Kolumne Kurt Von Storch Wer ist schuld an den Minizinsen?

Der Streit zwischen deutschen Politikern und EZB-Präsident Mario Draghi wird schärfer.

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) lässt uns nicht los. Sie ist das Ergebnis einer globalen Schuldenkrise - einer Krise, die viel komplexer und diffuser ist als frühere Krisen. Die Zahl der Lösungsmöglichkeiten scheint begrenzt; zumindest gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Weil das so ist und weil die Protagonisten zunehmend überfordert sind, hat die Suche nach Sündenböcken längst begonnen.

Für die meisten Deutschen, inklusive Finanzminister Wolfgang Schäuble, ist die Sache klar: EZB-Präsident Mario Draghi hat Schuld. Mit seiner Nullzinspolitik enteignet der EZB-Präsident eine komplette Sparer-Generation. Der Gescholtene wiederum verweist darauf, dass die Notenbank Geldpolitik für den gesamten Währungsraum betreibe und keine Rücksicht nehmen könne auf die Befindlichkeiten eines einzelnen Mitgliedstaates. Er sei seinem Mandat verpflichtet, für Geldwertstabilität zu sorgen; er kann es sich schlicht nicht leisten, nichts zu tun. Und außerdem, so argumentiert Draghi weiter, würden die Deutschen nicht gezwungen, ihr Geld auf Sparkonten anzulegen. Es gäbe schließlich attraktivere Alternativen (womit er Recht hat).

Nehmen wir die Streithähne Draghi und Schäuble exemplarisch heraus. Beide, so heißt es, schätzen sich sehr - eigentlich. Der zunehmend öffentlich ausgetragene Streit belegt jedoch, wie strapaziert das Nervenkostüm der Protagonisten ist - und wie fern eine Lösung der Schuldenkrise, verbunden mit einer Normalisierung der Geldpolitik, also steigenden Zinsen.

Lassen Sie uns auf die Motive schauen: Schäuble sorgt sich qua Amt um seine Sparer. Wenn deren Erspartes entwertet wird, dann wird das zu einem politischen Problem. Denn wer überzeugt ist, dass die Regierung nicht genug Druck auf die Geldentwerter ausübt, wird seine Stimme vermutlich anderen Parteien geben. Einerseits.

Andererseits profitiert Schäuble massiv vom Tiefzins. Ohne die günstigen Refinanzierungskosten hätte er sich seine "schwarze Null" abschminken können. 2015 lagen die Zinsausgaben von Bund, Ländern und Kommunen mit 52 Milliarden Euro um 16,4 Milliarden unter den Ausgaben von 2008. Nimmt man den Durchschnittszins von 2008 als Maßstab und multipliziert ihn mit den Schulden 2015, dann beträgt die Ersparnis sogar 36 Milliarden. Im Vergleich dazu wirken die Ausgaben für Flüchtlinge wie Taschengeld.

Kommen wir zu Mario Draghi, dem, wie es oft heißt, "heimlichen Kanzler" Europas. Macht und Ohnmacht liegen bei ihm jedoch nah beieinander. Er ist mächtig, weil er es geschafft hat, den Euroraum zumindest für eine Weile zu stabilisieren. Und er ist ohnmächtig, weil er - um die Eurokrise zu lösen - auf die Hilfe der Regierungen angewiesen ist. Sie waren und sind in der Pflicht, Strukturreformen zu verabschieden, um die Wachstumskräfte zu stärken. Sie haben es aber nicht getan, weil es politisch viel bequemer ist, sich auf die Geschenke der EZB zu verlassen. Sie haben den Schwarzen Peter an Draghi weitergegeben. Die nächste Wahl ist ihnen lieber als schmerzhafte, aber notwendige Reformen nach dem Vorbild Gerhard Schröders Agenda 2010.

Dem EZB-Chef sind die Hände gebunden. Er wird den Zins nicht anheben können, weil viele Eurostaaten sonst pleite wären und er zum Totengräber des Euro würde. Das wird er nicht riskieren. Lieber gibt er den Schwarzen Peter 2019 an seinen (womöglich deutschen) Nachfolger weiter.

DER AUTOR IST GRÜNDER UND VORSTAND DER FLOSSBACH VON STORCH AG.

(RP)
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