Knut Giesler und Arndt Kirchhoff Fernduell der Metall-Tarifpartner

Düsseldorf · Der Chef der IG Metall NRW und der Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW über die anstehende Tarifauseinandersetzung.

 Der Chef der IG Metall NRW Knut Giesler (l.) und der Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW, Arndt Kirchhoff.

Der Chef der IG Metall NRW Knut Giesler (l.) und der Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW, Arndt Kirchhoff.

Foto: Federico Gambarini

Morgen wird die IG Metall offiziell den Startschuss für die wichtigste Tarifverhandlung 2017 geben: Die Forderungsempfehlung markiert den Auftakt der Verhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie 2017. Doch schon einen Tag zuvor liefern sich die Verhandlungsführer für NRW, Knut Giesler (IG Metall) und Arndt Kirchhoff (Metall NRW), in unabhängig voneinander geführten Interviews einen Schlagabtausch.

Herr Giesler, beim letzten Mal sind Sie in die Tarifrunde mit einer reinen Lohnforderung von 4,5 bis fünf Prozent gegangen. Wie viel werden Sie diesmal verlangen?

Giesler Wir haben wieder eine steigende Inflation und Produktivität. Es gibt trotz des Dieselskandals keine dunklen Wolken am Konjunkturhorizont. All dies wird sich in der Forderung widerspiegeln, die über der vom letzten Mal liegen wird. Damit stärken wir die für die Gesamtwirtschaft so wichtige Binnennachfrage.

Hinzu kommt noch die Forderung nach einer Absenkung der Arbeitszeit. Sind die Kosten dafür bei der Lohnforderung berücksichtigt?

Giesler So bescheiden sind wir nicht. Wir betrachten solche Themen unabhängig voneinander. Aber klar: Am Ende geht es um eine Lösung beim Entgelt und der Arbeitszeit.

Sie wollen eine Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden bei Lohnausgleich und einem Rückkehrrecht in Vollzeit. Die Arbeitgeber haben schon abgewunken?

Giesler Der Aufschrei der Gegenseite ist völlig überzogen. Bisher war Arbeitszeitflexibilisierung ein Thema der Arbeitgeber. Jetzt machen wir einen Vorschlag im Sinne der Beschäftigten. Jeder soll selbstbestimmt die Arbeitszeit auf 28 Stunden verkürzen können, wenn er es für nötig hält - und zwar ohne Entgeltausgleich. Das kostet den Arbeitgeber erst einmal nichts...

...bis auf die Arbeitskraft.

Giesler Ja, aber das ist dann eine Frage der Organisation. Wer seine Arbeitsorganisation im Griff hat, hat auch damit kein Problem. Unsere Mitglieder fordern mehr Zeitsouveränität, und die werden wir für sie durchsetzen. Die Branche würde dadurch im Übrigen an Attraktivität gewinnen. Immerhin steuern wir auf einen Fachkräfte-Engpass zu.

Das Gesetz sieht heute schon vor, Arbeitszeit zu reduzieren.

Giesler Die Politik hat bei der Reform des Teilzeit- und Befristungsgesetzes versagt. Ein Rückkehrrecht in Vollzeit gibt es nicht. Deshalb müssen einmal mehr die Tarifpartner die Kohlen aus dem Feuer holen.

Heißt das, die Arbeitgeber haben die IG Metall missverstanden, und Sie wollen am Ende gar keinen Entgeltausgleich?

Giesler Doch, für zwei sehr konkrete Fälle: zum einen für Menschen in belastenden Arbeitszeitsystemen - etwa bei Schicht- oder Spätarbeit. Diese sollen für zwei Jahre die Arbeitszeit bei einem Teilausgleich reduzieren können.

Die Arbeitgeber haben schon gesagt, dass sie für nicht geleistete Arbeit auch nicht zahlen wollen.

Giesler In Deutschland fallen 1,8 Milliarden Überstunden im Jahr an, 900 Millionen davon nicht bezahlt. Wenn die Arbeitgeber sich stur stellen, können wir gerne auch mal die Gegenrechnung aufmachen.

Was ist der zweite Fall, in dem die Arbeitszeit bei einem Lohnausgleich reduziert werden soll?

Giesler Der Bereich der Pflege von Angehörigen und wenn man sich um seine Kinder kümmern will. Wenn der gesetzliche Anspruch dort nicht mehr ausreicht, müssen für die übrige Zeit die Tarifpartner eine Lösung finden.

Der Personenkreis, für den diese Regelung greift, dürfte allein wegen der alternden Gesellschaft groß sein.

Giesler Wir stehen hier vor einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung, zu der auch die Arbeitgeber einen Beitrag leisten müssen. Hier geht es auch um mehr Gerechtigkeit. Wir schaffen keine neuen Probleme, vielmehr helfen wir, bestehende zu lösen. Und realistisch reden wir hier nicht über Hunderttausende Beschäftigte in NRW, die ausfallen und dadurch die Produktion gefährden.

Wie viele Prozentpunkte Ihrer Lohnforderung würden Sie sich die Durchsetzung der Arbeitszeitforderung kosten lassen?

Giesler (lacht) Wir müssen ja auch noch ein bisschen was haben, worüber wir mit den Arbeitgebern streiten können.

Die IG Metall hat bereits angekündigt, notfalls ihre Forderung mit Streiks durchzusetzen. Wie doll rappelt es diesmal?

Giesler Wir sind sehr gut vorbereitet - auf Warnstreiks, Tagesstreiks und zur Not auch auf eine Urabstimmung und unbefristete Streiks. Wir sind kampffähig.

Bis wann wollen Sie mit den Tarifverhandlungen fertig sein?

