Berlin Wie die Griechen den Schuldenschnitt verspielten

Berlin · Die deutsche Regierung hat Griechenland in den Verhandlungen viel mehr angeboten, als offiziell bekannt wurde

Athen: Tausende demonstrieren für Europa
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30 Juni: Tausende demonstrieren in Athen für Europa

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In den offiziellen Dokumenten zu den Verhandlungen der Eurogruppe mit Griechenland vom Wochenende finden sich keine Hinweise auf einen möglichen Schuldenschnitt für das Land. Während der Gespräche lag dieses Angebot aber sehr wohl indirekt auf dem Tisch, wie unserer Zeitung aus Brüsseler Kreisen bestätigt wurde.

Die Eurogruppe setzte demnach am Wochenende bei den Gesprächen für den Verbleib von Griechenland im Euro alles daran, den Griechen eine goldene Brücke zu bauen. Um den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras davon zu überzeugen, dass seine Regierung die Bedingungen für die Verlängerung des zweiten Hilfspakets akzeptiert, soll Kanzlerin Angela Merkel bereits am Freitag in Brüssel den Griechen eine langfristige Perspektive für einen Ausweg aus den Schulden aufgezeigt haben. Demnach soll Tsipras ein drittes Hilfspaket in Verbindung mit einer Umschuldung in Aussicht gestellt worden sein. Eben dies wäre auf einen teilweisen Schuldenerlass hinausgelaufen. Zudem soll den Griechen ein Investitionspaket von 35 Milliarden Euro mit nur einer sehr geringen Co-Finanzierung angeboten worden sein. Diese Angebote sollten für den Fall gelten, dass sich Griechenland auf die von der EU geforderten Reformanstrengungen einlässt. Aber eben diese Bedingungen lehnte Tsipras ab.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) widerspricht allerdings der Version, dass es entsprechende großzügige Angebote an die Griechen gegeben habe. Ein solcher Deal wäre in der Unionsfraktion auch nur schwer durchzusetzen gewesen. Gestern sagte Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU): "Ein Schuldenschnitt wird bei uns nicht diskutiert und deutlich abgelehnt."

Einigkeit herrscht in der großen Koalition darüber, dass man die Tür für Verhandlungen mit den Griechen politisch nicht schließen möchte. Formal ist dies bereits geschehen. Denn die Griechen stimmen am Sonntag über das zweite Hilfspaket und seine Bedingungen ab, für das die Fristen aber abgelaufen sind. Wenn die Griechen tatsächlich über ein neues, also ein drittes Hilfspaket, verhandeln wollten, müssten dafür neue Anträge gestellt werden. Die Bundesregierung will sich darauf nicht vor dem Referendum einlassen, da die Abstimmung am Sonntag als richtungsweisend gilt: Sollten die Griechen ihrer Regierung folgen und mit Nein stimmen, dann steht ihnen der Ausstieg aus dem Euro oder zumindest die Etablierung einer Parallelwährung bevor. Sollten sie aber entgegen der Empfehlung des Syriza-Lagers für die Annahme stimmen, wird es zu einer Regierungsumbildung oder zu Neuwahlen kommen. Einer neuen Regierung stünde die Möglichkeit offen, an jenem Punkt über ein neues Hilfspaket weiter zu verhandeln, an dem Tsipras ausgestiegen ist. Doch je länger sich ein solcher Prozess hinziehen sollte, desto schwieriger wird es, Griechenland vor dem alltäglichen Chaos zu bewahren.

(qua)
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