Stuttgart 21 Bahn muss 15 Millionen für Eidechsen-Umsiedelung zahlen

Stuttgart · Die Bahn muss bei ihrem umstrittenen Bauprojekt Stuttgart 21 aus Rücksicht auf die Tierwelt offenbar tief in die Taschen greifen. Wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte, kostet allein die Umsiedelung zweier Eidechsenarten Millionen.

 Eine Zauneidechse kurz vor ihrer Umsiedelung in Oberboihingen bei Stuttgart.

Eine Zauneidechse kurz vor ihrer Umsiedelung in Oberboihingen bei Stuttgart.

Foto: dpa, lim wie

Bewölkt, leichter Regen, viele Journalisten. Es ist keine Eidechsen-Zeit am Dienstagmittag am Rand von Oberboihingen südöstlich von Stuttgart. Menschen mit orangefarbenen Leuchtwesten und Angelruten stapfen langsam durchs hohe Gras, auch am nahen Damm der Bahnlinie Stuttgart-Tübingen entlang. Und suchen. Das Objekt ihrer Begierde: europaweit streng geschützte Lucerta agilis. 200 solcher Zauneidechsen haben sie in den vergangenen Wochen gefunden, 250 werden hier vermutet. Nach Vorgaben des Artenschutzes müssen sie weg, denn hier sollen bald die Bagger für die ICE-Trasse Stuttgart-Ulm rollen, die mit dem Tiefbahnhof Stuttgart 21 verbunden wird.

Die Experten fangen die streng geschützten Tiere mit einer an einer Rute befestigten Schlinge, ähnlich einem Minilasso, oder auch mal mit der Hand, wie Chefsammlerin Sandra Panienka berichtet. Zu beobachten ist ein solcher Fang am Dienstag nicht. Was zum einen am Wetter liege, zum anderen aber eben daran, dass die weitaus meisten Eidechsen hier eben schon eingefangen seien. Freigegeben würden von ihr immer nur die Flächen, "auf denen wir unser Möglichstes getan haben, um die Tiere abzusammeln", sagt Panienka.

15 Millionen Euro hat die Bahn für die Umsiedlung von Eidechsen entlang des Milliardenprojekts Stuttgart 21 und der ICE-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm eingeplant. Nicht das Einfangen mache das Ganze so teuer, so die Bahn, sondern auch die Planung, Beobachtung, Vertreibung und die Beschaffung von neuen Habitaten.

Um 18 Monate hätten sich die Bauarbeiten hier bei Wendlingen verzögert, sagt Bahnsprecher Jörg Hamann. 2000 bis 4000 Euro koste unter dem Strich die Umsiedlung jedes Tieres. Naturschützer mahnen derweil eine bessere Planung an: Artenschutz müsse nicht so teuer sein, wenn man nur rechtzeitig daran denke, sagt Johannes Enssle, Landeschef des Naturschutzbundes Nabu. "Es ist natürlich bedauerlich, wenn das so teuer wird", sagte Enssle. "Man muss aber auch fragen: Was haben sich die Planer dabei gedacht?"

Das Land mache der Bahn dauernd Vorschläge, wie man mit dem Thema Artenschutz umgeht, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die Bahn müsse diese aber auch annehmen. "Da mangelt es etwas." Er habe schon beim Faktencheck darauf hingewiesen, dass ein Gleisbett keine Steinwüste, sondern ein lebendiges Biotop sei. "Jetzt kann man nicht so tun, als sei man total überrascht." Auf die Frage, ob der Aufwand für solche Aktionen verhältnismäßig sei, sagt der Regierungschef: "Es ist nicht verhältnismäßig, Arten auszurotten."

Als artgerecht für eine Eidechse gilt nach Angaben der Bahn eine Fläche mit Steinhaufen, auf denen sich die Kriechtiere sonnen könnten, mit Sandflächen zur Eiablage, trockenen Ästen, Reisighaufen und Rückzugsräumen - sowie eine insektenfreundliche Vegetation, damit sie genug Nahrung finden. Solche Habitate sind für die Oberboihinger Zauneidechsen zehn Kilometer weiter vorbereitet worden.

Der Artenschutz ist auch auf anderen Baustellen des Megaprojekts Thema: So mussten am Bahnhof Feuerbach im Norden von Stuttgart Zauneidechsen eingesammelt werden. 655 000 Euro habe ihre die Umsiedlung nach Steinheim an der Murr nahe Ludwigsburg gekostet, berichtet die Bahn. Das seien annähernd 4500 Euro pro Tier. Für andere Zauneidechsen von einem Bauplatz in Untertürkheim errechnete das Unternehmen sogar 8599 Euro. Pro Tier.

Der neue Abstellbahnhof für Stuttgart 21 soll auf einem lange nicht genutzten Güterbahnhof entstehen. Allerdings haben sich dort mehr als 5000 Mauereidechsen angesiedelt. Ein Stück weiter auf einer anderen Baufläche leben laut Bahn weiter 1500 Exemplare.

Und dann gibt es ja noch den legendären Juchtenkäfer, der die Bahn schon auf dem Gelände des neuen Tiefbahnhofs geärgert hat. "Den Tieren geht es gut", sagt Stephan Blum, der Artenschutzbeauftragte der Bahn für Stuttgart 21. Am Bahnhof mussten sie umplanen, ebenso wie jetzt nahe der Wilhelma im Rosensteinpark. Dort habe man einen Tunnel eigentlich in offener Bauweise bauen wollen, berichtet Bahn-Sprecher Jan Dambach. Da dort aber sechs Bäume stehen, in denen Juchtenkäfer vermutet würden, müssten diese stehen bleiben. Die Bahn sieht 20 Millionen Euro Zusatzkosten.

(dpa/th)
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