Interview mit BDA-Präsident Dieter Hundt "Wir müssen den Sozialhaushalt kritisch hinterfragen"

Düsseldorf (RP). Arbeitgeber-Präsident zeigt sich im Interview mit unserer Redaktion nur bedingt zufrieden mit der Arbeit der Regierungskoalition. Was Schwarz-Gelb dringend nachholen muss, warum er für längere Laufzeiten bei Atomkraftwerken plädiert und was er über Schwarz-grün denkt, verrät er im Interview.

Interview mit BDA-Präsident Dieter Hundt: "Wir müssen den Sozialhaushalt kritisch hinterfragen"
Foto: ddp, ddp

RP: Die Mehrheit der Manager ist laut Umfragen unzufrieden mit Schwarz-Gelb. Sie auch?

Hundt: Das äußere Erscheinungsbild der Bundesregierung ist wesentlich verbesserungsbedürftig. Die unterschiedlichen Positionen zu Gesundheitsprämie, Kernkraft oder Steuerreform müssen schnell geklärt werden. Der Koalitionsvertrag stellt die Weichen aber richtig. Die ersten Entscheidungen der Regierung waren ebenfalls überzeugend: Steuererleichterungen für die Bürger, Korrekturen bei der Unternehmens- und Erbschaftsteuer, die Fortsetzung der erleichterten Kurzarbeit und die Übernahme der krisenbedingten Mehrausgaben der Arbeitslosenversicherung durch den Steuerzahler. So wurden höhere Lohnzusatzkosten vermieden und Beschäftigung gesichert.

RP: Die NRW-CDU hat Unternehmen Gespräche mit Ministerpräsident Rüttgers gegen Geld angeboten. Schadet das dem Ansehen von Politik?

Hundt: Ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten darf nicht gegen Honorar angeboten werden. Das hat Herr Rüttgers ja ebenfalls bestätigt und offensichtlich auch entsprechend gehandelt.

RP: Die FDP hat im Wahlkampf mehr Netto vom Brutto versprochen. Darf man für eine Steuerreform mehr Schulden machen?

Hundt: Die Schuldenbremse des Grundgesetzes und die Maastricht-Kriterien setzen der Verschuldung in Zukunft wieder enge Grenzen. Diese müssen eingehalten werden. Mehr Schulden müssen aber nicht sein, um eine langfristig nötige Steuerreform zu finanzieren. Es gibt viele Möglichkeiten, Ausgaben zu senken.

RP: Welche?

Hundt: Wir müssen beispielsweise den Sozialhaushalt kritisch hinterfragen. Die Bundesagentur für Arbeit kann Milliarden Euro durch strikte Ausrichtung ihrer Fördermaßnahmen an Wirkung und Wirtschaftlichkeit einsparen, ohne dass die Leistungen für die Arbeitslosen schlechter werden. Ferner können wir die Subventionen überprüfen.

RP: Sollten wir die Pendlerpauschale streichen?

Hundt: Alle Subventionen müssen auf den Prüfstand. Wenn es wegen des Widerstands der jeweils Betroffenen nicht möglich ist, einzelne Vergünstigungen zu streichen, muss die Rasenmäher-Methode angewendet und jede Subvention gleichermaßen gekürzt werden.

RP: RWE-Chef Großmann will Kernkraftwerke bis zu 60 Jahre laufen lassen. Wäre das sinnvoll?

Hundt: Kernkraftwerke, die wirtschaftlich arbeiten, sollten so lange laufen, wie sie sicher sind. Die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt.

RP: Umweltminister Norbert Röttgen will die Laufzeit nur bis 2030 verlängern.

Hundt: Das wäre ein teurer Fehler. Wir benötigen die Kernkraft, um ausreichend Zeit für den Ausbau erneuerbarer Energien zu gewinnen.

RP: Sollten in Deutschland auch neue Atomkraftwerke gebaut werden?

Hundt: In dieser Legislaturperiode ist daran nicht zu denken.

RP: In NRW nähert sich die CDU gerade den Grünen an. Was würde eine solche Koalition für die Wirtschaft bedeuten?