Giesler Das hängt von der Kompromissfähigkeit der Arbeitgeberseite ab. Von uns aus kann es schnell gehen. Wir haben kein Interesse, die Verhandlungen unnötig in die Länge zu ziehen.

Herr Kirchhoff, die Stimmung in der Metall- und Elektroindustrie ist glänzend. Die Auftragsbücher sind voll. Das dürfte bei den Arbeitnehmern Begehrlichkeiten wecken.

Kirchhoff Wir haben eine ähnliche Situation wie bei der vergangenen Tarifrunde. Die Beschäftigungssituation ist gut, die Auslastung auch, die Gewinne sind stabil. Aber es gibt weiterhin 25 Prozent in der Branche, die weniger oder nichts verdienen. Auf die müssen wir Rücksicht nehmen. Und das Umfeld wird immer schwieriger.

Was meinen Sie genau?

Kirchhoff Brexit, Protektionismus, Eurokrise, die Lage in der Türkei, die drohende Auseinandersetzung in Asien - all dies macht uns Unternehmer vorsichtiger. Das sehen Sie auch an der anhaltenden Investitionsschwäche im Inland.

Ab welcher Forderungshöhe wird es kritisch für die NRW-Unternehmen?

Kirchhoff Die Arbeit darf auf keinen Fall teurer werden. Die Gewerkschaft sollte nicht mit überzogenen Beträgen die Spielräume so sehr einengen, dass uns das Geld für die wirklich wichtigen Dinge fehlt: Wir müssen nicht nur in die Digitalisierung investieren, sondern auch unsere Belegschaften fit für die neue Art des Arbeitens machen. Die Nebenkriegsschauplätze, die die IG Metall gerade aufmacht, sind deshalb wenig hilfreich.

Sie spielen auf die qualitative Forderung der IG Metall an. Sie will für bestimmte Gruppen die Arbeitszeit auf 28 Stunden pro Woche absenken - und das bei einem Lohnausgleich und einem Rückkehrrecht in Vollzeit.

Kirchhoff Ich kann verstehen, dass die Beschäftigten mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeit haben wollen. Aber Flexibilität darf es nicht nur in eine Richtung geben. Die Betriebsnotwendigkeit muss den Takt vorgeben. Es muss schon gearbeitet werden, wenn die Aufträge da sind. Ansonsten liefert der Konkurrent. Das bedeutet, auch die Belegschaft muss viel flexibler werden.

Es gibt aber auch Grenzen, die Ihnen das Arbeitszeitgesetz vorgibt.

Kirchhoff Auch der Gesetzgeber ist gefragt. Die Ruhezeiten-Regelung entspricht nicht mehr der Realität. Natürlich müssen Schichtarbeiter und Fahrer ihre Pausen ordentlich einhalten, sonst wird es lebensgefährlich. Aber wenn ein Beschäftigter abends noch rasch eine Mail an den US-Kunden schickt und morgens früh eine E-Mail aus China beantwortet, sind Leib und Leben nicht in Gefahr. Aber auch die IG Metall muss anerkennen, dass wir da mehr Flexibilität benötigen.

Und wie wollen Sie das bei den Tarifverhandlungen durchsetzen? Stellen Sie die 35-Stunden-Woche infrage?

Kirchhoff Nein, sie bleibt die Basis. Die Arbeitnehmer sollen ein verstetigtes Einkommen erhalten, auf das sie sich verlassen können. Aber wir wollen Regeln, dass die Arbeitszeit einfacher um die 35 Stunden herum pendeln kann. Wenn mehr anfällt, muss mehr gearbeitet werden, wenn weniger da ist, kann weniger gearbeitet werden. Die IG Metall klammert die Mehr-Arbeit bei ihrer Forderung aber bewusst aus und will stattdessen, dass wir für nicht geleistete Arbeit bezahlen. Das aber verletzt das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Und das geht nicht.

Die Forderung, dass man zur Pflege eines Angehörigen kürzer tritt, ist aber nachvollziehbar.

Kirchhoff Das ist doch in vielen Betrieben längst gelebte Praxis. Wenn da ein Notfall in der Familie auftritt, dann reduziert der Beschäftigte. Die Kollegen fangen das auf. Für solche Fälle kann man Regeln im Betrieb finden. Das muss nicht umständlich tarifiert werden.

Reden wir über die Kosten: Wie viel müssten die Arbeitgeber in die Hand nehmen, um die Absenkung der Wochenarbeitszeit zu stemmen?

Kirchhoff Das haben wir detailliert gar nicht ausgerechnet, weil es darum auch gar nicht geht. Aber eines ist doch klar: Unsere Branche zahlt die höchsten Tariflöhne in ganz Deutschland - allein in NRW durchschnittlich 55.000 Euro im Jahr. Wir müssen aufpassen, dass das gegenüber anderen Branchen nicht aus dem Ruder läuft. Die Lohnunterschiede sind zum Teil immens.

Die IG Metall hat angekündigt, notfalls ihre Forderung mit Streiks durchzusetzen. Für wie glaubwürdig halten Sie solche Droh-Szenarien?

Kirchhoff Das ist eine Frage des Gestaltungswillens und des Selbstbewusstseins der Gewerkschaft, mit uns sozialpartnerschaftlich zu einer Lösung zu kommen. Ich finde, Streiks mit Trillerpfeifen und wehenden Fahnen sind da völlig überflüssig.

Bis wann wollen Sie mit den Tarifverhandlungen fertig sein?

Kirchhoff Wir sollten Anfang des Jahres zügig fertig werden und uns 2018 anderen wichtigen Themen wie der Digitalisierung widmen.

(maxi)
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