Gruner + Jahr-Chef Buchholz im Interview "Für Online-Medien zahlen"

Düsseldorf (RP). Bernd Buchholz, Chef von Gruner + Jahr ("Stern”, "Brigitte”, "Geo”), sprach mit unserer Redaktion über seine Internetstrategie, harte Sparprogramme in Redaktionen sowie über Fehler des Kartellamtes und großer Wettbewerber.

Die globalen Medienriesen im Überblick
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Foto: AP

Herr Buchholz, Gruner + Jahr betont als größter Magazin Verlag Europas immer wieder, dass es trotz Internets auch in 20 Jahren noch einen Platz für Qualitätsjournalismus gibt. Wie definieren Sie dabei Qualitätsjournalismus?

Buchholz Saubere Recherche, verantwortungsvolles Umgehen mit Informationen, gute und verständliche Sprache. Das ist mehr, als nur eine Meinung zu haben oder nur News weiterzugeben. Das kann auch jeder Blogger, wohingegen Journalisten wirkliche Aufklärung betreiben und Nutzwert bieten. Trotzdem bereitet mir das Internet größte Sorgen: Weil immer mehr Werbegeld zu Online-Angeboten fließt, fehlt uns dieses Geld in den Printmedien.

Muss das Kartellamt Fusionen im Medienmarkt großzügiger betrachten, um wirtschaftlich lebensfähige Einheiten zu ermöglichen?

Buchholz Ja. Der Umdenkprozess im Kartellrecht sollte weitergehen. Denn der Markt der Medien wird immer vielfältiger, auch wegen des Internets. Die Kartellwächter verhindern angesichts dieser Veränderungen zu viele sinnvolle Zusammenschlüsse, die letztlich der Meinungsvielfalt nützen. Tatsächlich gibt es keine größere Gefahr für die Pressefreiheit, als wenn Verlage wirtschaftlich zu schwach würden.

Sollte der Staat den Verlagen helfen?

Buchholz Direkte Subventionen sind absolut abzulehnen. Das sage ich als begeisterter Verleger und überzeugter Liberaler. Aber es wäre hilfreich, wenn die Mehrwertsteuer auf unsere Produkte auf keinen Fall angehoben werden würde.

Wie kommentieren Sie, dass ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender wegen Streit mit der CDU gehen muss?

Buchholz Der Streit um Brender bestätigt, wie froh wir sein können, große private Medienunternehmen als Korrektiv zu den öffentlich-rechtlichen Medien zu haben. Er bestärkt uns bei Gruner + Jahr in unserer grundsätzlich pluralistischen Einstellung: Ich teile keineswegs die Meinung jedes Autors der Objekte in unserem Hause. Aber mein Job ist es, deren journalistische Freiheit zu verteidigen. Gegenüber der Politik, ebenso natürlich auch gegenüber Begehrlichkeiten von Anzeigenkunden.

Weltweit diskutieren Verleger, Inhalte im Internet kostenpflichtig zu machen. Welche Strategie hat Gruner + Jahr als größtes Zeitschriftenhaus Europas?

Buchholz Wir müssen es grundsätzlich schaffen, sowohl im Internet als auch bei den Magazinen einen höheren Erlösanteil von den Lesern zu bekommen. Früher kamen bei den Zeitschriften rund 40 Prozent unserer Einnahmen vom Verkauf und den Abos, aktuell sind es wegen zurückgehender Werbeeinnahmen rund die Hälfte. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir künftig sogar 60 Prozent des Umsatzes mit Vertriebserlösen machen. Egal ob Capital, Geo oder Stern. Wir werden uns davon verabschieden müssen, dass die Werbung weit überproportionale Teile der Einnahmen erbringt. Und wir müssen folgerichtig hinnehmen, dass wir grundsätzlich mit knapperen Mitteln wirtschaften müssen. Journalistische Qualität lässt sich nur sichern, wenn wir wirtschaftlich arbeiten.

Zumindest bisher ist im Internet fast alles umsonst.

Buchholz Reine News wird es weiterhin kostenlos geben. Aber für besonders interessante und einzigartige Angebote werden die Menschen immer häufiger bezahlen. Wir müssen dafür endlich ein funktionierendes System für Micropayment aufbauen, damit die Leser Inhalte ganz einfach in Mini-Beträgen bezahlen können.

Schreibt Ihr Online-Geschäft weiterhin rote Zahlen?

Buchholz Ja, aber insgesamt sind wir noch in der Investitionsphase. Aber einzelne Angebote wie das Kochportal Chefkoch.de, einer Ausgründung von Essen & Trinken oder xx-well.com von Brigitte sind schon jetzt profitabel. Ich bin froh, dass wir auf der Basis unserer Magazinmarken neue Aktivitäten im Internet aufbauen, anstatt - wie es einige Wettbewerber tun - riesige Beträge für irgendwelche Online-Firmen ohne irgendeinen Bezug zum Stammgeschäft zu verschwenden.

