Heinrich Brüggemann "Politik wollte die Bahn-Jobs nicht retten"

Düsseldorf · Wegen der Niederlage beim Prestige-Projekt "Rhein-Ruhr-Express" sinkt der Marktanteil der Deutschen Bahn im NRW-Nahverkehr auf unter 50 Prozent. DB-NRW-Chef Heinrich Brüggemann rechnet mit der Landesregierung ab.

 Heinrich Brüggemann ist Chef der Bahn-Tochter DB-Regio. Er geht wegen der Vergabe des RRX hart mit der Landespolitik ins Gericht.

Heinrich Brüggemann ist Chef der Bahn-Tochter DB-Regio. Er geht wegen der Vergabe des RRX hart mit der Landespolitik ins Gericht.

Foto: Andreas Endermann

Das größte Nahverkehrsprojekt Europas entsteht in NRW - und die Deutsche Bahn ist nicht dabei. Ausgerechnet beim Rhein-Ruhr-Express (RRX), der ab 2018 die wichtigsten Metropolen des Landes mit neuen Vorzeige-Zügen verbindet, konnte sich der Ex-Monopolist nicht durchsetzen. Heinrich Brüggemann, NRW-Chef der Deutschen Bahn, macht der Landesregierung Vorwürfe. Aber er stellt auch die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Betriebs in Frage.

Woher wissen Sie eigentlich, dass DB Regio den RRX nicht betreiben darf?

Brüggemann Unser Angebot hat nicht gereicht, nicht einmal für den zweiten Platz. Es war bitter für uns, das zur Kenntnis zu nehmen, denn wir haben in dieser Ausschreibung bis zum letzten gekämpft. Nachdem mehr und mehr bekannt wurde, dass unsere Niederlage eindeutig ist, haben wir uns entschieden, unsere Mitarbeiter zu informieren.

Wie viele Stellen verliert die Bahn nun in NRW?

Brüggemann Die Vergabe des RRX-Betriebs an einen Wettbewerber wird die Bahn in NRW ab 2018 rund 750- 800 Stellen kosten.

Gibt es bei der Bahn jetzt Kündigungen?

Brüggemann Betriebsbedingte Kündigungen sind bei der Bahn ausgeschlossen. Wir werden allen Betroffenen Ersatzarbeitsplätze anbieten. Das kann jedoch für viele mit Ortswechseln verbunden sein und entsprechende persönliche Konsequenzen mit sich bringen. Wer mit seiner Familie in Düsseldorf lebt, wird nicht ohne weiteres einen neuen Bahn-Job in Dortmund oder noch weiter weg annehmen können. Lokführer und die technischen Berufe werden auf dem Arbeitsmarkt eventuell auch Alternativen finden

...aber Sie brauchen die doch noch...

Brüggemann ... das ist ein großes Problem. Viele Betroffene werden jetzt versuchen, neue Jobs zu finden. Aber wir brauchen sie, um bis mindestens 2018 den Nahverkehr in der Region sicherzustellen. Sobald offiziell klar ist, wer den RRX betreiben wird, werden wir mit diesem Wettbewerber sprechen und bei ihm für die Übernahme unserer Leute werben.

Sie wollen der Konkurrenz helfen?

Brüggemann Das muss man pragmatisch im Sinne des Nahverkehrs sehen. Ziel muss es doch sein, die Eisenbahner mit ihrem regionalen Know How in der Region zu halten, damit der Wettbewerber zur richtigen Zeit die richtigen Mitarbeiter bekommt und mit unserem bestens ausgebildeten Personal den Betrieb ohne Anlaufschwierigkeiten aufnehmen kann. Das ist vorteilhaft für alle Beteiligten — nicht zuletzt auch für die RRX-Kunden.

Wer wird den RRX betreiben?

Brüggemann Die Entscheidung wird offiziell wohl erst in der zweiten Monatshälfte bekannt gegeben. Aber die Spatzen pfeifen von den Dächern, wer das sein wird.

...dem Vernehmen nach vor allem die britische National Express. Hat die Politik die deutschen Anbieter ausreichend unterstützt?

Brüggemann Zumindest kann man sagen: Bei der Vergabe des RRX-Betriebs hat die NRW-Landesregierung die Bahn-Mitarbeiter hängen gelassen. Über das neue Tariftreuegesetz hätte sie zusammen mit den Verkehrsverbünden die Übernahme des Bahn-Personals durch den neuen Betreiber anordnen können. Darauf hätte sie drängen sollen und müssen. Aber das hat sie nicht getan. Nun müssen wir als Bahn mit offenem Ausgang versuchen zu regeln, was die Politik mit einem Federstrich selbst hätte organisieren können.

Hat die Bahn sich bei der NRW-Politik denn dafür eingesetzt?

