VRR-Chef Martin Husmann im Interview "15-Minuten-Takt beim RRX frühestens ab 2030"

Düsseldorf · Martin Husmann, Chef des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR), spricht im Interview mit unserer Redaktion über Volkshochschulkurse für Ticketautomaten, den Einsatz von Brennstoffzellen-Zügen am Niederrhein und pöbelnde Anzugträger.

 Martin Husmann spricht über den RRX mit unserer Redaktion.

Martin Husmann spricht über den RRX mit unserer Redaktion.

Foto: VRR

Herr Husmann, erleben Sie den Vollbetrieb des Rhein-Ruhr-Express (RRX) noch im Amt des VRR-Chefs?

Husmann Die ersten RRX-Fahrzeuge kommen Ende 2018. Mein Vertrag läuft noch bis Herbst 2019. Dann gehe ich in Ruhestand. Den für 2021 geplanten Vollbetrieb mit allen neuen Zügen werde ich nicht mehr im Amt erleben.

Heißt Vollbetrieb, dass ab 2021 alle neuen RRX-Züge im 15-Minuten-Takt zwischen Dortmund und Köln verkehren?

Husmann Nein, zunächst werden die neuen Fahrzeuge auf den bestehenden Strecken in der alten Taktung eingesetzt. Erst wenn DB Netz die Strecken ausgebaut hat, können wir die 15-Minuten-Taktung anbieten.

Ab wann rechnen Sie damit?

Husmann Die DB Netz hat mir versichert, dass sie im Frühjahr 2017 den ersten Spatenstich macht. Der Ausbau ist ein Riesenprojekt mit so mancher Unwägbarkeit. Realistisch wird es die neue Taktung frühestens 2030 geben — möglicherweise auch erst später.

Zu Verzögerungen könnte es schon während der Planfeststellungsverfahren kommen.

Husmann Es ist richtig, die Bürger frühzeitig einzubinden. Diese Verfahren dürfen keine Showveranstaltungen sein. Bedenken müssen ernst genommen und abgewogen werden. Unser Ziel ist es, möglichst viele der 14 Planfeststellungsbeschlüsse am Ende ohne anschließende Gerichtsverfahren hinzubekommen — auch das in Angermund.

Die Bürgerinitiative dort fordert eine Einhausung der Strecke. Eine realistische Lösung?

Husmann Wir reden über ein Vielfaches der heute geplanten Kosten - eine solche Summe würde den RRX zu teuer machen. Zumal jüngst ein Experte zu dem Schluss kam, dass aufgrund der Lage des Flüsschens Anger die Einhausung Mitten im Ort enden müsste, weil man den Fluss nicht überbauen darf. Für die Hälfte der Bürger in Angermund hieße das, dass sie trotz der Einhausung nur Lärmschutzwände bekämen. Außerdem würde die Einhausung die Bauzeit deutlich verlängern. Ich habe der Bürgerinitiative angeboten, auch mit mir über das Thema zu diskutieren. Bis heute ist sie auf dieses Angebot nicht eingegangen.

Bei Stuttgart 21 explodieren gerade die Kosten. Sind Sie zuversichtlich, beim RRX im Plan zu bleiben?

Husmann Natürlich gibt es bei solchen Riesenprojekten immer Dinge, die Sie nicht vorhersehen können. Ich gehe aber davon aus, dass die DB — nach heutigem Preisstand — mit den 2,5 Milliarden Euro hinkommt.

Der RRX muss sich künftig das Gleis an einigen Stellen mit dem Fernverkehr teilen. Das Problem, dass der Fernverkehr Vorrang hat, bleibt also.

Husmann Damit muss Schluss sein. Das gilt für den gesamten Regionalverkehr. Es ist doch blanker Unsinn, dass Tausende Pendler Verspätungen hinnehmen müssen, nur weil die Bahn für 400 Fernreisende maximal zwei Minuten Zeitgewinn erzielen will. Der RRX ist übrigens mit einem Antrieb ausgestattet, mit dem er in 72 Sekunden auf 160 km/h beschleunigen kann. Schneller kann auch ein Fernverkehrszug im eng besiedelten Gebiet zwischen Dortmund und Köln nicht fahren. Der Vorrang macht also keinen Sinn.

Wie wollen Sie erreichen, dass sich die DB vom Vorrang verabschiedet?

Husmann Ich habe der DB angeboten, wir könnten per Versuch untersuchen, welche Folgen der Wegfall des Vorrangs auf das System hat. Ich bin mir sicher, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen würden. Noch lehnt die Bahn einen solchen Test ab.

Während die Metropolregionen vom RRX profitieren, läuft die ländliche Region Gefahr, abgehängt zu werden.

Husmann Wir vergessen die ländlichen Regionen nicht, aber man muss die Wirtschaftlichkeit im Blick behalten. Es macht keinen Sinn, einen leeren RRX übers Land fahren zu lassen.

Trotzdem bindet der RRX viel Geld, das in Regionen wie dem linken Niederrhein dringend benötigt wird.