In den USA wollen mehrere Großverlage ihre Inhalte gemeinsam über einen elektronischen Kiosk im Internet verkaufen und dabei insbesondere ganze Magazine zum Lesen auf einem elektronischen Lesegerät bereitstellen. Ein Modell für Deutschland?

Buchholz Die Kollegen in den USA gehen da in die richtige Richtung. Das ist ein interessantes Modell. Wir brauchen eine Lösung, bei der die Angebote vieler Verlage einfach aufrufbar sind und die Nutzer diese auch einfach zahlen können. Es wäre schlau, wenn sich da Verleger für die erforderlichen technischen Strukturen in einem großen Rahmen austauschten. Ich spreche mit dem einen oder anderen darüber, wie sie das sehen. Da gibt es verlagsübergreifende gemeinsame Interessen, die ausgelotet werden müssen.

Ein High-Tech-Konzern wie Apple könnte die Plattform für den elektronischen Handel mit Inhalten organisieren.

Buchholz Bei solchen Überlegungen wäre ich vorsichtig. Wir brauchen eine neutrale Plattform, von der alle gleichermaßen profitieren. Und wir brauchen eine Plattform, in der die Verlage das eigentliche Geschäft machen. Es kann nicht sein, dass andere als Händler unsere Inhalte mit hohem Gewinn weiterverkaufen und wir dabei letztlich leer ausgehen.

Zu Google haben sowieso viele Verlage ein sehr distanziertes Verhältnis.

Buchholz Sagen wir es so: Diejenigen, die Inhalte wirklich herstellen, müssen von der Verwertung kräftig mitprofitieren, weil es sonst irgendwann keine Inhalte mehr gibt. Darum brauchen wir ein Modell, in dem Verlage und Redaktionen mitprofitieren, wenn andere Plattformen - wie Google - mit diesen Inhalten ordentlich Geld verdienen. Das fordern mittlerweile 150 Verlage in der "Hamburger Erklärung". Ich bin froh, dass die neue Bundesregierung unser Anliegen aufgreifen will.

Zum Sparen haben Sie im Frühling Ihre Wirtschaftsmedien zu einer großen Einheitsredaktion rund um die Financial Times Deutschland und Capital zusammengefasst und dabei rund 50 Stellen abgebaut. Wie wollen Sie so wirklich individuelle Medienmarken pflegen?

Buchholz Der Umbau unserer Wirtschaftsmedien ist zugegeben eine radikale Veränderung. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dadurch, dass wir die Kosten deutlich senken konnten, haben wir am Ende die Existenz dieser Titel gesichert. Deutschland wäre ärmer ohne die Financial Times Deutschland als die zweite Wirtschaftstageszeitung. Und ich lese die Artikel in allen vier Titeln, ob zum Beispiel Capital oder FTD, weiterhin aufgrund der Vielfalt sehr gerne.

Gibt es die FTD in zwei Jahren noch, nachdem selbst Ihr Aufsichtsratschef deren extrem schwaches Anzeigengeschäft öffentlich kritisierte.

Buchholz Ich werde alles für den Fortbestand der FTD tun. Aber wir stehen vor einer großen Herausforderung: Die Anzeigen gerade im Segment der Wirtschaftspresse sind weit überdurchschnittlich eingebrochen. Andererseits werden sich diese Einnahmen wahrscheinlich weit überdurchschnittlich wieder erholen, wenn die allgemeine ökonomische Krise vorbei ist. Deshalb habe ich großes Vertrauen in die Aussichten der Wirtschaftsmedien, auch wenn ich daraus keine Bestandsgarantie ableiten kann.

Führen Sie Brigitte und Stern ebenso zu einer Gemeinschaftstruppe zusammen wie die Wirtschaftsmedien?

Buchholz Nein, auf keinen Fall. Aber die Chefredakteure unserer Magazine prüfen intensiv, welche Teile des Angebotes die Redaktionen jeweils autonom erstellen müssen und wo es die Möglichkeit zur titelübergreifenden Zusammenarbeit gibt. Dabei ist klar, dass zum Beispiel die Berichterstattung des Stern bei Wirtschaft und Politik völlig getrennt bleibt von der in den anderen Redaktionen. Aber wenn schon heute freie Journalisten eine Reisestory für mehrere Redaktionen unseres Unternehmens individuell zuschneiden, dann sollte es möglich sein, dass die angestellten Redakteure unseres Hauses sich gegenseitig häufiger die Bälle titelübergreifend dort zuspielen, wo es sinnvoll erscheint.

Die Beiräte Ihrer großen Redaktionen haben empört reagiert.

Buchholz Auch Journalisten müssen flexibler werden. So haben die Redaktionen unserer Living-Gruppe entschieden, dass sie einige Bereiche, wie die Fotoredaktion, nun gemeinsam haben, und die eigentlichen Textredaktionen weiterhin getrennt halten. Und dem Stern hat es nicht geschadet, dass zum Beispiel das Silbenrätsel seit einigen Jahren extern eingekauft wird.

Es gibt das Gerücht, in den Vorstand von Gruner + Jahr käme wieder ein Journalist. Stimmt das?

