Streit mit Zulieferer Die Golf-Krise

Berlin/Wolfsburg · Volkswagen muss in immer mehr Werken die Produktion drosseln, weil für die Modelle Golf und Passat Teile fehlen. In Wolfsburg wurde am Montag stundenlang mit dem Zulieferer verhandelt. Interne Papiere zeigen, dass die Nerven blank liegen.

 Dunkle Wolken über Wolfsburg. Wieder einmal.

Dunkle Wolken über Wolfsburg. Wieder einmal.

Foto: dpa, jst cul fpt gfh

Wie heftig der Krieg zwischen VW und den Zulieferern Car Trim und ES Automobilguss seit Wochen tobt, lässt sich an einer Zahl ablesen: 76,35 Euro. Diese Differenz entdeckten VW-Mitarbeiter zwischen einer rund 385.000 Euro hohen Rechnung von ES Guss und den Zahlen im eigenen System - und verweigerten die Auszahlung. Dies belegt ein Schriftwechsel zwischen den Unternehmen, der unserer Redaktion vorliegt. "Ich hoffe sehr, dass diese Handlungsweise nicht einem ungerechtfertigten VW-seitigen Embargo wegen unserer Auseinandersetzung hinsichtlich der Belieferung Ihres Hauses geschuldet ist", heißt es in einem Schreiben des Zulieferers an VW. Ein VW-Sprecher betonte, man habe den Betrag inzwischen überwiesen. Es sei jedoch nicht ungewöhnlich, dass es Klärungsbedarf bei Rechnungen gebe.

Doch der Vorfall zeigt: Die Nerven liegen in Wolfsburg blank. Der Liefer-Boykott der Zulieferer hat den größten Autohersteller des Landes innerhalb von Tagen ins Straucheln gebracht. Im Stammwerk Wolfsburg steht die Produktion des Golf still, auch in den Werken Emden, Zwickau, Kassel, Salzgitter und Braunschweig kommt es zu Einschränkungen. Bis Ende August, heißt es, könnten rund 30.000 Beschäftigten nicht so arbeiten, wie es geplant sei.

Am Montag kam es daher zum Krisentreffen. Von 13 Uhr an tagten die Konfliktparteien in einem Wolfsburger Hotel, stundenlang wurde diskutiert, aber ob es am Ende auch einen Durchbruch gab, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest.

Mit jedem weiteren Tag der vergeht, werden die Auswirkungen jedoch größer. Denn natürlich liefern auch andere Zulieferer Teile für die Produktion an VW. Doch solange die Bänder stillstehen, werden auch diese nicht gebraucht. Noch mache man sich keine Sorgen, kurzfristige Schwankungen seien normal, hieß es zuletzt bei einem großen NRW-Unternehmen. Schließlich könnten die VW-Mitarbeiter den Ausfall ja bis Jahresende durch Extraschichten wieder wettmachen.

So haben sie es auch bei Ford gehandhabt, damals, Ende der 1990er Jahre, als Lieferprobleme der Türschlossfirma Kiekert für einen Produktionsausfall sorgten. Doch damals wurde in Köln noch im Zwei-Schicht-System gearbeitet, durch die zweitägige Produktionsunterbrechung liefen nur etwa 2000 Fahrzeuge weniger vom Band.

10.000 Fahrzeuge weniger

Bei VW hat der Ausfall jedoch ganz andere Dimensionen: Allein in Wolfsburg rollen an einem normalen Tag rund 3850 Fahrzeuge aus dem Werk, Experten schätzen, dass durch den Streit bis zu 10.000 Fahrzeuge weniger produziert werden könnten - pro Woche. Die Finanzaufsicht Bafin prüft daher nun auch, ob VW die Finanzmärkte früher über die Probleme hätte informieren müssen - immerhin können sich diese auch auf den Aktienkurs auswirken.

Zumal noch immer unklar ist, wen welche Schuld an dem Konflikt trifft. Beide Seiten stricken eifrig daran, dem jeweiligen Gegenüber die Schuld in die Schuhe zu schieben. Klar ist nur, dass es um ein Zukunftsprojekt mit Car Trim geht, das VW nicht weiterführen wollte. Dadurch soll dem Unternehmen ein hoher Schaden entstanden sein. Dass es dieses Projekt gab, bestätigt man auch im Umfeld von VW. Allerdings habe es wiederholt Qualitätsprobleme gegeben, weshalb man sich gegen die weitere Zusammenarbeit entschieden habe. Als Entschädigung verlangen die beiden Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss, an die angeblich ein Teil der Forderungen abgetreten worden sein soll, demnach Schadenersatz. Laut "Süddeutscher Zeitung" geht es um insgesamt 58 Millionen Euro. Im Umfeld von VW heißt es, die Zulieferer hätten nie genau aufgeschlüsselt, wie sich die Summe zusammensetzt, weshalb man vorläufig nicht bezahlen wollte.

Für die Prevent-Gruppe ist es nicht der einzige Konflikt mit einem Autobauer, auch mit Daimler streitet man sich vor Gericht - auch hier geht es um Millionensummen. Entsprechend besorgt sind auch die Mitarbeiter des Zulieferers ES Automobilguss, die heute bei einer Betriebsversammlung Aufklärung verlangen. Denn natürlich ist auch ihnen klar, was es bedeutet, wenn man sich mit VW anlegt. Trotzdem entschied sich die aus Bosnien-Herzegowina stammende Familie Hastor, der die Prevent-Gruppe gehört, für den Lieferstopp.

Eigentlich eng verbunden

Gerade das macht den Fall auch so außergewöhnlich. Denn eigentlich sind Zulieferer und Autobauer eng miteinander verbunden - und so stark voneinander abhängig, dass man im Zweifel immer eine Lösung findet. Viele Zulieferer unterhalten an den Hauptsitzen von VW, Daimler und Co. eigene Zweigstellen. Auch ein großer Teil der Entwicklungsarbeit wird von Firmen wie Bosch, Continental oder NRW-Unternehmen wie Hella und Delphi übernommen.

Andere Zulieferer wiederum übernehmen die Fertigung von Teilen, die nötigen Maschinen stellt dafür wiederum der Autokonzern. Möglicherweise hat VW auch deswegen darauf verzichtet, einen zweiten Zulieferer mit der Fertigung der Getriebeteile zu beauftragen - immerhin kostet jede weitere Produktionsmaschine oft Millionenbeträge. In der Regel geht diese Praxis gut, zu abhängig sind (gerade die kleineren) Zulieferer von großen Konzernen wie VW. Diesmal nicht.

(mar)
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