Hundt: Nach den Erfahrungen mit Rot-Grün im Bund stehen die Grünen der Wirtschaft in Fragen der Steuer- und Sozialpolitik sowie der Tarifautonomie teilweise näher als Teile der SPD. Unüberwindbar scheinen mir allerdings die Differenzen zu den Grünen in der Energiepolitik.

RP: Was würde ein rot-rot-grünes Bündnis in NRW bedeuten?

Hundt: Eine solche Regierungskonstellation sähe ich mit großer Sorge. Die wirtschaftsfeindlichen Pläne der Linken würden Arbeits- und Ausbildungsplätze gefährden und in- und ausländische Investoren abschrecken.

RP: Die Metall-Branche hat jüngst einen viel gelobten Abschluss erzielt. Wie war das möglich?

Hundt: Die Tarifautonomie hat sich über Jahrzehnte bewährt — und ganz besonders auch in der jetzigen Krise. Durch die angemessenen Tarifabschlüsse ist es uns gelungen, in den guten Jahren 2005 bis 2008 Hunderttausende neuer Arbeitsplätze zu schaffen und in der Krise in großem Umfang Beschäftigung zu sichern. Der Vorstoß der französischen Finanzministerin, die die deutsche Exportwirtschaft aufruft, auf die Bremse zu treten, ist absurd.

RP: Welche Wünsche an die Tarifpolitik haben Sie?

Hundt: Wir lehnen eine Beeinträchtigung der Zeitarbeit, die wir brauchen, um Beschäftigungsschwankungen auszugleichen, ab. Sie ist ein Jobmotor. Auch die Forderung der Gewerkschaften nach gesetzlichen Mindestlöhnen lehnen wir ab.

RP: Am Montag streiken die Klinikärzte, sie fordern fünf Prozent mehr Lohn. Was halten Sie von dieser Forderung?

Hundt: Diese Forderung ist nicht bezahlbar. Aber bislang war noch jeder Abschluss niedriger als die Forderung. Gleichwohl sehe ich die wachsende Macht von Sparten-Gewerkschaften, etwa für Ärzte, Piloten oder Lokführer mit größter Sorge. Sie gefährden die Tarifeinheit in den Betrieben und damit den Flächentarif und unsere erfolgreiche Tarifautonomie.

RP: Das Kurzarbeitergeld hat bislang einen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert. Wie soll es weitergehen?

Hundt: Ich fordere, dass die bestehende Kurzarbeiter-Regelung verlängert wird, bis die Wirtschaftskrise überwunden ist. Auch Betriebe, deren Beschäftigte bis Ende dieses Jahres Kurzarbeit beginnen, müssen bis zu 18 Monate bei den Sozialbeiträgen entlastet werden.

RP: Der Streit um Hartz IV ist entbrannt. Brauchen wir eine Reform?

Hundt: Die Agenda 2010, insbesondere die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie der Grundsatz Fördern und Fordern waren und bleiben richtig. Über Details wie die Anrechnung von eigenen Einkünften muss geredet werden. Eine Diskussion darüber ist überfällig.

RP: Die große Koalition hat die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I verlängert, die SPD will hier noch mehr ...

Hundt: Das neue SPD-Programm fördert Arbeitslosigkeit statt Arbeit. Das ist ein Irrweg. Wir müssen versuchen, alle Potentiale für den Arbeitsmarkt zu nutzen.

RP: Machen die Arbeitsagenturen genug Druck auf die Langzeitarbeitslosen oder brauchen wir mehr Westerwelle?

Hundt: Die gesetzlichen Regelungen sind ausreichend. Die Frage ist, ob die Sanktions-Möglichkeiten überall gleich konsequent genutzt werden.

RP: Herr Westerwelle will Langzeitarbeitslose zum Winterdienst verpflichten. Sie auch?

Hundt: Westerwelle will Hartz IV-Empfänger zum Schnee schippen einsetzen, Frau Kraft zum Straßen kehren. Die Unterschiede sind nur saisonal. Wichtiger ist es, die Menschen nicht aufzugeben und die Anreize, etwa bei der Anrechnung von eigenen Einkünften auf das Arbeitslosengeld II, so zu setzen, dass Arbeitslose möglichst bald wieder wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen.

Das Gespräch führten Sven Gösmann, Martin Kessler, Antje Höning.

(RP)
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