TK-Chef Jens Baas im Interview "Wir haben zu viele Fachärzte"

Berlin · Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, spricht im Interview mit unserer Redaktion über Beiträge, Kassen-Tricks und Privatpatienten. Er sagt: In Deutschland gibt es nicht zu wenig Ärzte - sie sind nur falsch verteilt.

 TK-Chef Jens Baas (Archivbild).

TK-Chef Jens Baas (Archivbild).

Foto: dpa

In den nächsten Wochen entscheiden die gesetzlichen Krankenkassen über den Zusatzbeitrag, den ihre Mitglieder ab 2018 zahlen müssen. Wir sprachen mit Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, dem Branchenprimus.

Herr Baas, Sie tragen weiter einen Fitnesstracker. Auf wie viel Schritte kommen Sie?

Baas Ich schaffe im Schnitt 10.000 Schritte am Tag. Das klappt bei mir als Büromensch aber nur, wenn ich beim Telefonieren herumlaufe und drei bis vier Mal in der Woche auf den Crosstrainer gehe.

Morgens vor der Arbeit?

Baas Nein, ich bin eher ein Nachtmensch, lieber von 22 bis 23 Uhr. Und gerne gucke ich dabei Serien.

Das wahre Leben spielt in Berlin. Die Regierung erwartet für 2018 einen Rückgang des durchschnittlichen Zusatzbeitrags auf 1,0 Prozent. Können sich auch Ihre Mitglieder auf eine Beitragssenkung freuen?

Baas Das prüfen wir gerade, unsere Selbstverwaltung entscheidet am 20. Dezember. Unser Zusatzbeitrag wird auf keinen Fall steigen, ich hoffe, dass wir ihn um 0,1 Prozentpunkte auf 0,9 Prozent senken können. Damit wären wir weiter günstiger als der Durchschnitt der Kassen.

Wovon hängt das ab?

Baas 0,1 Prozentpunkte weniger Zusatzbeitrag kosten uns 190 Millionen Euro. Und die Ausgaben steigen weiter. Ich bin dennoch zuversichtlich.

Wo kommt der Geldsegen her?

Baas Die Konjunktur läuft gut, das treibt die Beitragseinnahmen aller Kassen. Besonders stark wachsen die Beiträge, die von EU-Ausländern kommen. Junge Griechen, Spanier und Italiener, die hier ihr Glück suchen, haben sehr gute Deckungsbeiträge. Zuletzt wuchs die Zahl der Beitragszahler aus diesen Ländern um fast neun Prozent.

Wie geht es weiter mit den Zusatzbeiträgen?

Baas Auf Dauer werden die Zusatzbeiträge aller Kassen wieder steigen, und das kräftig. Denn die Ausgaben wachsen munter weiter - und zwar stärker als die Einkünfte der Mitglieder, auf die sie Beiträge zahlen. Teilweise liegt das am medizinischen Fortschritt, teilweise am Unvermögen der Politik, die Ausgabenanstiege zu begrenzen.

Was macht Ihnen am meisten Sorgen?

Baas Die Pharmaausgaben machen zwar nur knapp ein Fünftel des Kassenbudgets aus, aber gerade bei neu in den Markt kommenden Arzneimitteln schießen die Preise rapide in die Höhe - innerhalb eines Jahres jüngst um 1000 Euro pro Packung. Das liegt auch an der Regelung, dass Pharmaunternehmen bei neuen Medikamenten im ersten Jahr Mondpreise nehmen können, bevor sie sich mit den Kassen auf Erstattungspreise einigen müssen. Der nächste Gesundheitsminister muss durchsetzen, dass diese Preise auch rückwirkend gelten.

Was erhoffen Sie sich mit Blick auf die Finanzen von der neuen Bundesregierung?

Baas Die neue Regierung muss dafür sorgen, dass staatliche Aufgaben nicht länger vom Beitragszahler finanziert werden, sondern von der gesamten Gesellschaft, also aus Steuermitteln. Das gilt insbesondere für Hartz-IV-Empfänger. Aktuell bekommen die Kassen für einen Hartz-IV-Empfänger keine 100 Euro. Das ist zu wenig. Wir benötigen mehr als das Doppelte, um ihn kostendeckend zu versichern.

Die Grünen wollen die Parität zurück.

Baas Wer die Arbeitgeber zu stark belastet, vernichtet Jobs. Aber natürlich können die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch nicht dauerhaft auseinanderlaufen. Ich kann mir vorstellen, dass eine Koalition sich darauf einigt, den allgemeinen Beitrag und damit auch den Arbeitgeberbeitrag anzuheben, aber einen maximalen Abstand zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag festschreibt.

Und was erhoffen Sie sich mit Blick auf die Digitalisierung?

