable, also zum Beispiel die Gesundheitsarmbänder, die es heute schon gibt. Aber so weit sind wir noch nicht. Das, was Apple jetzt in den USA und in England macht - übrigens mit unseren Tochterfirmen dort - ist nichts anderes als eine voraktivierte Sim-Karte ins Gerät zu stecken, so dass der Kunde direkt loslegen kann. Dagegen haben wir nichts einzuwenden.

Aber er ist dann Kunde bei Apple?

Höttges Nein, ich war gerade in den USA bei Apple-Chef Tim Cook und habe nicht den Eindruck, dass er Apple zum Mobilfunkanbieter wandeln möchte. Es ging vielmehr darum, wie wir in dem Zusammenhang vernünftig zusammenarbeiten können. Unstrittig ist, dass die Kundenbeziehung bei uns bleibt und wir Abrechnung und Vertrieb leisten.

Setzen sich E-Sim-Karten durch?

Höttges Ja, in den nächsten Jahren werden sie zunehmend Standard.

Warum investieren Sie trotz Konkurrenz von Google und Co. so viel Geld wie nie in Netze und Frequenzen?

Höttges Wir sind mutig: Nur mit den besten Netzen und dem besten Service gewinnen wir beim Qualitätswettbewerb und emanzipieren uns so vom reinen Preiswettbewerb. Beim Mobilfunk in Deutschland wurde uns zigfach attestiert, das beste Netz zu haben - entsprechend bauen wir aus. Auch der Ausbau unseres Festnetzes mit Glasfaser hilft uns. Zum Beispiel, um unser TV-Angebot "Entertain" mehr Kunden anbieten zu können.

Die Bundesregierung hofft bis 2018 auf eine fast 100-prozentige Versorgung der Haushalte mit Internetanschlüssen von bis zu 50 Megabit/Sekunde. Ist das realisierbar?

Höttges Ich bin optimistisch, dass das klappen kann. In der von Minister Dobrindt ins Leben gerufenen Netzallianz haben die Unternehmen versichert, dass sie 80 Prozent der Investitionen stemmen können, die für die Erreichung der Breitbandziele notwendig sind, mehr als die Hälfte davon durch die Telekom. Es geht nicht um Steuergelder, sondern vor allem um verbesserte Rahmenbedingungen, dann ist noch mehr möglich. Direkte finanzielle Förderung durch den Staat sollte es nur dort geben, wo die Unternehmen nicht wirtschaftlich ausbauen können.

Auf dem Land hätte man gerne mehr Investitionen von Ihnen.

Höttges Wir investieren in Deutschland von 2010 bis 2015 insgesamt 23,5 Milliarden Euro - ein Kraftakt, kein Unternehmen in Europa investiert mehr als die Telekom. Allein jeweils vier Milliarden werden es in diesem und dem kommenden Jahr in Deutschland sein. Ich würde mir wünschen, dass auch die Wettbewerber mehr tun, vor allem im ländlichen Raum.

Warum soll eigentlich der Staat den Netzausbau auf dem Land unterstützen? Die Leute da könnten dank niedrigerer Mieten mehr Geld für einen Internetzugang als in der Stadt zahlen und Investitionen anlocken.

Höttges Regulierungspolitik sollte nicht auf dem Rücken der Kunden ausgetragen werden. Höhere Tarife für Kunden im ländlichen Raum halten wir für weder wünschenswert noch umsetzbar. Es ist Zeit, zu akzeptieren, dass die Telekom nach 20 Jahren Regulierung in vielen Städten nur noch Nummer zwei oder drei ist. Konsequenterweise müsste man uns hier aus der Regulierung entlassen. Wenn die Netzagentur jetzt feststellt, dass nur in 15 Städten Wettbewerb besteht, dann ist das nicht die Welt, in der ich lebe. Ich wünschte mir mehr Mut zu Veränderungen.

Und auf dem Land?