Buchholz Unser Aufsichtsratschef, Hartmut Ostrowski, hat auf Nachfrage von Journalisten gesagt, dass er sich das vorstellen könnte, nachdem früher ja schon Angelika Jahr und Johannes Gross im Vorstand saßen. Mein Kommentar dazu: Ja, das ist eine gute Idee. Wir sind ein journalistisches Haus. Aber es gibt dafür keine konkrete Planung.

Ganz unabhängig von der Spardiskussion hat man manchmal den Eindruck, dass der Stern an politischer Bedeutung verloren hat — speziell gegenüber dem Spiegel.

Buchholz Der Eindruck ist absolut falsch. Der Stern war niemals so wie der Spiegel ein politisches Nachrichtenmagazin. Aber er ist weiterhin - so wie schon unter Henri Nannen - ein sehr wichtiges Leitmedium für seine Leser, um die Schwerpunkte des Geschehens der Woche zu erkennen. Und er ist dabei keineswegs nur ein Medium, das die vergangene Woche gut zusammenfasst und analysiert: Er schaut nach vorn, wie mit den großen Beiträgen zur Klimadiskussion oder zur Überalterung unserer Gesellschaft. Ja, er mischt sich wirkungsvoll und nachhaltig in den öffentlichen Diskurs ein.

Wird der Stern irgendwann doch den Spiegel in der Relevanz überholen?

Buchholz Das weiß ich nicht, aber zu wünschen wäre es ihm. Aber die beiden Medien haben bei allen Gemeinsamkeiten auch große Unterschiede: Beide geben den Ton an als die führenden Wochenmagazine Deutschlands. Aber der Stern lebt eher von der Optik, der Spiegel eher von den News. Der Stern ist thematisch ein bisschen breiter aufgestellt, speziell in der Themenvielfalt auf dem Cover, der Spiegel stärker auf Politik und Wirtschaft konzentriert. Und da Gruner + Jahr der Stern ganz und der Spiegel immerhin zu einem Viertel gehört, freuen wir uns über die gute Entwicklung beider Magazine.

Umso mehr muss es Sie schmerzen, dass Ihr Flagschiff im Internet extrem weit hinter Spiegel-Online liegt.

Buchholz Keine Sorge, wir holen derzeit auf. Aber der Spiegel ist von seiner Positionierung als Nachrichtenmagazin ideal positioniert, um im Internet ganz vorn mitzuspielen — das ist für den Stern mit seinem besonderen Anspruch der Hintergrund-Berichterstattung und Foto-Optik etwas schwerer. Außerdem gebe ich zu, dass wir möglicherweise etwas zu spät wirklich viel für das Online-Portal des Stern getan haben. Da stand ich als früherer Geschäftsführer des Stern unter dem Eindruck des damaligen Platzens der Internetblase mit auf der Bremse.

Umso mehr Geld stecken Sie in immer neue Mini-Magazine wie unlängst "Beef" einem Hochglanzmagazin für kochfreudige Männer. Warum konzentrieren Sie sich nicht auf die Top- Titel?

Buchholz Wir wollen in einem für die großen Magazine stagnierenden Markt trotzdem wachsen. Darum neue Ideen für spezielle Zielgruppen, die aber keineswegs immer sehr klein sein müssen. Neon ist ein außerordentlich erfolgreiches Magazin und trifft den Zeitgeist einer jungen Zielgruppe und hat eine Auflage von mehr als 300.000 Stück im Monat. Beef hat nun 40.000 Stück vom ersten Heft verkauft — viel mehr als erhofft. Daher kann es gut sein, dass wir nach dem Pilotheft weitere Ausgaben auf den Markt bringen.

Gründen Sie die Beiboote auch, um Entlassungen zu verhindern?

Buchholz Wenn wir mit der jetzigen Mannschaft weitere Objekte auf den Markt bringen, dann sichert das Jobs und erhöht die Produktivität. Dass wir mit dieser Strategie erfolgreich sind, sehen wir ja an den großen Erfolgen der Beiboote von Geo, Eltern oder auch Brigitte. Das sind ja mittlerweile große Magazin-Familien geworden.

Warum sind Sie vergangene Woche aus Russland ausgestiegen?

Buchholz Wir haben es nicht geschafft, uns in einem schwierigen Markt die Position zu erkämpfen, die wir brauchen. Aber umso zufriedener sind wir in China: Wir sind mit unseren Aktivitäten der größte Player im Frauenmagazin-Markt der Volksrepublik, wir haben nun mit LEON ein interessantes Männermagazin gestartet. Aber wir lernen auch noch viel hinzu: Unsere Frauenmagazine erklären, wie man sich heutzutage anzieht, das gefällt den Chinesinnen.

Ein politisches Magazin haben Sie in China nicht gegründet.

Buchholz Das wäre auch unmöglich. China ist bekanntermaßen keine Demokratie nach westlichem Zuschnitt. Es ist schon spannend genug, ein Magazin für junge Familien in einem Land aufzubauen, das die Ein-Kind-Politik verfolgt.

Mit Bernd Buchholz sprachen Sven Gösmann und Reinhard Kowalewsky.

(RP)
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