Prosper Haniel in Bottrop In einem Jahr ist Schicht im Schacht

Bottrop · In einem Jahr schließt mit Prosper Haniel die letzte deutsche Zeche. Endzeitstimmung herrscht 1200 Meter unter der Erde nicht: Hightech-Maschinen bauen die Kohle ab. Selbstbewusst wickeln die Bergleute ihre Branche ab. Ein Besuch.

 Mit High-Tech-Maschinen wie Hobel und Walzenlader wird bei Prosper Haniel in 1200 Metern Tiefe die Steinkohle abgebaut (Archiv).

Mit High-Tech-Maschinen wie Hobel und Walzenlader wird bei Prosper Haniel in 1200 Metern Tiefe die Steinkohle abgebaut (Archiv).

Foto: RAG

Sechs Tonnen wiegt der Hobel, trotzdem flitzt er durch den 320 Meter langen Streb, 1200 Meter unter der Erde. Es ist dunkel, feucht. Wasser aus Sprinkleranlagen bindet den Staub, der früher für viele Kumpel die tödliche Staublunge brachte. 4000 bis 5000 Tonnen Kohle und Gestein holt der Hobel aus dem Flöz - jeden Tag. Doch Ende 2018 ist auch hier auf Prosper Haniel, einem der zwei letzten deutschen Bergwerke, in denen das schwarze Gold noch gefördert wird, Schicht. Der Steinkohle-Bergbau wird Geschichte.

"Es ist ein trauriger Moment, wenn ein Bergwerk schließt", sagt Thomas Echtermeyer. Er hat 28 Jahre auf der Zeche Auguste Victoria in Marl gearbeitet, 2015 wurde sie geschlossen, seitdem ist er auf Prosper. Der 47-Jährige fährt die Dieselkatze - jene Schienenhängebahn, die unter Tage Menschen und Werkzeug transportiert. 110 Kilometer misst das Streckennetz. Die Kohle selbst wird über ein 3,4 Kilometer langes Förderband über die Erde gebracht. Echtermeyer hat manche Kohlekrise erlebt. "Man hat mir Umschulungsangebote gemacht, aber ich bin froh, dass ich geblieben bin." Nun hofft er auf die 49er-Regelung: Bergleute, die lange unter Tage gearbeitet habe, dürfen mit 49 Jahren bei 80 Prozent der Bezüge in den Vorruhestand gehen.

"Ohne diese Regelung hätten wir den sozialverträglichen Ausstieg nicht hinbekommen", sagt Dirk Tomke. Er hat Hauer gelernt, wurde Steiger, hat lange auf Walsum gearbeitet. Nun betreut er Besucher. Viele wollen noch einmal einfahren, bevor es am 21. Dezember 2018 heißt: "Letzte Seilfahrt" und der Förderkorb, heute mehr ein Fahrstuhl, zum letzten Mal startet.

Acht Stunden ohne Tageslicht

Die RAG will für das letzte Jahr noch weitere Duschen aufstellen für die vielen Gäste. Auch wer nur für zwei Stunden einfährt, muss in die Kaue, kochfeste Bergmannskleidung anziehen. Jeder kommt schwarz wieder hoch und mit großem Respekt für die Arbeit. Zwar helfen Hightech-Maschinen wie der Hobel, der sogar von über Tage aus gesteuert wird. Dennoch ist die Arbeit hart: acht Stunden ohne Tageslicht. Wer in den Streb will, dem Ort des Abbaus, muss schon auf die Knie gehen.

"Untertage ist eine besondere Welt", sagt Tomke. Stolz führt er durch die Flöze, zeigt die handgroßen Stahlzähne des Hobels, erklärt, wie man im Unglücksfall den CO-Filter benutzt, den jeder bei sich trägt. 3,5 Kilo Ausrüstung tragen Bergleute (und Besucher) mit sich herum. Von Endzeit-Stimmung keine Spur. Bis zum Schluss wird hier Kohle abgebaut. "Wir sind nicht sentimental, wir haben zu tun", sagt der 46-Jährige. Die Bergleute könnten noch länger zu tun haben: Die Kohle hier würde noch 15 Jahre reichen, wenn man weiter nach Norden geht 50 Jahre. Doch der Abbau ist nicht mehr wirtschaftlich - und zwar seit den 1960er Jahren. 100 Milliarden an Subventionen überwies der Staat seitdem. Aktuell kostet einen Tonne Steinkohle auf dem Weltmarkt 86 Euro, made in Germany kostet sie 160 Euro.

Lange war die Gesellschaft bereit, das zu zahlen: Im kalten Krieg bedeutete Steinkohle Energiesicherheit. Zugleich sicherten die Subventionen Jobs. Seit Gründung 1968 bildete der Zechenkonzern RAG 100.000 Lehrlinge aus. Ohne Kohle gäbe es das Ruhrgebiet nicht.

"Wir lassen nichts unter Tage zurück"

Doch irgendwann wurde es zu viel, ein harter Kampf begann. Als 1997 Kanzler Helmut Kohl 60.000 Jobs streichen wollte, bildeten die Menschen ein 90 Kilometer langes "Band der Solidarität" durch das Revier. Zehn Jahre später marschierten 13.000 Kumpel vor dem Landtag auf. Dann schlossen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft den Kohlekompromiss. Werner Müller, damals RAG-Chef, hatte die Blaupause geschrieben und das Versprechen durchgesetzt: Keiner fällt ins Bergfreie, die Schließung erfolgt sozialverträglich - und sei es mit 49er-Regelung. Auf dem Höhepunkt hatten die Zechen eine halbe Million Beschäftigte, heute arbeiten bei der RAG 6000 Menschen, langfristig werden es 400 sein. Die RAG muss auf ewig die Gruben abpumpen, um eine Versalzung des Grundwassers und ein Versinken von Städten zu verhindern. Schon jetzt werden bei Prosper die Rohre verlegt, das Aufräumen beginnt. "Wir lassen nichts unter Tage zurück", sagt Tomke.

Zugleich kümmert sich die RAG um Bergschäden. 90 Prozent der Hohlräume, die unter Tage entstehen, kommen oben an. Denn kaum sind die Schilde entfernt, stürzt der "Alte Mann", wie ausgeräumte Strebe heißen, ein. Nachträgliches Verfüllen sei zu teuer und würde Senkungen trotzdem nicht verhindern, so die RAG. Also muss sie zahlen.

2018 beenden die letzten 61 ihre Lehre als Mechatroniker oder Chemikant. Sie haben anderswo gute Aussichten, der Pütt galt stets als guter Ausbilder. Und als fürsorglicher: Früher kosteten Brände, Einstürze und "schlagende Wetter" (Gasexplosionen) viele Leben. Heute steht Sicherheit oben an. "Seit 6000 Tagen kein Arbeitsunfall" verkündet ein Schild auf der siebten Sohle.

"Unter Tage ist es immer dunkel, immer Nacht. Staub, Durst, Staub. Da unten liegen versunkene Wälder, du legst dich krumm und rackerst dich ab, und am Ende reicht es wieder nur für Margarine", schreibt Ralf Rothmann in einem Roman, der hier spielt, rund um Prosper. So würden Tomke und Echtermeyer es nicht sagen: Krumm gelegt ja, verbittert nein. Sie schreiben mit am letzten Kapitel einer großen Industriegeschichte.

(anh)
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