Husmann Es stimmt, dass das Streckennetz rund um Geldern, Krefeld und Kevelaer in einem beklagenswerten Zustand ist. Dort gibt es teils noch handbetriebene Schranken. Wenn dort ein Schrankenwärter ausfällt, was zu häufig schuldhaft passiert, muss der Lokführer den Zug anhalten und selbst die Schranken runterkurbeln, ein paar Meter weiterfahren, stoppen und sie dann wieder hochkurbeln. Das ist völlig inakzeptabel, aber in diesem Jahr schon zweimal vorgekommen. Deshalb machen wir Druck auf DB Netz, dass dort mehr passieren muss, denn die Zahl der Fahrgäste auf dieser Strecke steigt.

Wäre auch eine Elektrifizierung dieser Strecke denkbar?

Husmann Nein. Das wäre zu teuer. Aber im Münsterland wollen wir mit Brennstoffzellen betriebene Züge einsetzen. Wenn das erfolgreich läuft, könnten diese umweltfreundlichen Fahrzeuge auch am Niederrhein eingesetzt werden. Air Liquide könnte per Pipeline den Wasserstoff zu einer entsprechenden Tankstelle nach Krefeld liefern. Das wäre technisch kein Problem.

Sie haben die Art und Weise, wie Verkehrsaufträge in Deutschland ausgeschrieben werden, reformiert. Züge und Betrieb werden einzeln ausgeschrieben. Die Bahn verliert dadurch massiv im Regionalverkehr.

Husmann Anders ausgedrückt: Bei uns hat der Wettbewerb gezeigt, dass wir für die Fahrgäste besseres Wagenmaterial, mehr Komfort und bessere Pünktlichkeit bekommen. Da ist es nachrangig, ob ein Monopolist NRW-weit auf rund 40 Prozent Marktanteil sinkt.

Kritiker werfen Ihnen vor, dass die Ausschreibungen selbst den Neigungsgrad der Sitzlehne vorgeben.

Husmann Der Vorwurf kann nicht uns treffen - allenfalls Kollegen -, da wir auf standardisierte Fahrzeuge setzen. Wir legen Eckpunkte fest, weil wir klare Vorstellungen haben, wie ein guter Zug aussieht und was ein Betreiber liefern muss. Da ist aber für die Auftragnehmer genügend Spielraum vorhanden. Ich bin einfach kein Freund von Schnickschnack.

Der Siemens-Projektleiter hat kürzlich geschwärmt, die Pendler würden am liebsten gar nicht mehr aus dem RRX aussteigen. Übertrieben, oder?

Husmann Die Züge sind luftiger, bieten Platz für mehr Menschen, sind ausgestattet mit W-Lan und besserer Technik, um zu telefonieren. Zudem sind sie behindertengerecht. Sie sind deutlich schneller und wohl auch pünktlicher. Und das sind nur einige Vorteile.

Wie steht es um die Sicherheit an Bord?

Husmann Wir stellen fest, dass die Übergriffe zunehmen. Der Ton dem Personal gegenüber wird aggressiver. Es sind nicht nur Migranten, sondern auch Manager in Schlips und Kragen, die ausfallend werden und pöbeln. Es kann nicht sein, dass sich das Personal aus Angst zurückzieht. Deshalb gehen wir das Thema jetzt massiv an.

Was schwebt Ihnen vor?

Husmann Wir setzen auf den Einsatz sogenannter Verfügungsteams. In Dreierteams werden diese in den Zügen eingesetzt: zwei Sicherheitskräfte und ein Kontrolleur. Zudem werden künftig alle Straftaten auch angezeigt. Wir wollen deutlich machen, dass die Bundespolizei mehr Personal in Bahnhöfen einsetzen muss. Mit unserem Vorstoß, auch Hundestaffeln einzusetzen, konnten wir uns bei den uns tragenden VRR-Kommunen vorerst noch nicht durchsetzen. Nach einem einjährigen Pilotzeitraum soll bewertet werden, ob eine zusätzliche Begleitung durch Hunde nötig ist.

Wo muss der VRR sonst noch besser werden?

Husmann Beim Tarifsystem. Es kann nicht sein, dass die Volkshochschulen Kurse zur Bedienung eines Ticketsautomaten anbieten. Es gibt gerade eine Ausschreibung für neue Automaten, die mindesten beim bestehenden Tarifsystem zu Verbesserungen führt und mit denen die Kunden mit nur drei Klicks die passende Fahrkarte ziehen können. Diese werden wir ab Ende 2019 einsetzen. Die nächste Stufe wäre die weitere Digitalisierung des Vertriebs und damit die Einführung eines neuen, einfacheren Tarifmodells.

Welche mittelbaren Auswirkungen auf die VRR-Ticketpreise hat der RRX?

Husmann Zunächst einmal keinen. Ich will aber nicht ausschließen, dass bei Einführung der 15-Minuten-Taktung und damit der Verbesserung unseres Angebotes auch die Preise entsprechend anpassen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Klaus Peter Kühn und Maximilian Plück führten das Gespräch.

(maxi)
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