VW-Abgasaffäre Das Pötsch-Problem

Wolfsburg · Als Volkswagen-Finanzvorstand war Hans Dieter Pötsch früh über den Abgas-Skandal informiert - trotzdem sollte er anschließend als Aufsichtsratschef die Affäre aufklären. Nun gerät er selbst ins Visier der Ermittler.

 In der VW-Abgasaffäre wird nun gegen Aufsichtsratsmitglied Hans Dieter Pötsch ermittelt.

In der VW-Abgasaffäre wird nun gegen Aufsichtsratsmitglied Hans Dieter Pötsch ermittelt.

Foto: ap

Es klingt etwas altbacken, wenn vom "ehrbaren Kaufmann" die Rede ist. Doch manchmal scheint es sinnvoll, sich an dieses seit dem Mittelalter bestehende Leitbild zu erinnern. Im Grunde meint es ja, dass man auch als Handelnder in der Wirtschaft eine Verantwortung hat. Man sollte meinen, das sei auch heute noch klar.

Beim Blick nach Wolfsburg zweifeln momentan viele daran - und nun ist es ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die die Missachtung des Prinzips noch einmal allen vor Augen führt: Gestern wurde bekannt, dass sie Ermittlungen gegen VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch eingeleitet hat. Ihm werden Marktmanipulationen vorgeworfen, weil er Anleger als damaliger Finanzvorstand nicht früh genug über die möglichen finanziellen Folgen des Abgasskandals gewarnt haben soll. VW betont, dass man der Rechtsauffassung sei, alles richtig gemacht zu haben. Doch es geht nicht nur um Paragrafen.

Zuletzt hatte VW schon damit irritiert, dass man behauptete, bei der beanstandeten Software in den Diesel-Motoren handele es sich um "keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht". Dass man EU-weit Millionen Fahrzeuge nachrüste, begründete VW damit, dass man im Interesse der Kunden konstruktiv zusammenarbeiten wolle. Und nun gibt es wieder Irritationen - wegen Dingen, die man vielleicht nicht in Paragrafen geregelt hat, gemeinhin aber mit "Anstand" umschreiben würde.

Denn Pötsch, dem selbst jene, die inzwischen mit VW bei vielem über Kreuz liegen, attestieren, ihn als ehrlich und anständig erlebt zu haben, ist zum Symbol der Missachtung der Grundsätze guter Unternehmensführung geworden.

"Pötsch ist entgegen allen Regeln der Corporate Governance befördert worden - ohne Pause, direkt als Vorsitzender des Aufsichtsrates", sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer: "Das zeigt, wie die Familien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und die IG Metall mit Macht umgehen." Ohne die Großaktionäre und die Gewerkschaft geht nichts.

Ausgerechnet Pötsch sollte plötzlich bei VW den Skandal aufklären, bei dessen Auffliegen er selbst im Vorstand saß. Es klingt absurd, zeigt aber, wie die Dinge bei Volkswagen laufen. "Die Familien Porsche und Piëch stehen hinter ihm. Sie wollen keinen Mann von außen, man will unter sich bleiben", sagt Christian Strenger. Er war jahrelang Mitglied der Corporate Governance Kommission und in dieser Funktion von der Bundesregierung damit betraut, über gute Unternehmensführung in Deutschland zu wachen: "Diese mangelnde Unabhängigkeit ist ein großer Fehler, der die Glaubwürdigkeit bei der Aufklärung von Dieselgate massiv beeinträchtigt."

Auch gestern traten die Familien wieder den Beweis ihrer vermeintlich unverbrüchlichen Treue an. "Die Familien Porsche und Piëch stehen hinter Herrn Pötsch", teilte VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche mit. Auch Niedersachsen stellte sich hinter Pötsch. Wie skurril die Situation ist, zeigt ein Blick in Pötschs Terminkalender: Heute wird er in Frankfurt vor Investoren auftreten und für Volkswagen werben - während gleichzeitig die Diskussionen um seine Person das Vertrauen in Volkswagen erschüttern.

Als die Regierungskommission zur guten Unternehmensführung vergangene Woche Vorschläge für Änderungen am Corporate Governance Kodex vorgelegt hat, lautete einer, dass im Vorspann des Kodex vom "ehrbaren Kaufmann" die Rede sein soll. Der Vorsitzende dieser Kommission, Manfred Gentz, begründet dies damit, dass "offenbar bei manchen Führungskräften der Orientierungspunkt entweder verloren gegangen oder in den Hintergrund geraten ist". Die Manager müssten wieder dafür sensibilisiert werden, was richtig und falsch ist. Nach den jüngsten Skandalen etwa bei Volkswagen sei die Diskussion in dem Gremium intensiviert worden.

"VW hat es versäumt, nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals einen klaren Schnitt zu ziehen", sagt der Grünen-Verkehrsexperte Oliver Krischer. Und Dudenhöffer macht deutlich: "Pötsch hätte nie zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt werden dürfen." Es sei von vornherein absehbar gewesen, dass dieser die Aktionäre zu spät informiert habe. Das Schreiben der Umweltbehörde Carb habe schon zwei Tage im Netz gestanden, bevor die Aktionäre informiert worden seien.

Und Strenger sagt: "Wenn die Governance richtig gelebt wird, müsste sich Herr Pötsch bei allen Behandlungen seiner Rolle im Abgasskandal heraushalten. Praktisch hieße das, er müsste den Raum verlassen, sobald die Themen zur Sprache kommen." Ein Chefaufseher, der bei wichtigen Beratungen nicht dabei sein kann - für einen Konzern, der um die Zukunft kämpft, könnte es bessere Konstellationen geben.

(frin)
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