Kurioser Steuerfall Stadt wehrt sich gegen 129 Millionen Euro Einnahmen

Lützen · 129 Millionen Euro soll die Deutsche Bank der Gemeinde Lützen in Sachsen-Anhalt schulden. Die will das Geld aber vorerst nicht haben – warum bloß? Wir haben den Bürgermeister gefragt.

 Dem Städtchen Lützen steht ein ungewolltes 129-Millionen-Euro-Geschenk ins Haus.

Dem Städtchen Lützen steht ein ungewolltes 129-Millionen-Euro-Geschenk ins Haus.

Foto: dpa, obe jhe dna lof

129 Millionen Euro soll die Deutsche Bank der Gemeinde Lützen in Sachsen-Anhalt schulden. Die will das Geld aber vorerst nicht haben — warum bloß? Wir haben den Bürgermeister gefragt.

Als hätte Lützen wirtschaftlich nicht schon genug Probleme. Ein Haushaltsloch von zwölf Millionen Euro drückt der Gemeinde an der Saale südwestlich von Leipzig auf die Stimmung. Jetzt steht der 8700-Einwohner-Stadt auch noch ein 129-Millionen-Euro-Geschenk ins Haus. Was erst nach der Lösung aller Probleme klingt, könnte Lützen langfristig in den Ruin treiben. Der parteilose Bürgermeister Dirk Könnecke hat ein Problem: Nicht jeder unverhoffte Haufen Geld ist auch ein Segen.

Eine in Lützen ansässige Tochtergesellschaft der Deutschen Bank soll einer Entscheidung des Finanzamts Naumburg zufolge rund 129 Millionen Euro Gewerbesteuer aus den Jahren 2011 bis 2013 nachzahlen. Darüber hatte zunächst die "Mitteldeutsche Zeitung" berichtet. Warum also die Sorgen? "Es gibt verschiedene rechtliche Auffassungen darüber, ob die Summe gezahlt werden muss", sagt Könnecke unserer Redaktion.

Ein Sprecher der Bank erklärt: "Auch die Deutsche Bank ist bereit, wie gesetzlich vorgesehen, die strittige Steuernachzahlung zu zahlen. Sobald sich ihre Position rechtlich bestätigt, hat sie einen Anspruch auf Rückerstattung. Allerdings wäre eine solche Zahlung möglicherweise nicht im Sinne der Gemeinde Lützen."

Das Problem für Bürgermeister Könnecke: Würde es zum Rechtsstreit kommen und die Bank gewinnen, müsste die Gemeinde nicht nur die volle Summe zurückzahlen, sondern zusätzlich auch noch sechs Prozent Zinsen, wie er sagt. "Also rund acht Millionen Euro." Und das pro Jahr. "Bei einem Jahr bleibt es aber nicht. Wenn es gut läuft, ist so ein Rechtsstreit in fünf Jahren entschieden. Wenn es schlecht läuft, dauert es zehn Jahre", sagt Könnecke. "Das ist für uns ja gar nicht kalkulierbar."

Und als ob das nicht schon genug wäre: Wenige Monate nach der Überweisung müssten zunächst 20 Millionen Euro Gewerbesteuerumlage an den Bund und zwei Jahre später 78 Millionen Euro Kreisumlage gezahlt werden, sagt der Bürgermeister. Bekommt die Deutsche Bank Recht, erhält Lützen zeitversetzt zwar die 78 Millionen Euro Kreisumlage zurück, die 20 Millionen Euro an den Bund würde man aber nie wieder sehen.

Kompliziertes Kommunalrecht. Heißt aber im Klartext: Selbst wenn Lützen das überwiesene Geld nicht anrührt, hat die Stadt im Falle eines Urteils zugunsten der Deutschen Bank keinen Cent mehr in der Tasche, sondern einen großen Berg an neuen Schulden. "Das wäre der wirtschaftliche Bankrott", sagt Könnecke.

Also versucht der Bürgermeister erst einmal zu verhindern, dass das Geld die Gemeinde überhaupt erreicht. Sein Wunsch: Erst wenn der Rechtsstreit endgültig entschieden ist, soll das Geld an die Gemeinde gezahlt werden — oder eben bei der Deutschen Bank bleiben. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt Könnecke. Auch von der Bank heißt es: "Wir sind in Gesprächen mit den Beteiligten auf kommunaler und auf Landesebene, um gemeinsam eine alle Interessen wahrende Lösung zu finden."

Übrigens: Selbst wenn die Stadt das Geld bekommt und behalten darf, bleiben ihr von den 129 Millionen Euro nach Abzug aller Abgaben lediglich 17 Millionen Euro übrig. Die wüsste der Bürgermeister aber durchaus einzusetzen — nicht nur für die Sanierung des Haushalts. "Damit könnte man schon viel machen. Es gibt Investitionsbedarf bei Kitas und Schulen, wir haben ein Schwimmbad, das saniert werden muss. Außerdem wird am Rathaus gebaut."

Aber bis es so weit ist, fließt wohl noch viel Wasser durch die Saale.

(lukra)
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