Pro & Contra Sollte Deutschland weniger exportieren?

Berlin (RPO). Die Wirtschaftskrise hat die Ungleichgewichte im Welthandel verschärft. In Europa steht vor allem Deutschland mit seinem riesigen Handelsbilanzüberschuss in der Kritik. Die Defizitländern werfen Deutschland vor, sich auf ihre Kosten zu bereichern. Sollte Deutschland also mit einer Stärkung des Binnenmarktes den Überschuss abbauen und damit für ein größeres wirtschaftliches Gleichgewicht in der Eurozone sorgen? Im Folgenden dazu die Argumente im Pro und Kontra:

Pro: Überschuss drückt Handelspartner an die Wand

Deutschland hat seine internationale Wettbewerbsfähigkeit im vergangenen Jahrzehnt enorm gesteigert - allerdings auf Kosten seines Heimatmarktes. Dass Produkte "Made in Germany" günstiger wurden, ist vor allem der Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer zu verdanken, und nicht dem Erfindungsreichtum seiner Ingenieure.

Gewerkschaftsnahe Ökonomen wie Gustav Horn vom Institut IMK bemängeln, dass der private Konsum seit Jahren stagniert: "Wir haben einen sehr hohen Druck auf die Löhne ausgeübt, immer mit dem Argument, wir müssten unsere Exportfähigkeit steigern." Nach seiner Auffassung wurde von dieser Medizin zu viel eingenommen.

Im Ergebnis führt Deutschland viel mehr Waren in die anderen EU-Länder aus, als es von dort bezieht. "Dieser hohe deutsche Überschuss drückt unsere Handelspartner an die Wand", sagt Horn. Das meint auch Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde, wenn sie warnt: "Zum Tango gehören zwei." Um das Ungleichgewicht zu verringern, müsse Deutschland seine Binnennachfrage stärken.

Von den Handels-Verspannungen sind natürlich in erster Linie die Länder mit Reformschwächen betroffen: Griechenland, Italien, Spanien und graduell auch Frankreich. Selbstzufrieden oder gar hämisch zurücklehnen sollte sich Deutschland, das seine Agenda 2010 schon hinter sich hat, allerdings nicht. Denn Deutschland sei ja im europäischen Konvoi unterwegs und nehme auch Schaden, wenn seinen Abnehmerländern die Luft ausgehe, warnt Horn: "Wir sind an der Schwelle, ab der die Euro-Zone instabil wird." Mehr als 60 Prozent der deutschen Exporte gehen in andere EU-Länder.

Eine kräftigere Binnennachfrage könnte Deutschland außerdem helfen, seine Abhängigkeit von der Weltkonjunktur zu verringern. Dass das BIP 2009 mit fünf Prozent stärker geschrumpft ist als in anderen Industrieländern liegt auch an der Exportlastigkeit. Diese Einseitigkeit ist riskant: Jeder dritte Job hängt direkt oder indirekt vom Export ab - das sind gut 13 Millionen Stellen.

Contra: Deutschland für Reformen nicht bestrafen

Sich im Export künstlich zurückzunehmen, um die Ungleichgewichte in Europa zu dämpfen, wäre nach Auffassung der Bundesregierung falsch. Die deutsche Wirtschaft habe sich ihre Wettbewerbsfähigkeit mit schmerzhaften Reformen erkämpft. Dafür darf Deutschland nicht bestraft werden, lautet das Credo der Regierung gegenüber überseeischen und europäischen Kritikern.

Dieser Argumentation zufolge ist eine "Harmonisierung der Wettbewerbsfähigkeiten" in Europa das richtige Ziel. Dazu müssten die EU-Partner mit einer gemeinsamen Wachstumsstrategie ähnlich fitgemacht werden wie Deutschland. Außerdem gebe es noch den Wettbewerb zwischen Europa und anderen Regionen, vor allem den USA und China. Um das Wohlstandsniveau in Europa zu halten, müsse die Wettbewerbskraft in ganz Europa wachsen, und dürfe nicht der EU-Export-Primus Deutschland geschwächt werden.

Die Forderung, Deutschland müsse seinen Binnenmarkt über Reallohnerhöhungen oder über höhere Sozialleistungen stärken, würde das Land nur schwächen, argumentieren die Verteidiger des deutschen Handelsüberschusses. Entweder werde die Wirtschaft mit höheren Kosten belastet oder das gewaltige Staatsdefizit weiter aufgeblasen. Auch Steuersenkungen mit dem Ziel, den privaten Konsum anzuregen, fänden ihre Grenzen darin, dass man dem Staat im Interesse der Generationengerechtigkeit nicht noch mehr Lasten aufbürden dürfte, sei es durch höhere Sozialtransfers oder durch weitere Konjunkturprogramme.

(RTR)
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