Götz Werner Wo Mitarbeiter ihr Gehalt selbst festlegen

Heute erhält der Gründer der DM-Gruppe in Frankfurt den Erich Fromm Preis. Im Gespräch erklärt der 70-jährige, wie DM weiter expandiert, wie das Unternehmen gegen Diebstahl vorgeht - und was DM von anderen Firmen unterscheidet.

 Götz Werner gründete DM im Jahr 1973.

Götz Werner gründete DM im Jahr 1973.

Foto: HJB

DM setzt auf niedrige Preise. Wie hart ist der Preiskampf der Branche?

Werner Mein Vater hat schon in den 50er Jahren gesagt, der Wettbewerb sei gnadenlos. Das gilt auch heute noch und wir tragen durchaus dazu bei. Wir wollen stetig produktiver werden, um der preiswerteste Anbieter von Drogeriewaren zu sein.

Werden dem Preiskampf noch mehr Wettbewerber zum Opfer fallen?

Werner Ja, das ist die Folge von Wettbewerb. Die Liste der Handelsunternehmen, die kamen und gingen, ist lang.

Hat DM vom Untergang des Konkurrenten Schlecker profitiert?

Werner Alle relevanten Anbieter von Drogeriewaren haben überdurchschnittlich an Umsatz gewonnen. Nach den Ergebnissen der Marktforscher ist unser Marktanteilszuwachs am größten.

Wird sich der Konzentrationsprozess auf dem Drogeriemarkt fortsetzen?

Werner Das kann ich nicht sagen, wir halten uns beim Prognostizieren immer sehr zurück. Erstens entsteht Platz für neue Mitbewerber. Zweitens ist unser Sortiment nicht nur in Drogeriemärkten verfügbar. Der Kunde geht auch ins nächste Kaufhaus oder in einen Lebensmittelmarkt. Oder er versorgt sich im Internet.

Tut es Ihnen weh, dass die Lebensmittelmärkte zunehmend Drogerieprodukte anbieten?

Werner Keine Frage, die kleinste Mücke sticht.

Wie sehen Sie die Zukunft des Handels angesichts des demografischen Wandels? Wird dm bei seinem Filialnetz noch stärker auf städtische als auf ländliche Regionen setzen?

Werner Wir sind konsequent Kundenorientiert, das heisst: Wir gehen dahin, wo es Menschen und weiße Flecken, also Nachfrage, gibt. Und es gibt in Deutschland noch viele Menschen, die keinen dm-Markt in ihrer Nähe haben. Im Jahr machen wir deshalb 170 neue Märkte auf. Und rund 20 Märkte schließen wir, wenn wir diese durch größere in besseren Lagen ersetzen können.

Der Onlinehandel wird immer wichtiger. Welche neuen Handelsmodelle können Sie sich für dm vorstellen?

Werner Wir testen in Österreich den Onlinehandel. Der derzeitige Umsatz entspricht in etwa dem, was ein stationärer dm-Markt erzielt. Aber wir wollen fit und vorbereitet sein. Deshalb werden wir im Laufe des Jahres auch in Deutschland unsere Angebot online anbieten. Kunden können sich die Produkte liefern lassen oder ihren Einkaufskorb im Internet zusammenstellen und im dm-Markt ihrer Wahl abholen.

Was ist der Gedanke ihrer dialogorientierten Mitarbeiterführung?

Werner Unsere fast 40 000 Kolleginnen und Kollegen arbeiten nicht an einem Ort, sondern in mehr als 1 600 Märkten in ganz Deutschland. Jeder Mensch ist anders, jeder Standort ist anders. Da ist es nur logisch, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass man Bewußtsein führt und nicht Menschen. Hierarchische Führung ist nicht mehr zeitgemäß, sondern die Menschen wollen sich wertgeschätzt fühlen. Das geht im Dialog, das funktioniert nicht durch Anweisungen und Befehle.

Wenn das System so gut funktioniert, wieso wird ein Gros der Unternehmen trotzdem hierarchisch geführt?

Werner Oft ist der Grund Gewohnheit oder Bequemlichkeit, in anderen Fällen Notwendigkeit, wenn es darum geht, Not schnell und effizient abzuwenden: Eine Feuerwehr funktioniert im Ernstfall am besten hierarchisch. In einem Filialbetrieb lassen sich die Menschen einen streng hierarchischen Führungsstil auf Dauer nicht mehr gefallen. Wir leben in einer Phase des Individualismus, nicht des Militarismus mit Befehl und Gehorsam als wichtigstem Prinzip.

Würden Sie sagen, dass erfolglose Branchenkonkurrenten an ihrem Führungsstil gescheitert sind?

Werner Viele Dienstleistungsunternehmen, die vom Markt verschwunden sind, sind wegen der Probleme mit ihren sozialen Innenverhältnissen gescheitert.

Karstadt müsste demnach nur die Unternehmenskultur ändern?

Werner Wir betreiben Filialen, keine Warenhäuser. Deshalb kann ich nur sagen: Wenn man früh genug damit anfängt, den Mitarbeitern mehr Entscheidungsspielräume zu geben, und wenn man den Wandel konsequent gestaltet, dann kann auch ein angeschlagenes Unternehmen gesunden.

Sie gehen so weit, dass die Mitarbeiter einiger dm-Filialen nicht nur über das Sortiment und die Arbeitszeit, sondern auch über ihr Gehalt entscheiden können. Klingt missbrauchsanfällig.

Werner Wenn die Kollegen in der Verantwortung für ihre jeweilige Filiale sind, gehen sie viel angemessener vor. Jede Beteiligung macht ein schädigendes Verhalten unwahrscheinlicher. Das Wichtigste ist jedoch: Zutrauen veredelt den Menschen, Vormundschaft hemmt sein Reifen. Ich bin überzeugt, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen mit großer sozialer Kompetenz ist.