Baas Alle Versicherten sollten einen Rechtsanspruch auf eine elektronische Gesundheitsakte bekommen, in der alle Daten, die die Kasse hat, alle Verordnungen und Behandlungen gesammelt sind. Sich widersprechende Medikationen und Doppelbehandlungen können so leicht vermieden werden, die Bürokratie in Praxen und Kliniken kann verschlankt werden. Wir entwickeln eine solche Akte gerade und gehen 2018 damit an den Start.

Wozu brauchen Sie dann noch die Regierung?

Baas Damit alle Kassen diese Akte anbieten. Wenn wir als Krankenkassen das nicht machen, werden internationale Konzerne solche Akten entwickeln und die Daten kommerzialisieren. Mit dem Datenschutz wäre es dann nicht mehr weit her.

Wie stellen Sie den sicher? Die elektronische Gesundheitskarte, die man beim Arzt vorlegen muss, kommt wegen ungeklärter Datenschutzfragen nicht voran.

Baas Wir bieten größtmöglichen Datenschutz. Die Daten liegen nicht bei uns, sie liegen bei unserem Dienstleister IBM Deutschland und sind maximal verschlüsselt. Der Versicherte allein entscheidet, wer was sehen kann - und ob außer ihm überhaupt jemand Einsicht haben soll.

Was hat der Patient davon?

Baas Zunächst einmal hat er seine Gesundheitsdaten sicher und gebündelt an einer Stelle zur Verfügung. Er sieht dann auch, welche Diagnose der Arzt für ihn eigentlich dokumentiert hat. Das kann helfen, Transparenz in den umstrittenen Wettlauf der Kassen um die Kodierung von Krankheiten zu bringen. Heute ist das lukrativ für die Kassen, weil sie dann mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich bekommen, aber schlecht für den Patienten. Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt und aus reiner Unwissenheit heraus nicht alles angibt, kann existenzielle finanzielle Nachteile erleiden.

Was muss beim Risikostrukturausgleich geschehen - jenem Umverteilungsmechanismus, der bestimmt, wie viel Geld eine Krankenkasse in Abhängigkeit von 80 bestimmten Krankheiten aus dem Gesundheitsfonds bekommt ?

Baas Hier brauchen wir eine grundlegende Reform, sonst gibt es in 20 Jahren nur noch AOKen. Aktuell werden genau diese Kassen mit Milliardenbeträgen belohnt, die sie gar nicht für die Versorgung ihrer Versicherten brauchen, andere bekommen systematisch zu wenig. Das System muss einfacher werden und weniger Angriffsfläche für die Einflussnahme von Kassen auf die Arzt-Diagnosen bieten. Es gab im Frühjahr zwar eine Gesetzesänderung, aber ein aktuelles Gutachten zeigt, dass schon wieder jeder fünfte niedergelassene Mediziner von Kassen "beraten" wird.

Im Alltag der Menschen ist vor allem die Warterei bei Ärzten ein Problem. Haben wir zu wenig Ärzte?

Baas Nein, wir haben genug Ärzte. Sie sind nur falsch verteilt. Wir haben zu wenig Hausärzte und zu viele Fachärzte. Und die Fachärzte gehen bevorzugt dahin, wo es viele Privatpatienten gibt. Das ist aus Sicht des Arztes individuell rational, gesamtgesellschaftlich aber schlecht.

Ihr Vorschlag?

Baas Auf Dauer müssen wir zu einer einheitlichen Honorierung der Ärzte kommen, dann werden sich die Ärzte auch regional besser verteilen. Und wenn die niedergelassenen Ärzte für Privatpatienten nicht länger mehr Geld bekommen als für Kassenpatienten, verschwinden auch die Anreize, die Patienten unterschiedlich zu behandeln. Das fängt mit der Terminvergabe an.

Sie provozieren einen Aufstand der Ärzte ....

Baas Um Nachteile auszugleichen, müssten die gesetzlichen Kassen rund fünf Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Das würde die Einnahmen der Ärzte im Schnitt stabil halten. Aber klar: Ärzte, die jetzt überproportional viele Privatpatienten haben, würden verlieren. Umgekehrt würden Allgemeinmediziner oder Kinderärzte gerade in nicht so wohlhabenden Gegenden profitieren.

Wollen Sie die Bürgerversicherung?

Baas Unter diesem Begriff verbergen sich viele verschiedene Definitionen. Ich kann mit der heutigen Konkurrenz leben. Aber ich will auch nicht, dass die private Krankenversicherung zu Lasten der gesetzlichen gerettet wird, das ist nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft. Mit jeder Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze hilft der Staat schon jetzt den Privaten, weil die Krankenkassen dann für Gutverdiener unattraktiver werden.

ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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