Interview mit Handwerkspräsident Wollseifer "Rente mit 63 ist ungerecht und teuer"

Berlin · Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Folgen der Frühverrentung für die Betriebe, seine Haltung zu einem neuen Hilfspaket für Griechenland und die Dokumentationspflichten beim Thema Mindestlohn.

 Hans Peter Wollseifer (59) ist seit Anfang des vergangenen Jahres Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.

Hans Peter Wollseifer (59) ist seit Anfang des vergangenen Jahres Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Hans Peter Wollseifer (59) steht seit Anfang des vergangenen Jahres an der Spitze des deutschen Handwerks. In Berlin stellte sich der Präsident des Zentralverbandes den Fragen unserer Parlamentsredaktion.

Welchen Weg bevorzugt die deutsche Wirtschaft: ein drittes Hilfspaket für Griechenland oder den Grexit?

Wollseifer Unter geopolitischen Gesichtspunkten halte ich das dritte Hilfspaket und den Verbleib Griechenlands im Euro für den richtigen Weg. Rein ökonomisch gesehen kann man die erneute Rettung Griechenlands vor der Pleite bedenklich finden. Aber ich meine, die Einheit Europas ist wichtiger, die politischen Vorteile überwiegen die wirtschaftlichen Nachteile.

Wirtschaftsminister Gabriel hat im Bundestag gesagt: Deutschland hat so viel von Europa profitiert, jetzt muss es Europa einen Teil davon zurückgeben. Teilen Sie diese Ansicht?

Wollseifer Ich möchte das nicht nur wirtschaftlich und monetär sehen. Europa hat uns in Deutschland Einheit und Frieden gebracht, verteidigt die Freiheit. Wir im Handwerk glauben, dass es bei Griechenland um ein Fördern und Fordern gehen muss. Als Gegenleistung für neue Hilfen müssen nun unbedingt Reformen umgesetzt werden. Griechenland braucht die Chance, selbst wieder auf die Beine zu kommen. Das Handwerk bietet dabei seine Unterstützung an. Es geht jedenfalls nicht, dass weiter nur Geld nach Griechenland transferiert wird. Das ist nicht nachhaltig.

In Deutschland sollen junge Menschen aus Südeuropa ausgebildet werden. Wie entwickelt sich das?

Wollseifer Mit dem Mobipro-Programm des Bundesministeriums für Arbeit werden in Deutschland bereits mehrere 1000 junge Südeuropäer ausgebildet. Mehr als zwei Drittel aller Handwerkskammern beteiligen sich nachhaltig daran. Wir sind froh, dass die Bundesregierung das ungemein nachgefragte und erfolgreiche Mobipro-Programm fortsetzt, nachdem es wegen Geldmangels kurzzeitig gestoppt worden war. Das Programm muss dauerhaft erhalten bleiben; dafür werben wir bei der Bundesarbeitsministerin.

Welche Erfahrungen macht das Handwerk mit der Rente mit 63?

Wollseifer Die Rente mit 63 ist ein vergiftetes Angebot. Sie gilt nur für eine kleine Gruppe von Arbeitnehmern. Daher ist sie ungerecht und teuer. Angesichts der demografischen Entwicklung ist sie kontraproduktiv, denn der Fachkräftemangel wird verschärft. Ein großer Fehler! Den Betrieben gehen viele Fachkräfte verloren, und damit Kompetenz und Erfahrung. Über 300.000 fitte Ältere haben sich schon früher verabschiedet. Das sind genau die, die unseren Nachwuchs anleiten und ihr Fachwissen weiter vermitteln.

Wird genug getan, um den Übergang in die Rente flexibler zu gestalten?

Wollseifer Nein. Wir möchten eine Flexibilisierung der Teilrente mit höheren Hinzuverdienstgrenzen. Unsere Mitarbeiter sollen länger im Betrieb bleiben können, auch wenn sie die Arbeitszeit reduzieren müssen. Von der zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe haben wir noch nichts gehört. Die Ergebnisse sind überfällig! Wir müssen es für ältere Mitarbeiter attraktiv machen, länger im Betrieb zu bleiben, über 65 oder 67 Jahre hinaus.

Sind Sie zufrieden mit den jüngsten Änderungen beim Mindestlohn?

Wollseifer Bei der Nachunternehmerhaftung sind wir noch nicht so weit. Dafür brauchen wir unbedingt eine gesetzliche belastbare Regelung. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Handwerksbetrieb dafür haften muss, wenn ein anderer Betrieb, der für ihn Spezialaufträge annimmt, gegen das Mindestlohn-Gesetz verstößt.

Wie bewerten Sie die Ankündigung von Minister Dobrindt für ein neues Straßensanierungsprogramm?

Wollseifer Investitionen in die Infrastruktur sind überfällig. Bei der Vergabe von Infrastrukturmaßnahmen brauchen wir aber auch in Zukunft einen fairen und diskriminierungsfreien Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen. Klassische ÖPP-Modelle schließen aufgrund von Größe, Finanzierungsbedarf und Projektstruktur eine direkte Beteiligung des Handwerks meist aus. Ich warne vor einer Verdrängung des Mittelstandes — mit entsprechenden Folgen für Ausbildung, Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung.

Die Fragen stellten Birgit Marschall, Gregor Mayntz und Eva Quadbeck.

(mar)
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