Brüggemann Ja. Es hat zwischen der Bahn und den politisch Verantwortlichen Briefwechsel und persönliche Gespräche auf allerhöchster Ebene gegeben. Die Landesregierung wusste also, dass sie die Jobs der 750 Bahn-Mitarbeiter hätte retten können, aber sie hat es nicht gewollt. Das enttäuscht mich als Bahn-Manager, aber auch als politisch denkender Mensch.

Ist die Bahn nicht primär selbst für ihre Niederlage verantwortlich?

Brüggemann Selbstverständlich stehen wir zu unserer Verantwortung, aber das steht auf einem anderen Blatt. Es ist wahr, dass unsere Personalkosten für den Auftrag zu hoch waren.

Insider sagen, das stimmt gar nicht...

Brüggemann Da muss man genau hinsehen, denn es geht nicht allein um die Differenz bei der Höhe der Löhne. Ganz wesentlich sind die zahlreichen Sonderregeln, die unsere Mitarbeiter unter dem Strich teurer machen. So leisten sie zum Beispiel nur 2036 Arbeitsstunden im Jahr statt 2088 wie im Branchentarifvertrag unserer Wettbewerber. Außerdem gibt es bei uns höhere Zulagen an Feiertagen und weniger Nachtarbeitsstunden pro Mitarbeiter. Im Ergebnis ist das Bahn-Personal im Nahverkehr zwölf bis 14 Prozent teurer als bei den Wettbewerbern.

Sind die höheren Energiekosten der Bahn nicht der wahre Grund für Ihre Niederlage?

Brüggemann Wir kennen diese Gerüchte, können dies aber nicht nachvollziehen. Wir haben intensiv geprüft, ob es ein Wettbewerbsnachteil ist, wenn wir mit den Angeboten von DB Energie kalkulieren, sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass das bei unserem RRX-Angebot nicht nachteilig war. DB Energie bietet zwar optional einen Strom-Mix mit einem hohen Grünstromanteil an, der teurer ist. Aber im Regionalverkehr müssen wir diesen Mix nicht kaufen, sondern konnten auch mit einem anderen Strompaket kalkulieren, das dem Marktpreis entspricht. Mag sein, dass der ein oder andere Wettbewerber den Stromverbrauch niedriger angesetzt hat. Hierfür gab es Vorgaben vom Fahrzeughersteller. Da es sich um ein Fahrzeug handelt, dass es im Markt noch gar nicht gibt, schien es uns seriös, sich bei der Kalkulation daran zu orientieren.

Bundesweit ist der Anteil der Bahn im Nahverkehr auf gut 70 Prozent geschrumpft, in NRW liegen Sie wegen der RRX-Niederlage bald unter 50 Prozent. Verabschiedet die Bahn sich aus dem Nahverkehr?

Brüggemann "Im Nahverkehr ist unsere Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. Das betrifft unsere Kosten, verlangt aber auch einen Blick auf die Bedingungen, die sich bei öffentlichen Ausschreibungen mehr und mehr durchsetzen. Die neuen Ausschreibungsstrukturen sind für uns als großer Gesamt-Anbieter von Eisenbahnleistungen eine einschneidende Veränderung, die ein Umdenken verlangt.

Was meinen Sie?

Brüggemann Bislang lag der Betrieb der Züge und ihre Wartung ganz selbstverständlich in der Hand der Verkehrsunternehmen. Beim RRX wurde in der Ausschreibung festgelegt, dass die Instandhaltung der Zughersteller übernehmen muss. So können wir unsere große Stärke, nämlich die Verbundvorteile nicht mehr einsetzen, die unsere Nachteile bei den Personalkosten kompensiert haben. Unter diesen Bedingungen sind wir chancenlos.

Das muss die RRX-Passagiere ja nicht stören…

Brüggemann … es könnte sie durchaus stören, denn das RRX-Modell birgt einige betriebliche Risiken, speziell für den komplexen NRW-Ballungsraumverkehr. Die Vergabe von Instandhaltung und Betrieb der Züge an verschiedene Auftragnehmer behindert schnelle Lösungen für die kleinen alltäglichen Reparaturen und beschwört Haftungsfragen geradezu herauf. Wer entscheidet denn künftig, wer für einen Schaden und seine schnelle Behebung verantwortlich ist und löst das Problem? Instandhalter und Betreiber vertreten ja jeweils unterschiedliche Interessen — der Fahrgast, der ja nur will, dass sein Zug wieder fährt, könnte da der Leidtragende sein. Im Grunde müssen die Leitstellen beim RRX künftig mit Juristen besetzt werden. Kurz: Es tut dem Nahverkehr nicht gut, die Leistungen wie beim RRX weiter zu atomisieren. Die Verkehrsunternehmen werden dann immer weniger Spielräume haben, ihren Kunden gute Verkehrsleistungen anzubieten. Das kann so sicher nicht gewollt sein.

Das Gespräch führten K.-P. Kühn, T. Reisener und H. Thoren.

(RP)
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