Computer versus Mensch Wie die IT-Revolution Jobs vernichtet

Düsseldorf · Wie kein anderes Ereignis seit der industriellen Revolution verändert die Informationstechnologie (IT) derzeit die Arbeitswelt. Millionen Jobs gehen durch die Maschinen verloren, aber es entstehen auch neue.

In London herrschte diese Woche Chaos. Zwei Tage lang streikte das U-Bahn-Personal gegen die Schließung der Fahrkartenschalter — und den damit verbundenen Jobabbau. Millionen Pendler sind betroffen. Aus Sicht der Stadt werden die Stellen nicht mehr gebraucht: Die Arbeit der Fahrkartenverkäufer haben längst Maschinen übernommen.

Es ist ein Beispiel von vielen, das zeigt: Je weiter die digitale Revolution voranschreitet, desto mehr Arbeitsplätze fallen ihr zum Opfer. In Großbritannien, in Deutschland, überall löst die Digitalisierung gesellschaftliche Verwerfungen aus, die es zuletzt in dieser Größenordnung zur Zeit der industriellen Revolution vor mehr als 200 Jahren gab.

Damals entstanden nach der Erfindung der Dampf- und Spinnmaschinen Fabriken; Menschen strömten vom Land in die Stadt, wurden Arbeiter statt Bauern. Tausende verloren in der Textilindustrie durch die billigere Produktionsweise ihre Lebensgrundlage. Und in Fabriken gab nicht mehr die Witterung den Menschen den Takt vor, sondern die Maschine.

1,46 Millionen neue Jobs im Jahr 2012

Nun sorgt die digitale Revolution dafür, dass sich Geschichte scheinbar wiederholt. Zwar spricht der IT-Branchenverband Bitkom in seiner jüngsten Studie davon, dass die Digitalisierung allein 2012 in Deutschland 1,46 Millionen neue Jobs geschaffen hat. Wie viele dem technischen Fortschritt zum Opfer fielen, erfasst die Studie aber nicht. Forscher tun sich mit der Antwort schwer — es ist kaum nachzuweisen, aus welchem Grund einzelne Arbeitsplätze wegfallen. Dass die Digitalisierung jedoch massenhaft Jobs vernichtet, ist unbestritten.

Egal ob in der Industrie, der Landwirtschaft oder dem Dienstleistungssektor — überall gibt es Beispiele, die zeigen, wie die Maschine den Menschen ersetzt. Während in der Industrie längst Roboter die Autos montieren, ist auch der idyllische Hühnerstall der vollüberwachten Agrar-Fabrik gewichen. Licht und Temperatur werden im Stall automatisch geregelt, die Verteilung des Futters regelt eine Maschine. Der Bauer ist heute Manager, er überwacht, kontrolliert, organisiert. In der Finanzwelt handeln Computer an Börsen in Hochgeschwindigkeit mit Milliardenbeträgen, in Banken geben sie den Angestellten mittels Risikobewertung vor, wer einen Kredit bekommt und wer nicht.

Die Maschinen helfen dem Menschen, mehr Äcker zu bewirtschaften, Autos zu bauen, Geschäfte abzuschließen. Sie sorgen dafür, dass der Einzelne mehr bewältigen kann. Die durch Maschinen oder Computer freigesetzten Arbeitskräfte können dann in anderen Wirtschaftssektoren Mehrwert schaffen oder neue Produkte herstellen — vorausgesetzt, es besteht die entsprechende Nachfrage. Umgekehrt gilt: "Je weniger spezielle Fähigkeiten ein Arbeitsplatz erfordert, je besser sich Resultate messen, analysieren und quantifizieren lassen, desto direkter und unmittelbarer ist der Wettlauf mit den Maschinen", fassen es Constanze Kurz und Frank Rieger im Buch "Arbeitsfrei — eine Reise zu den Maschinen, die uns ersetzen" zusammen.

Die Anforderungen haben sich verändert

Noch gibt es zahlreiche Branchen, in denen menschliche Arbeitskraft gefragt ist, in denen durch digitalen Fortschritt sogar neue Arbeitsplätze entstehen. Allein im Dienstleistungssektor waren es nach der Bitkom-Studie 2012 fast eine Million Stellen, in der Automobilindustrie 24.000. Allerdings haben sich die Anforderungen an die Arbeitskräfte verändert. Gesucht werden immer häufiger Menschen mit Spezialwissen, die etwa Arbeiten, die durch Computer erledigt werden, überwachen und bei Störungen eingreifen können.

Auch die Nachfrage bei einfachen Tätigkeiten wurde durch die Digitalisierung beflügelt — und wird noch für einige Zeit anhalten. Denn durch die digitale Revolution werden Strukturen zentralisiert, Außeneinheiten geschlossen und zusammengelegt. Es entstanden Call-Center, in denen Mitarbeiter sich um Kundenwünsche kümmern. Es entstehen Service-Arbeitsplätze bei Online-Banken, auch im Gesundheitsbereich gibt es Versuche mit Tele-Medizin. Physische Präsenz vor Ort wird durch den digitalen Wandel überflüssig.

Eine Vielzahl einfacher Jobs entsteht auch im Handel. Denn je häufiger Menschen ihre Einkäufe über das Internet abwickeln, umso mehr Menschen braucht es, die in den Logistikzentren von Amazon, Zalando und Co. die Ware verpacken oder sie anschließend als Paketfahrer an den Kunden ausliefern. Allein für das Weihnachtsgeschäft stellte Amazon kurzfristig 14.000 zusätzliche Mitarbeiter in Deutschland ein.

Noch ist die Technologie oft zu teuer

Noch wird es einige Zeit dauern, bis die Maschinen in diesem Bereich dem Menschen Konkurrenz machen können. Zwar testen die Deutsche Post und Amazon bereits die Auslieferung per Drohne, so dass in Zukunft Ware ohne den Menschen zugestellt werden könnte. Doch nur weil eine Tätigkeit automatisiert werden kann, heißt das nicht, dass sie auch automatisiert wird.

Denn es stellt sich immer die Frage nach den relativen Kosten, die entstehen. Im Klartext heißt das: Noch ist die Technologie oft zu teuer, um die Menschen überflüssig zu machen. Doch die Entwicklung schreitet unaufhaltsam voran — und setzt damit auch die Löhne unter Druck. Denn je mehr Arbeitsschritte von Computern übernommen werden, umso mehr Menschen mit geringer oder nicht mehr gefragter Qualifikation sind auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz.

Die Konkurrenz um immer weniger werdende Stellen hat bereits in der Vergangenheit in vielen Branchen, wie etwa der Fleischindustrie, für Niedriglöhne gesorgt. Sicher sollten sich jedoch auch die höher Qualifizierten nicht sein, heißt es in "Arbeitsfrei": "Wer denkt, sein Arbeitsplatz sei zukunftssicher, weil er Denkleistungen erfordert, die nicht ohne weiteres von einem Computer übernommen werden können, befindet sich möglicherweise in einem großen Irrtum."

(RP)
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