Orientieren Sie sich beim Gehalt am Tarifvertrag?

Werner Der Tarif ist für uns stets die Untergrenze. Die bei dm arbeitenden Menschen erhalten nach Möglichkeit mehr, als der Tarifvertrag vorsieht.

Zunehmend scheren Handelskonzerne aus den Tarif aus. Das dürfte auch den Druck auf dm erhöhen.

Werner Im Handel stehen zu oft die Kosten im Vordergrund. Das ist aber ein Fehler, den vor allem Universitäts-Professoren mitverschuldet haben, weil sie den Homo Oeconomicus proklamieren und das Kostenmanagement in den Vordergrund stellen. Viel wichtiger sind die Investitionen. Nur durch Innovationen und Investitionen bekommt man auf Dauer zufriedene und begeisterte Kunden.

Wie anfällig sind die dm-Filialen für Diebstahl?

Werner Sie müssen schon darauf vertrauen, dass die meisten Menschen bereit sind, eine Leistung zu honorieren, und den Umweg über den Kassenbereich machen. Und je stärker sich unsere Mitarbeiter und unsere Kunden mit dem Unternehmen identifizieren, desto geringer ist die Inventurdifferenz. Dass wir dennoch nicht blauäugig sind und Warensicherung betreiben gehört zum Handwerk.

Würden Sie auch bei starken Verdachtsmomenten gegen Mitarbeiter auf Videoüberwachung verzichten?

Werner Für jede Situation im Leben benötigt man das passende Werkzeug. Wenn es hinreichende Hinweise für ein Fehlverhalten gibt, dann veranlassen die Verantwortlichen in Absprache mit dem Betriebsrat angemessene Maßnahmen.

Wie hoch ist der Schaden, der Ihnen durch Diebstahl jährlich entsteht?

Werner Unsere Inventurdifferenz liegt unter einem Prozent. Der Wert hat sich in den vergangenen 30 Jahren halbiert.

Für dm-Mitarbeiter gibt es keine erfolgsabhängigen Boni. Wie groß ist der Anteil, den Geld als Motivator spielt?

Werner Eine Aufgabe motiviert, die verstanden wird und die als handhabbar und sinnvoll erlebt wird. Deshalb plädiere ich auch dafür, Arbeitszeit und Freizeit nicht voneinander getrennt zu betrachten. Besser ist es, beides als Teil der eigenen Lebenszeit anzusehen. Wer eine Arbeit annimmt, der will sich einbringen, entwickeln und ausdrücken können, sich also mit der jeweiligen Aufgabe identifizieren können. Das Umdenken ist schwierig, aber wichtig! Ein Einkommen ist nicht die Honorierung der Arbeitsleistung, sondern das Einkommen ermöglicht die Beteiligung an sinnvollen Aufgaben.

Und das sagt der Vordenker des bedingungslosen Grundeinkommens?

Werner Das ist überhaupt kein Widerspruch, sondern ein Einkommen wird zur logischen Fortsetzung einer bedingungslosen Teilhabe am Volksvermögen. Wenn die Gesellschaft den Menschen ein Grundeinkommen ohne Vorbedingungen zubilligt, versetzt die Gemeinschaft das Individuum überhaupt erst in die Lage, arbeiten zu können. Und ein Unternehmen versetzt durch ein Einkommen die Mitarbeiter in die Lage, sich an der jeweiligen Leistungserbringung beteiligen zu können. Wer je Bewerbungsgespräche geführt hat und gemeinsam mit dem Bewerber ein Einkommen vereinbart hat versteht diese Betrachtungsweise sofort.

Aber wir haben schon heute einen extrem hohen Anteil Langzeitarbeitsloser. Aufgrund der Hartz-Gesetze müssen diese für eine Stellenvermittlung zur Verfügung stehen. Wieso auf dieses Fordern verzichten?

Werner Im Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Und Artikel 10 verbietet Zwangsarbeit. Wenn wir uns selbst ernst nehmen, dann darf in Deutschland niemand zur Arbeit gezwungen werden. Außerdem wissen Sie so gut wie wie ich: Der Bundestag hat längst ein Existenzminimum für jeden Bürger beschlossen; wir könnten die Kontrolleure längst zu Sozialarbeitern umschulen. Das wäre eine viel sinnvollere Lebensaufgabe.

Heißt das, die Hartz-IV-Gesetze sind Ihrer Meinung nach nicht verfassungskonform?

Werner Wenn man konsequent zu Ende denken will, ja. Aber "Fördern durch Fordern" war schon immer eine beliebte Parole in der Politik. Das ändert sich aber zur Zeit. Laut einer Allensbach-Umfrage befürwortet bereits jeder dritte Bürger das bedingungslose Grundeinkommen.

Selbst wenn diese entsprechend wählen würden, bekämen Sie keine politische Mehrheit, um das Hartz-System abzuschaffen.

Werner Das kann man so nicht sagen. Der Atomausstieg zeigt doch, dass auch gewählte Volksvertreter ihre Meinung ändern können. Wir lernen durch Einsichten oder durch Katastrophen. Bei Einsicht dauert es erfahrungsgemäß etwas länger.

Es muss nicht wahr sein, nur weil mehr Menschen daran glauben.

Werner Absolutistische Herrscher und Oligarchen behaupten bis heute, Demokratie sei keine funktionierende Staatsform. Aber wenn alle Menschen an etwas glauben, dann wird dies eine soziale Realität.

Georg Winters und Maximilian Plück führten das Gespräch.

(RP)
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