Brüssel Zocken mit der Firmen-Bonität

Brüssel · Bislang ging die Wette mit den Bonitätsanleihen meist auf. Doch nun will die Bankenaufsicht das Finanzprodukt für Privatkunden verbieten.

Angesichts der Niedrigzinsen sehnt sich der Sparer nach einer Anlage, die wenigstens etwas Rendite abwirft. Genau so ein Produkt hat die Finanzindustrie mit den Bonitätsanleihen kreiert. Sie wurden eigens für Privatanleger gestrickt. Sparer reißen sie dem Marktführer in diesem Bereich, der Stuttgarter Landesbank LBBW, und ihrer Konkurrenz förmlich aus den Händen. Wenn alles gutgeht, kommt das eingesetzte Kapital nach der vereinbarten Laufzeit zurück, und die Verzinsung stimmt auch noch. Wenn nicht, drohen dem Verbraucher aber hohe Verluste - bis hin zum Totalausfall.

Die Bankenaufsicht Bafin will jetzt die Notbremse ziehen. Erstmals, seit sie mit dem Kleinanlegerschutzgesetz dazu die Möglichkeit hat, will sie den weiteren Verkauf von Bonitätsanleihen an Privatanleger verbieten. Sie hält das Risiko, das diese eingehen, für zu hoch. Strukturierte Produkte, die sich auf Kreditrisiken beziehen, könnten für institutionelle Anleger sinnvoll sein, so lautet das Fazit der Bafin. "In die Hände von Privatkunden gehören sie aus unserer Sicht aber nicht", so Bafin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele. Bis September führt die Behörde noch eine schriftliche Anhörung durch, an der sich die Finanzindustrie und Verbraucher beteiligen können. Alle rechnen damit, dass dann als Nächstes das Verbot verhängt wird.

Einen Marktanteil von 45 Prozent hat die LBBW. Laut Branchenverband waren hierzulande Ende Mai 6,3 Milliarden Euro in Bonitätsanleihen investiert. Damit haben derartige Papiere einen Marktanteil von zehn Prozent bei den strukturierten Wertpapieren. Das Besondere bei den Bonitätsanleihen besteht darin, dass der Anleger eine Wette darauf abschließt, dass das Unternehmen, das Geld bekommt, zahlungsfähig bleibt. Zurückgezahlt wird, wenn, wie es im Slang der Branche heißt, "kein Kreditereignis" eintritt. Schönes Wort. "Kreditereignis" meint nicht nur die Pleite eines Unternehmens, sondern kann je nach Bedingung auch greifen, wenn das Unternehmen seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommt. Der Anleger gewährt dem Unternehmen mit der Bonitätsanleihe also so etwas wie eine Kreditausfallversicherung.

Die Bafin ist überzeugt, dass Anleger ihre Entscheidung weitgehend im Status des Unwissens fällen: "Privatkunden können dies in der Regel nicht bewerten." Sie könnten nicht wissen, schreibt die Bafin, wie hoch die Ausfallwahrscheinlichkeit ist und "ob die Übernahme des Kreditrisikos durch die Höhe des Zinsversprechens adäquat vergütet wird". Der Anleger hat gleich zweimal das Insolvenzrisiko: bei dem Unternehmen, das sein Kapital bekommt, und bei der Bank, die den Deal abwickelt. Bislang sind erst zweimal Anleger geschädigt worden, und zwar im Zusammenhang mit der Lehman-Pleite und den seinerzeit vor allem von Volks- und Raiffeisenbanken vertriebenen "Cobold"-Anleihen. Einen Ausfall gab es auch in der Griechenland-Krise.

Zudem haben die seit März laufenden Recherchen der Bafin, bei denen die Beratungsprotokolle der Vertriebsmitarbeiter eingesehen wurden, ergeben, "dass bereits die Produktbezeichnung Bonitätsanleihe irreführend ist". Anders als der Name nahelege, handle es sich nicht um klassische Anleihen. Der Anleger sei nicht Geber der Anleihe, sondern übernehme die Rolle eines Versicherungsgebers. Diese "Rollenverwirrung" lasse das Finanzprodukt in den Augen von Laien "fälschlicherweise als Zinspapier erscheinen", so die Bafin weiter. Um es noch einmal klar zu sagen: Nicht das Produkt soll verboten werden, sondern vielmehr der Verkauf an Privatleute. Niemand, der jetzt schon Bonitätsanleihen in seinem Depot hat, wäre von einem Verbot der Bafin betroffen.

Die Aufsicht geht davon aus, dass die Finanzindustrie es regelrecht auf Kleinanleger abgesehen hat. Banken würden diese Wertpapiere "gezielt für den Absatz an Privatkunden produzieren". Die Aufklärung über die Risiken sei vernachlässigt worden. Die Auswertung der Beratungsdokumentation habe ergeben, "dass diesen Kunden die Funktionsweise dieser Produkte in der Regel nicht adäquat erklärt wird".

Der Hamburger Anwalt Ulrich Husack von "Juest & Opprecht", der von der Lehman-Pleite geschädigte Kunden vertreten hat, beschäftigt sich bereits mit den Bonitätsanleihen. "Die Argumentation der Bafin im Hinblick auf die Rollenverwirrung könnte dazu dienen, eine Pflichtverletzung seitens der Bank bei der Beratung zu erkennen", sagt Husack. Der Jurist sehe Ansatzpunkte, die beratenden Banken auf Schadenersatz zu verklagen und sie dazu zu zwingen, die Verträge rückabzuwickeln.

Die LBBW kritisiert dagegen die Bafin: "Gegenwärtig können wir die Begründung der Maßnahme nicht ohne Weiteres nachvollziehen", so ein LBBW-Sprecher. Es gebe auch keinerlei Anlass, zu zweifeln, dass die Kunden seriös über die Risiken aufgeklärt werden.

(RP)
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