Auf Amazons Spuren Thyssenkrupp entdeckt sein Herz für Heimwerker

Duisburg/Essen · Die Digitalisierung macht auch vor den Traditionsbranchen der deutschen Industrie nicht mehr halt. Der Stahleinkauf per Mausklick soll schon bald eine Selbstverständlichkeit sein. Großkonzerne wie Thysenkrupp machen sich auf den Weg - und entdecken den Heimwerker.

 Thyssenkrupp will ab ende April auch deutsche Hand- und Heimwerker beliefern.

Thyssenkrupp will ab ende April auch deutsche Hand- und Heimwerker beliefern.

Foto: dpa, mb nic

Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger entdeckt die Bastler. "Wir haben festgestellt, dass Handwerker und Heimwerker gern abends bestellen", erläutert der Manager. Ende April startet der der Industriekonzern einen neuen Web-Shop auch in Deutschland und will sich damit eine ganz neue Kundengruppe erschließen - den Endverbraucher.

Für Thyssenkrupp ist das weitgehend Neuland: Der Verkauf von Kleinstmengen an Blechen und Rohren gehört bislang nicht zur Kernkompetenz des Unternehmens.

Doch für Hiesinger ist das einer der Wege in die digitale Zukunft. "Darum geht es - um den Kampf, wer hat den direkten Zugang zum Endkunden", sagt der Manager. Zugleich will der Konzern auch sein Digitalangebot für Großkunden verbessern.

Angeboten werden in dem neuen Onlineshop "materials4me" künftig 11.000 Produkte, versandt wird alles, was mit normalen Paketdienstleistern sein Ziel erreicht. Erfassen soll der Umbau jedoch alle Sparten des Konzerns, neben dem Werkstoffhandel etwa auch das Geschäft mit Aufzügen ebenso wie den Anlagenbau.

Der Kampf um die Zukunft im Stahlhandel hat begonnen. In die Offensive versucht auch der größte von Produzenten unabhängige Handelskonzern Klöckner & Co (KlöCo) zu kommen. Stahl billig einkaufen, auf Lager legen und dann irgendwann teurer verkaufen - dieses alte Geschäftsmodell funktioniert schon seit längerem kaum noch. Schuld ist das massive Überangebot und der nicht enden wollende Preisdruck.

Die Folge: Immer wieder Verluste. Nun baut auch Klöckner eine Online-Plattform auf. Im traditionsreichen Stahlhandel kommt das einer Revolution gleich.

Es wird nicht mehr lange gut gehen, wenn das Geschäft wie bisher weiter vor allem über Telefon und Fax läuft, meint KlöCo-Chef Gisbert Rühl.

Bei einer Informationsreise ins Silicon Valley haben ihm die dortigen Software-Experten gezeigt, wie leicht sie althergebrachte Geschäftsmodelle über den Haufen werfen und alte Platzhirsche verdrängen können. Seitdem treibt auch Rühl den Umbruch in seinem Unternehmens voran, dessen Wurzeln weit über 100 Jahre alt sind. "Wenn wir uns nicht selbst angreifen, werden es andere tun", sagt der Manager.

Rühl ist von seiner Strategie überzeugt. Und er redet inzwischen so oft über seine digitalen Pläne, dass manch ein Branchenkollege schon ein bisschen genervt ist. Dabei brauchen gerade traditionsreiche Firmen dringend neue Impulse. Bislang versuchen viele Unternehmen, sich vor allem mit immer neuen Einschnitten gegen den Preisverfall zu stemmen.

Doch die erreichten Einsparungen werden regelmäßig von neuerlichen Preisrückgängen aufgefressen. Im vergangenen Jahr kam so für Klöco der höchste Verlust seit dem Börsengang 2006 zusammen. Die Quittung: Im März stieg KlöCo nach jahrelangem Kursverfall aus dem MDax ab.

Es braucht also neue Visionen. Und die lässt Rühl in Berlin - weit weg von der Konzernzentrale in Duisburg - von Leuten entwickeln, die bislang nichts mit Stahl zu tun hatten. Das große Vorbild heißt Amazon. Für Klöckner kann das auf einen kompletten Umbau des Geschäftsmodells hinauslaufen.

"Wir werden vom klassischen Händler zu einem Manager der Lieferkette", sagt Rühl. KlöCo hat sich klare Ziele gesetzt. 2017 will das Unternehmen rund zehn Prozent und bis 2019 mehr als die Hälfte der Umsätze online erzielen.

Ein Portal für Groß-Bestellungen läuft inzwischen. Zudem startete der Konzern im März einen Webshop ähnlich wie nun auch Thyssenkrupp in Deutschland. Ziel dabei ist es auch, dass Maschinen künftig selbst ihren Stahl bestellen.

Auch die Baumarktbranche ist mittlerweile auf die Entwicklung aufmerksam geworden. "Der Baumarkthandel hat die wachsende Bedeutung des Internets für die eigene Geschäftsentwicklung erkannt", stellt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Bauen, Heimerken und Garten, Peter Wüst, fest.

Bis 2020 geht der Verband von einer Verdoppelung des Umsatzanteils des Onlinehandels im Geschäft der Bau- und Gartenmärkte von derzeit fünf Prozent auf zehn Prozent aus.

Ganz so einfach, wie sich viele das vorstellen, ist die Sache aber nicht. "Nicht jeder kann so eine Plattform aufbauen", meint Stahlexperte Nils Naujok von der Unternehmensberatung PwC. Doch wer die Digitalisierung ganz verschläft, für den dürfte es schwierig werden.

(lnw)
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