Wegwerfgesellschaft Langlebig war früher

Düsseldorf · Mobiltelefon, Fernseher, Waschmaschine - Verbraucher tauschen Elektrogeräte immer schneller aus. Das liegt an geplanten Produktlebenszeiten, aber auch am Hype um das ständig Neue. Beides ist eng miteinander verbunden.

Langlebige Rekordhalter
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Wer nach Werbebotschaften sucht, die sich ins Gedächtnis einbrennen, denkt häufig an jenen für den VW Käfer. Mit dem Slogan "Er läuft und läuft und läuft..." warb Volkswagen nach dem Krieg für das Lieblings-Auto der Deutschen, das Symbol des Aufschwungs, das Kultgefährt der Hippies, den Hauptdarsteller in den "Herbie"-Filmen.

Man hatte das Gefühl, der Käfer könne ohne größere Wartungsarbeiten quer durch die ganze Welt fahren. Ebenso unkaputtbar wie das mehr als hundertjährige Licht der kalifornischen Kleinstadt Livermore mit der am längsten brennenden Glühlampe der Welt (seit Juni 1901). Die muss nur noch gut drei Monate leuchten, dann hätte sie eine Million Betriebsstunden hinter sich. 114 Jahre - in dieser Zeit verbrauchen manche Konsumenten und deren Nachfahren heute mehr als 50 Handys, kaufen 20 Mal einen Flachbildschirm, möglicherweise genauso viele Autos und zehn Waschmaschinen.

Solche Zahlen legt die noch laufende Studie des Bundesumweltamtes über die "Erstnutzungsdauer" von Elektronikprodukten nahe. Ein Beleg dafür, dass wir immer häufiger Mobiltelefon, Fernseher und Waschmaschine austauschen. Tenor: Erstens halten die Geräte nicht mehr so lange, und zweitens wollen wir immer schneller etwas Neues in der Hand, im Wohnzimmer oder in der Waschküche, auch wenn die Technik noch längst nicht hin ist.

Wir sollten also nicht nur darüber klagen, dass unsere Technik schneller verschleißt und die Hersteller uns mit ihren geplanten Produktlebenszyklen zwingen, häufiger als früher unsere Elektrogeräte auszutauschen. Wir sind auch selbst schuld, weil unser Gehirn ständig nach einem Produkt auf dem neuesten technischen Stand schreit, nach dem neuesten Design, nach der ultimativen App, der besten Kamera, dem aktuellsten Navigationsgerät oder dem ultraleichten Notebook.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Die noch laufende Studie des Umweltbundesamtes hat bislang keinen Beleg dafür ergeben, dass die Elektronik-Industrie schlechtere Geräte baut als früher. Das wäre auch starker Tobak und schwer zu beweisen.

Aber natürlich tun die Hersteller das Ihre dazu, wenn sie wie Apple im iPhone Akkus einbauen, die sie nur selbst tauschen können, wenn die Kosten für eine Reparatur so hoch sind, dass eine Neuanschaffung die ökonomisch günstigere Variante für den Verbraucher ist, und wenn wie bei manchen Druckern Patronenfüllstände angezeigt werden, die überhaupt nicht stimmen. So etwas nennt man "geplante Obsoleszenz".

Die Lebensdauer eines Produkts wird künstlich begrenzt, und das kurbelt den Umsatz des Produzenten respektive des Verkäufers an. Der Kunde kauft, weil er keine andere Wahl hat, es sei denn, der Konsumverzicht ist für ihn eine Alternative. Das ist aber nur der eine Teil der Wahrheit. Der andere besteht darin, dass vor drei Jahren (neuere Zahlen liegen dem Umweltbundesamt nicht vor) etwa 60 Prozent der noch funktionierenden Flachbildschirme durch ein anderes Gerät ersetzt wurden.

Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald spricht hier von "sinnlicher Lebensbereicherung". Seine These: "In einem ereignislosen Alltag kommt das große Erlebnis, neudeutsch: der Thrill, über den Fernseher ins Leben. Und weil heutzutage irgendwann selbst ein Porno kaum mehr Aufregung auslösen kann als in den 50er Jahren ein Blick auf die nackte Brust von Hildegard Knef, muss die Hardware das besorgen, was der Inhalt nicht mehr zu leisten imstande ist - ein Hochgefühl zu vermitteln." Weil die Pixelzahl noch höher, die Bildauflösung mithin noch schärfer, das TV-Erlebnis noch grandioser ist. Das fiktive Abenteuer ist schon nicht mehr Ersatz für das echte, sondern das Abenteuer Technik.

Gewagte These. Aber der Psychologe Stephan Grünewald sagt, auch bei Mobiltelefonen sei das so. "Die Industrie greift nur die unersättliche Verwandlungsgier der Menschen auf", sagt Grünewald. Anders formuliert: Theoretisch braucht kein Mensch ein iPhone 6, solange das iPhone 4 seinen Dienst noch tut, aber er will doch die aktuellste Kamera, weil er dann sicher sein kann, dass sein Gerät auch die hipste Digitalkamera schlägt. Oder ihn im Freundeskreis heraushebt, ihn womöglich sogar attraktiver erscheinen lässt, als er ist. Zumindest braucht er immer die neueste Version des Betriebssystems, weil er sonst bestimmte Apps nicht mehr herunterladen kann, ohne die er nicht am "Quizduell" teilnehmen kann oder vom "Tinder"-Flirt ausgeschlossen wird. Und dann?

Angesichts solcher Beispiele könnte man leicht auf die Idee kommen, das kurze Leben der Geräte sei nur ein Phänomen von Smartphone oder Tablet und damit eines aus der Generation der dauervernetzten Jugend. Das ist aber insofern ungerecht gegenüber jungen Menschen, als die Generation der 40- und 50-Jährigen in vielen Fällen nicht anders tickt.

Diese Generation will auch beispielsweise Notebooks mit immer höheren Prozessorleistungen, weil das alte Gerät mit immer mehr Fotos, Musik und Videos vollgestopft ist und das Notebook durch die Datenflut immer langsamer wird. Man könnte sich möglicherweise von Teilen des Datenmaterials trennen, das den Rechner so langsam werden lässt. Aber das soll auf gar keinen Fall passieren, weil die Fotos vom Betriebsfest, vom letzten Urlaub oder der Geburtstagsfete so unersetzlich erscheinen.

Am Ende reduziert sich die Erkenntnis darauf, dass wir uns vom Gerät trennen, damit wir uns nicht von nur digital vorhandenen Erinnerungen trennen müssen. Früher gab's dafür Fotoalben und Ständer mit Videokassetten. Als der VW Käfer noch lief und lief und lief und das hundertjährige Licht von Livermore kaum mehr als eine Dreiviertelmillion Betriebsstunden hinter sich hatte.

(RP)
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