Höttges Abseits der urbanen Räume wäre es prinzipiell wirtschaftlich sinnvoll, wenn wir unsere Großhandelspreise für die Wettbewerber und das Endkundenangebot nach den Kosten ausrichten könnten. Dann würden sich Investitionen abseits eng besiedelter Gebiete etwas mehr lohnen. Aber das ist Theorie, ich setze eher auf regionale Zuschüsse für den Netzausbau als auf Tarifzuschläge auf dem Land.

Der neue EU-Kommissar Günter Oettinger will den Netzausbau vorantreiben, indem neue Kunden für VDSL-Anschlüsse erst nach längerer Zeit kündigen dürfen. Gut so?

Höttges Ich kann nur begrüßen, wenn die EU nicht mehr nur sinkende Tarife als wichtigstes Ziel ihrer Telekommunikationspolitik ansieht. Wenn Günter Oettinger sich nun dazu Gedanken macht, die Unternehmen mit mehr Ertragssicherheit zu mehr Investitionen zu bewegen, ist das eine gute Idee. Welche Maßnahmen das im Detail sein könnten, wird sich zeigen.

Es gibt das Gerücht, dass die Telekom sich nur noch auf netznahe Dienste konzentriert und auf Innovationen weitgehend verzichtet.

Höttges Totaler Quatsch. Innovationen rund um die Digitalisierung unserer Welt sind unser Kerngeschäft. Daran wird sich nichts ändern. Aber wir öffnen uns: Wir wollen so etwas wie eine Steckerleiste bieten, an die sich junge, agile Start-up Unternehmen schnell und einfach andocken können. So werden Partnerschaften leichter. Darauf setzen wir gezielt: So bieten wir den Notizdienst Evernote in allen unseren europäischen Ländern für Smartphones an. Wir haben den Musikdienst Spotify erfolgreich mit einem eigenen Tarif gekoppelt. Jetzt werden jetzt unser TV-Angebot "Entertain" aufwerten, das wird ein Quantensprung: Es wird noch attraktiver und einfacher in der Nutzung und wir werden noch mehr Filmlieferanten integrieren. Und gleichzeitig rüsten wir als einer der ersten Festnetzanbieter der Welt komplett auf die überlegene IP-Technik um.

Bleibt es dabei, dass Sie digitale Dienste für die Medizinbranche, die Energiewirtschaft und die Autoindustrie entwickeln?

Höttges Ja, unsere drei Tochterfirmen in diesen Bereichen arbeiten erfolgreich. Wir sind in diesen Bereichen Pioniere in der Telekommunikationsindustrie — wir müssen uns auch außerhalb unserer klassischen Geschäftsfelder engagieren — dabei sammeln wir auch mit Blick auf die Digitalisierung wertvolle Erfahrungen: So werden Telekom-Ideen für die Vernetzung des Autos auch in der Autoindustrie Chinas genutzt. Der Schlüssel zum Erfolg sind offene Plattformen: Hier können europäischen Unternehmen eine internationale Rolle spielen.

Nennen Sie Beispiele.

Höttges Offene Plattformen haben den Vorteil, dass Sie dem Kunden nicht vorschreiben müssen, dass er sich auf Produkte oder Dienste einer Firma festlegen muss. Wir haben Qivicon entwickelt, damit Geräte im Haus untereinander vernetzt werden und auch von unterwegs aus steuerbar sind, sie steht jedem Anbieter offen. Unser E-Book-Reader Tolino hat den deutschen Verlagen geholfen, sich von US-Konzernen zu emanzipieren. Wir sollten die Chancen, die sich für die europäischen Unternehmen durch die Digitalisierung bieten, nicht verspielen. Wenn wir faire Rahmenbedingungen und eine Zusammenarbeit über Industriegrenzen hinweg schaffen — dann hat Europa auch eine gute Chance von der Digitalisierung zu profitieren.

Andreas Gruhn und Reinhard Kowalewsky führten das Gespräch.

(RP)
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