Schwedische Modekette H&M kommt aus der Mode

Stockholm/Düsseldorf · Jahrelang war das schwedische Mode-Unternehmen ein Einkaufsmagnet in den Zentren. Nun hat H&M im zehnten Monat in Folge weniger Umsatz gemacht als im Vorjahreszeitraum. Das Unternehmen leidet unter der Billig-Konkurrenz.

 Kundinnen in einer Filiale von H&M.

Kundinnen in einer Filiale von H&M.

Foto: dpa

Es gab Zeiten, in denen konnte man den Coolness-Faktor einer Stadt daran ablesen, ob in der Fußgängerzone ein Laden mit dem roten, schlichten Schriftzug "H&M" zu finden war. Keiner vorhanden? Dann musste die Stadt ein Dorf sein. H&M, das stand für Mode, die günstig ist und trotzdem gut aussieht und damit jedermann ansprach: Mütter, die Kleidung für ihre Kinder suchen, die immer zu schnell aus allem rauswachsen, Teenies, die endlich alleine einkaufen wollten, und gut situierte Hausfrauen, die es erfrischend fanden, dass ein schöner Pullover auch für weit weniger als eine dreistellige Summe zu haben ist.

Heute ist das anders. Inzwischen ist Hennes & Mauritz, das Unternehmen hinter dem Schriftzug, 1947 in Stockholm gegründet und an der Börse notiert, in fast jeder Stadt, die sich in Deutschland so nennen darf, vertreten. Der rote Schriftzug gehört zum Inventar einer jeden Einkaufsstraße. Und doch geht es H&M schlecht: Seit gut einem Jahr kämpft der Moderiese mit einer Verlangsamung des Umsatzwachstums, der Juli 2016 war der zehnte Monat in Folge, in dem es diese Verlangsamung gab.

Konkurrenz durch Billiganbieter

Zwar verbuchte man in Stockholm im siebten Monat dieses Jahres erstmals ein üppiges Umsatzplus, konnte die Erlöse um zehn Prozent steigern — lag aber deutlich unter dem Plus von 16 Prozent aus dem vergangenen Jahr. Die Umsätze stimmen nicht mehr. Grund soll der Kampf gegen Billiganbieter sein, aber auch der Verkauf der Saisonkollektionen lief wegen ungünstiger Wetterbedingungen zuletzt schlecht. Dabei ist das H&M-Problem noch weitaus komplexer.

Wahr ist, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Anbieter günstiger Mode wie Billiggigant Primark aus Irland oder Forever 21 aus den USA die deutschen Fußgängerzonen erschlossen haben. Und im Gegensatz zu H&M sind sie riesige Modekaufhäuser mit einem scheinbar unerschöpflichen Sortiment an Kleidung, Schuhen, Accessoires und sogar Deko-Artikeln. Die ganze Welt der Mode, und möge der Trend noch so schräg sein, unter einem Dach — das bieten die Billiganbieter.

Gegen ihre Preise kommen die Schweden nicht an: Schlichte weiße T-Shirts etwa, die bei Hennes & Mauritz schon günstige fünf Euro kosten, gibt es dort für 2,30 — also für weniger als die Hälfte. Wenn dann ein Teenie mit knappem Taschengeld das so dringend benötigte Top für drei Euro bei Primark kaufen kann — warum sollte er dann zu H&M gehen und fünf Euro ausgeben? Die Rechnung ist einfach.

Geld schlägt Elend

Natürlich gibt es immer wieder Schock-Nachrichten von in Kleidung eingenähten Hilferufen vermeintlich ausgebeuteter Textilarbeiter in Asien (die sich am Ende als geschickte PR-Aktion einiger Aktivisten entpuppten) — aber wenn das T-Shirt so günstig ist, dann ist der arme Arbeiter doch zu weit weg vom Modekosmos Primark. Doch natürlich wissen selbst Teenies, dass ein T-Shirt, das im Laden 2,30 Euro kostet, kaum unter fairen Bedingungen am anderen Ende der Welt hergestellt werden kann. Das ist gesunder Menschenverstand — und mittlerweile außerdem überall kommuniziert.

