Interview "Klassische Fließbandarbeit verschwindet"

Düsseldorf · Henning Kagermann ist Digitalexperte und Präsident der Akademie Acatech, sowie ehemaliger CEO des deutschen Software-Riesen SAP. Heute berät Kagermann die Kanzlerin bei der Digitalisierung. Im Interview erklärt er, warum Industrie 4.0 alle angeht.

 Henning Kagermann

Henning Kagermann

Foto: dpa

Herr Kagermann, nach Dampfmaschine, Elektrifizierung und erster Computertechnik läuten jetzt miteinander kommunizierende Maschinen die vierte industrielle Revolution ein. Richtig?

KAGERMANN Eine Revolution mit Ansage, richtig. Aber sie verläuft wie eine Evolution. Die Technologien sind ja nicht neu.

Wie das?

KAGERMANN Die von Ihnen beschriebenen ersten drei Entwicklungsstufen waren echte technische Umstürze. Aber heute beobachten wir vor allem die Weiterentwicklung der Computer, nicht deren Neuerfindung. Es ist die zunehmende Vernetzung von Menschen und Objekten, deren Auswirkungen durchaus revolutionär sein werden.

Dürfen sich die Menschen darauf freuen, oder müssen sie nun um ihre Arbeitsplätze bangen, wenn Maschinen nur mit Maschinen arbeiten?

KAGERMANN Die Vorteile überwiegen, sowohl für Verbraucher als auch für Betriebe. Denn die Produkte werden sicherer, günstiger, besser in der Qualität und schneller herstellbar mit weniger Ressourcen.

Die Sorge um Arbeitsplätze ist unbegründet?

KAGERMANN Zur Wahrheit gehört natürlich, dass es eine Verschiebung beim Arbeitsbedarf geben wird: Die klassische Fließbandarbeit wird immer häufiger intelligenten Maschinen weichen. Dafür werden künftig mehr Menschen in den Forschungs- und Designabteilungen und für die Überwachung der Maschinen gebraucht. Für uns bedeutet das, dass wir beispielsweise die Arbeiter am Band mitnehmen müssen und uns schon heute über Weiterbildungen Gedanken machen sollten. Die Gewerkschaften bringen sich hier bereits aktiv ein.

Braucht es für Industrie 4.0 neue Berufsbilder oder können bestehende Ausbildungen angepasst werden?

KAGERMANN Vermutlich wird es reichen, dass Berufsausbildungen ergänzt werden. Das war bei der Entwicklung der Elektromobilität ähnlich. Allerdings wird es eine Kompetenzoffensive geben, die das Bundesforschungsministerium mitangestoßen hat. Gemeinsam mit Wissenschaft, Gewerkschaften und Arbeitgebern wollen wir in einer Studie den Handlungsbedarf bestimmen, wie die Ausbildungen angepasst werden können.

Führt eine noch digitalere Industrie die Beschäftigten nicht in eine noch größere Abhängigkeit von Smartphones, Laptops und Co?

KAGERMANN Hier sollte man nicht schwarzmalen. Die Belastungen würden steigen, wenn die Unternehmen ihre Arbeitnehmer mit Technik überfordern oder sie damit überfrachten. Verdammen wir diese Entwicklung aber, verbauen wir uns riesige Chancen etwa für flexiblere Arbeitszeitmodelle. Ich glaube zum Beispiel fest daran, dass sich künftig der Schichtkalender immer mehr dem Arbeiter anpassen kann und nicht umgekehrt. Industrie 4.0 führt zu Arbeit 4.0.

Machen Sie sich Sorgen, Deutschland könnte den Anschluss an diese industrielle Evolution verpassen?

KAGERMANN Es gibt Stimmen aus der Industrie, dass die Transformation zu Industrie 4.0 schwierig werden kann. Tatsächlich haben wir aber in Deutschland sehr gute Startvoraussetzungen, diese Revolution zu gestalten und künftig weltweit führend beim Internet der Dinge oder der Vernetzung von Maschinen zu sein. Die deutsche Wirtschaft muss das verstehen und ihre einmalige Chance auch nutzen. Im Moment geht das noch zu langsam.

Wer könnte uns den Titel denn noch streitig machen?

KAGERMANN Länder wie Südkorea, Japan und China, die in der Produktion stark sind. Oder die Amerikaner, die in der Vernetzung von Maschinen und der IT weltführend sind. Der Vorteil der deutschen Industrie, speziell der Maschinenbauer, ist ihre hohe Kompetenz bei der Integration von Software in die Produktionsanlagen. Aber die Unternehmen müssen darauf achten, dass sie sich noch stärker global vernetzen, um später die neuen Maschinen auch passend verkaufen zu können.

Ist denn die Regierung mit dem Breitbandausbau auf dem richtigen Weg?

KAGERMANN Richtig ist, dass die Bundesregierung den Ausbau schneller Datenleitungen vorantreibt. Die sind aber nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung, wenn wir die Chancen der digitalen Vernetzung für innovative Geschäftsmodelle nutzen wollen. Dafür brauchen wir neue digitale Infrastrukturen. Das sind vor allem Plattformen, auf denen zum einen Daten intelligenter Produkte und Dienstleistungen ausgewertet und zusammengeführt werden. Zum anderen aber auch Plattformen, auf denen internetbasierte Dienstleistungen angeboten werden. Ihr Smartphone nützt Ihnen ja auch wenig, wenn Sie nur eine schnelle Mobilfunkverbindung haben aber nicht auf eine Plattform zugreifen können, auf der Sie Ihre Apps kaufen. Jede Milliarde, die man heute in den Aufbau dieser Infrastrukturen investiert, wird sich rechnen.

JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(jd)
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