Urteil zur Tarifeinheit Gewerkschaften enttäuscht - Nahles erwartet weniger Streiks

Karlsruhe · Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat die grundsätzliche Bestätigung ihres Tarifeinheitsgesetzes in Karlsruhe als positiv für die Arbeitnehmer begrüßt. Man erwarte nun weniger Streiks. Die klagenden Gewerkschaften zeigen sich enttäuscht von dem Urteil.

 Bundessozialministerin Andrea Nahles spricht in Berlin zu Medienvertretern.

Bundessozialministerin Andrea Nahles spricht in Berlin zu Medienvertretern.

Foto: dpa, nie fgj vge wst

"Das Tarifeinheitsgesetz stärkt die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften", sagte Nahles am Dienstag in Berlin. Arbeitsstaatssekretärin Yasmin Fahimi sagte in Karlsruhe, sie hoffe, "dass das Gesetz dazu führt, dass man sich im Vorhinein besser miteinander verständigt und abstimmt und es hier und da zu weniger Streiks kommen wird."

Fahimi zeigte sich zuversichtlich, dass die Vorgaben der Richter an den Gesetzgeber schnell umgesetzt werden. Die Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung des Gesetzes begrüßte sie: "Ich glaube, dass das in der Praxis eher hilfreich sein wird."

Die klagenden Gewerkschaften haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz überwiegend enttäuscht aufgenommen. Die Richter hatten das Gesetz im Grundsatz als verfassungsgemäß eingestuft, aber Vorgaben gemacht, wie die Interessen von Minderheitsgewerkschaften besser berücksichtigt werden müssen. Das Gesetz sieht vor, dass nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb gilt, sofern sich die Gewerkschaften nicht einigen.

Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sagte in Karlsruhe: "Der Angriff auf Berufsgewerkschaften ist in erster Linie abgewehrt. Wir hätten uns allerdings eine klarere Entscheidung gewünscht, nämlich ein klares Zurückweisen des Gesetzes." Für die GDL gehe von dem Gesetz nach den Vorgaben des Gerichts allerdings keine Gefahr aus: "Die nächsten 150 Jahre sind bei uns gesichert." Kritiker hatten Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgeworfen, mit dem Gesetz vor allem die Bahnstreiks der GDL stoppen zu wollen.

Als "schwer nachvollziehbar" kritisierte der Vorsitzende des Beamtenbunds dbb, Klaus Dauderstädt, das Urteil. Die vom Gericht geforderten Änderungen und Ergänzungen würden das Gesetz kaum praktikabler machen. "Auf die Arbeitsgerichte kommen enorme Belastungen zu." Auch in neuer Form verschärfe das Gesetz die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Der dbb erwäge eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Verdi-Vizechefin Andrea Kocsis sagte: "Wenig Licht, viel Schatten." Die Lösung von Tarifkonflikten überlasse das Gericht den Arbeitsgerichten. "Uneinheitliche Urteile und unzählige Prozesse drohen zu jahrelanger Rechtsunsicherheit zu führen." Der Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, sagte: "Wir fühlen uns als Berufsgewerkschaft gestärkt und anerkannt." Nun müssten Arbeitsgerichte und Gesetzgeber die Vorgaben des Gerichts berücksichtigen. Der Präsident der Piloten-Vereinigung Cockpit, Ilja Schulz, kritisierte, kleine Gewerkschaften müssten weiter fürchten, durch eine größere verdrängt zu werden.

Die Deutsche Bahn will mit den beiden bei ihr aktiven Gewerkschaften "über die künftige Zusammenarbeit im Sinne des Urteils sprechen". Dazu solle der bis Ende 2018 bestehende Tariffrieden mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) genutzt werden, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber am Dienstag in Berlin.

"Das Gesetz hat im Kern Bestand, und das ist gut so", sagte Weber. "Unser Weg, partnerschaftlich mit zwei Gewerkschaften für ein und dieselbe Berufsgruppe gleiche Bedingungen zu schaffen, wurde heute vom höchsten Gericht bestätigt."

Mit der Bahn hatte die GDL 2007/2008 und 2014/15 harte Arbeitskämpfe mit Streiks ausgetragen. Die Gewerkschaft kritisierte das Mitte 2015 eingeführte Tarifeinheitsgesetz, weil kleinere Gewerkschaften wie sie selbst dann weniger Einfluss hätten. Sie hat zuletzt federführend für Lokführer und Zugbegleiter verhandelt.

(csr/dpa)
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