Ingolstadt Vorsprung durch Tricks

Ingolstadt · Giovanni P. wusste, dass es irgendwann so weit sein könnte, dass sie kommen würden, um ihn zu verhaften. Deswegen hat er den roten Leitz-Ordner zusammengestellt und ihn seiner Frau und seinem Sohn übergeben - nur für den Ernstfall.

Ingolstadt: Vorsprung durch Tricks
Foto: Zörner

Der Ernstfall ist eingetreten. Seit dem 3. Juli 2017 sitzt der ehemalige Audi-Motorenentwickler in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Er soll an den Manipulationen von Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen beteiligt gewesen sein, die Audi anschließend in den USA verkauft hat. Die Frage ist jedoch: Wer wusste sonst noch darüber Bescheid?

P. war von 2006 bis 2015 einer der führenden Motorenentwickler bei der Volkswagen-Tochter Audi. Die US-Justiz wirft P. vor, er habe "Audi-Mitarbeiter angewiesen, Software zu entwickeln und einzubauen, mit der die standardmäßigen US-Abgastests getäuscht werden". Die Münchner Justiz verdächtigt P. des Betruges. Gegen aktuelle oder ehemalige Vorstände werde jedoch nicht ermittelt, teilte die Staatsanwältin Karin Jung mit - also auch nicht gegen den seit Monaten in der Kritik stehenden Audi-Chef Rupert Stadler. Ihn und andere Vorstände soll P. angeblich hinters Licht geführt haben, heißt es.

Es gibt jedoch auch die andere Sichtweise - die, die sich in einer 28-seitigen Aufstellung findet, über die zunächst die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte: In dieser Übersicht sind nach Informationen unserer Redaktion E-Mails aufgelistet, Daten von Sitzungen sowie deren Teilnehmer. Die Verteidiger von Giovanni P., Walter Lechner und Klaus Schroth, haben sie der Justiz am 27. Juli übergeben. Die Auflistung soll belegen, dass die Ingenieure nur ein Rädchen im System gewesen sind.

Demnach wussten hochrangige Manager, dass die Tanks für den Harnstoff AdBlue in den Audi-Dieselfahrzeugen zu klein sind. Mit dem künstlich erzeugten Harnstoff lassen sich die Abgase reinigen. Die Ingenieure sollen gesagt haben, dass es entweder größere Tanks oder kürzere Service-Intervalle bräuchte, damit die Abgasreinigung angemessen funktioniert. Das soll jedoch nicht gewünscht gewesen sein.

Es ist unklar, ob die Vorwürfe zutreffen, oder ob Giovanni P. die Manager nur beschuldigt, um seine eigene Strafe zu mildern. Audi-Chef Stadler hat in der Vergangenheit stets bestritten, über irgendwelche Manipulationen informiert gewesen zu sein. Ein Audi-Sprecher wollte sich mit Hinweis auf laufende Verfahren nicht weiter äußern.

Walter Lechner, der Anwalt des Audi-Entwicklers, sagt: "P. ist ein Unterabteilungsleiter. Der ermittelnde Staatsanwalt vertritt die Auffassung, dass P. seine Vorgesetzten als gutgläubige Werkzeuge benutzt habe. Dass diese von nichts gewusst haben sollen, ist jedoch undenkbar und widerspricht jeder Lebenserfahrung."

Lechner und sein Kollege Schroth haben Haftbeschwerde eingelegt. Sie wollen, dass ihr Mandant aus der Untersuchungshaft freikommt. Die US-Justiz hat jedoch beantragt, P. in Auslieferungshaft zu nehmen. Unklar ist, ob Deutschland tatsächlich einen anderen europäischen Staatsbürger - P. ist Italiener - an die USA übergeben würde.

Doch genau davor soll Giovanni P. große Angst haben. Deshalb soll er bereitwillig aussagen. Zehn Mal hätten die Ermittler ihn bereits verhört, heißt es. Am Mittwoch soll es erneut eine Befragung geben. Der Leitz-Ordner birgt noch viele Fragen.

(frin)
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