Es ist dem Teenie im Zweifel bloß egal. Geld schlägt Elend. Und so hat H&M seine erste Zielgruppe verloren: die Teenies und alle anderen, die einfach nur günstig Mode kaufen wollen. Zu beobachten ist das jedes Wochenende in Deutschlands Innenstädten: Während sich in den H&M-Filialen Kunde an einer, maximal zwei Kassen drängeln, gibt es die Schlangen bei Primark an 20 Kassen pro Stockwerk.

Es gibt aber noch eine Zielgruppe, die dem schwedischen Modeunternehmen, dem außer H&M selbst noch Modemarken wie "Monki" und "Cos" gehören, zu schaffen macht: Jene, die die Nase voll haben von Billigmode aus Asien — und sich Primark ebenso wie H&M entziehen. Denn selbst wenn Hennes & Mauritz sich in Gruppen zur Unterstützung von fairem Handel engagiert, Mindestlöhne in den Produktionsländern öffentlichkeitswirksam einfordert und Kinderarbeit verurteilt, ist auch seine Mode oft "made in Bangladesh", und immer wieder gibt es auch Nachrichten über Zulieferer in irgendwelchen asiatischen Provinzen, die H&M produzieren.

Erst kürzlich berichtete die "Süddeutsche Zeitung" über die Enthüllungen der schwedischen Journalisten Andersson Åkerblom und Moa Kärnstrand, die in ihrem Buch "Modeslavar" von Kinderarbeit in Myanmar berichten — die Produkte für Zulieferer für H&M produzieren. In Stockholm reagierte man zwar entrüstet auf diese Enthüllungen. Aber ein schlechter Eindruck bleibt.

Nachhaltigkeit und fairer Handel

Seit einigen Jahren setzt H&M auch verstärkt auf Nachhaltigkeit — zum Beispiel mit seinen Conscious-Kollektionen, die nachhaltig und fair hergestellt werden, auf Basis von sieben Selbstverpflichtungen von H&M wie "Ethisch handeln" und "Klimaschonend handeln". Bringt eine Kundin heutzutage abgetragene Kleidung mit in das Geschäft, erhält sie dafür zudem einen Gutschein für Vergünstigungen — weil ihre Kleidung dann recycelt wird. Das sind schöne Ideen.

Im Zusammenhang mit Nachrichten wie denen aus Myanmar allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Da kaufen dann viele Kunden, die ein bisschen mehr Geld zur Verfügung haben, lieber teurer und fair gehandelt ein. Das zeigen auch die Zahlen: Laut der Initiative "TransFair", die in Deutschland das Fair-Trade-Siegel vergibt, stieg der Umsatz von Fair-Trade-Produkten (also Nahrungsmitteln und Textilien) 2015 auf 978 Millionen Euro an — das war ein Plus von 18 Prozent.

Auf diese Weise verliert H&M noch eine Kundengruppe: diejenigen mit etwas mehr finanziellen Möglichkeiten, die das Credo des Unternehmens "Mode und Qualität zum besten Preis" nicht mehr als das ihrige ansehen. H&M hat die Armen wie Reichen, Jungen wie Alten verloren. Es ist zu teuer für die Teenies, zu billig und undurchsichtig für jene, die Nachhaltigkeit und fairen Handel wollen. H&M beliefert weiter eine Mitte, irgendwas dazwischen. Bloß, dass es diese Mitte nicht mehr gibt, beziehungsweise sie immer kleiner wird. Es ist also Zeit für einen Strategiewechsel in die eine oder andere Richtung. Sonst ist H&M bald out. Oder man schimpft weiter über das Wetter. Aber das ist immer die einfachste Lösung.

(lai)
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