Chef des Deutschen Handwerks "Integration dauert bis zu sieben Jahre"

Düsseldorf · Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks warnt im Interview vor überzogenen Erwartungen bei der Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig fordert er eine gerechtere Rentenpolitik der Bundesregierung.

 Hans Peter Wollseifer warnt in Sachen Integration vor zu hohen Erwartungen.

Hans Peter Wollseifer warnt in Sachen Integration vor zu hohen Erwartungen.

Foto: Endermann Andreas

Am Montag hatten überall im Land Lehrlinge ihren ersten Arbeitstag, als Optiker, Friseur oder Straßenbauer. Doch immer mehr Jugendliche entscheiden sich gegen eine Lehre in einem Handwerksberuf - und für ein Studium. Allein die Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Düsseldorf meldet noch mehr als 1000 freie Stellen. Die Probleme kennt auch Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Pessimistisch ist er jedoch nicht.

Was muss das Handwerk Jüngeren bieten, um künftig noch attraktiv genug zu sein?

Wollseifer Wir sind schon attraktiv. Obwohl die Zahl der Schulabgänger in den vergangenen zehn Jahren um 150.000 gesunken ist, hat das Handwerk die Zahl der Auszubildenden 2015 sogar leicht auf 138.000 erhöhen können. In diesem Jahr zählen wir bisher auch ein Plus von 6,9 Prozent bei den Neuverträgen. Auch am Geld liegt es nicht - zumal manche Handwerksberufe hohe Vergütungen vereinbart haben, im Hochbau zum Beispiel gibt es im dritten Ausbildungsjahr mehr als 1500 Euro. Topmodern sind die Berufe auch - die Digitalisierung ist auf dem Vormarsch, Handwerk 4.0. oft Realität. Wussten Sie, dass der Dombaumeister zu Köln den Bauzustand des Doms längst mit einer Drohne kontrolliert?

Wie geht es mit der Ausbildung der Flüchtlinge voran?

Wollseifer Ein Viertel unserer Azubis haben Migrationshintergrund oder einen ausländischen Pass. Einige Hundert davon sind Flüchtlinge, die aber schon vor vier oder fünf Jahren geflohen sind, etwa aus Afghanistan oder dem Irak. Da haben wir gute Erfahrungen. Was die im Vorjahr gekommenen Flüchtlinge angeht, warne ich vor zu hohen Erwartungen: Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration dauert für die meisten sechs, sieben Jahre. Denn viele Helferangebote haben wir nicht. Wir haben Bedarf an Fachkräften. Die Flüchtlinge müssen erst die deutsche Sprache erlernen, sie müssen unsere Kultur verstehen und dann einige Monate in eine Berufsvorbereitung gehen. Erst dann kann die Vermittlung in Ausbildungsbetriebe klappen.

Die Konjunktur läuft stabil seit Jahren, die Steuereinnahmen sind hoch. Wie lange nimmt die Wirtschaft es noch hin, dass ihr Steuerentlastungen versagt bleiben?

Wollseifer Gar nicht. Der Mittelstand, die unteren und mittleren Einkommen, muss in der nächsten Legislaturperiode unbedingt steuerlich entlastet werden. Dafür gibt es die notwendigen Spielräume. Der Spitzensteuersatz darf nicht weiter bereits ab 53.600 Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr greifen, diese Grenze muss deutlich nach oben verschoben werden. Zusätzlich muss die Entlastung bei der kalten Steuerprogression vorangetrieben werden. Einzelunternehmer und Personengesellschaften müssen endlich mit Kapitalgesellschaften gleich gestellt werden. Die sogenannte Thesaurierungsrücklage für Einzelunternehmen und Personengesellschaften muss mittelstandsfreundlicher ausgestaltet werden.

Diese einbehaltenen Gewinne werden aber doch schon steuerlich begünstigt...

Wollseifer Für Gewinne, die ein Unternehmer für künftige Investitionen zurücklegt, fällt zunächst - ähnlich wie bei Kapitalgesellschaften - ein Einheitssteuersatz von 28,25 Prozent an. Bei Entnahme kommen aber 25 Prozent Nachversteuerung hinzu, jeweils mit Solidaritätszuschlag. Der Steuersatz liegt daher häufig über dem persönlichen Einkommensteuersatz - und das Instrument lohnt sich nicht. Eine entsprechende Korrektur würde die Substanz im Mittelstand stärken, mehr Investitionen befördern und damit Arbeitsplätze sichern.

Wie dringend ist eine Einigung bei der Reform der Erbschaftsteuer?

Wollseifer Wir halten den im Bundestag verabschiedeten Kompromiss von Union und SPD für akzeptabel. Wir brauchen jetzt endlich eine Entscheidung, damit unsere Betriebe Rechtssicherheit bekommen. Es ist mehr als bedauerlich, dass Länder wie NRW den Kompromiss im Bundesrat gestoppt haben.

Für wie gefährlich hielten Sie einen Renten-Wahlkampf 2017?

Wollseifer Brandgefährlich. In dieser Legislaturperiode gab es mit der Rente mit 63 und der Mütterrente Eingriffe, die die Rentenversicherung langfristig dreistellige Milliardenbeträge kosten. Die Parteien dürfen sich nicht noch einmal zu teurer Klientelpolitik hinreißen lassen. Zumal die Rentenbezugsdauer steigt und jetzt die Babyboomer ins Rentenalter kommen. Immer weniger Erwerbstätige müssen für einen Rentner aufkommen. Diese Zukunftslasten nur der jüngeren Generation aufzubürden, wäre ungerecht. Wir werden länger arbeiten müssen, und der Übergang in die Rente muss flexibler gestaltet werden. Wir müssen wirklich auf das gesetzliche Renteneintrittsalter 67 kommen. Ein Zurückdrehen von Reformen darf es nicht geben.

Ist da dann das Ende der Fahnenstange erreicht?

Wollseifer Momentan ist es müßig, darüber zu reden. Aber wenn die Lebenserwartung weiter steigt und die Menschen fit sind, darf das Renteneintrittsalter in Zukunft kein Tabu sein. In Holland hat man das an die steigende Lebenserwartung gekoppelt. Vielleicht wäre das auch bei uns ein gutes Modell. Wir dürfen jedenfalls die steigenden Rentenausgaben nicht nur über höhere Beiträge finanzieren. Wenn die jüngere Generation höhere Beiträge zahlt und geringere Renten bekommt, wird das Vertrauen in die Rentenversicherung zerstört.

Eine Frage zum Schluss: Die Umweltministerin will eine "Blaue Plakette" einführen und Dieselfahrzeuge aus Innenstädten verbannen. Gut so?

Wollseifer Unsere Betriebe fahren nun mal mit Nutzfahrzeugen mit Dieselmotor, da gibt es keine Alternative. In dem Moment, in dem die Blaue Plakette und Zonen in Innenstädten eingeführt werden, kommen die nicht mehr zu ihren Kunden. Viele Betriebe haben gerade erst neue Fahrzeuge mit der Euro-Norm 5 angeschafft. Diese Vermögenswerte würden vernichtet durch eine Begrenzung des Cityzugangs. Der Nutzen ist überhaupt fraglich - heutige Euro-6-Nutzfahrzeuge bringen kaum Verbesserungen. Wir lehnen die Plakette daher ab. Schadstoffreduzierung durch weniger Staus in NRW oder weniger Verschmutzung durch Binnenschiffe, sowie mehr Energieeffizienz in Gebäuden ist vorrangig.

BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(mar)
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