Fachkräftemangel in Deutschland Wachstum braucht Zuwanderung

Berlin · Der Fachkräftemangel wird in Deutschland zum größten Hemmschuh für wirtschaftlichen Erfolg. Neue Zuwanderungszahlen belegen, dass die Bundesrepublik gerade für Hochqualifizierte zu wenig attraktiv ist.

 Flüchtlinge lernen den Wiederaufbau von Häusern und die Arbeit mit einem Schweißbrenner. (Symbolbild)

Flüchtlinge lernen den Wiederaufbau von Häusern und die Arbeit mit einem Schweißbrenner. (Symbolbild)

Foto: dpa, nie his

Deutschland dürfte eigentlich für viele ausländische Arbeitnehmer wie eine Insel der Glückseligen wirken: anhaltender Wirtschaftsboom, steigende Löhne und Gehälter, geringe Jugendarbeitslosigkeit. Hinzu kommen ein verhältnismäßig hohes Maß an öffentlicher Sicherheit und gute Versorgung im Krankheitsfall.

 Vor allem in technischen Berufen bleiben Stellen lange unbesetzt (Symbolbild).

Vor allem in technischen Berufen bleiben Stellen lange unbesetzt (Symbolbild).

Foto: centertv

Unter dieser hübschen Oberfläche brodelt es bei den Unternehmen jedoch schon lange. Ein wesentlicher Grund ist, dass Experten zufolge jedes Jahr bis zu 400.000 gut ausgebildete Arbeitskräfte fehlen. Und die bisherige Zuwanderung von Menschen, die hier Arbeit suchen oder bereits einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben, kann das bei Weitem nicht auffangen.

Eine Million offene Stellen, rund 40.000 eingewanderte Fachkräfte

Frische Zahlen aus dem Ausländerzentralregister, die die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen verschickte und die unserer Redaktion vorliegen, unterfüttern das. Demnach reisten im Jahr 2016 nur 39.897 Menschen aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland "zum Zweck der Erwerbstätigkeit" oder mit der sogenannten Blue Card ein. Rund 14.000 von ihnen bekamen eine Aufenthaltsgenehmigung ohne qualifizierte Beschäftigung, etwas mehr als 17.000 mit qualifizierter Beschäftigung. 6643 kamen 2016 mit einer Blue Card der EU, knapp 1400 wiesen eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit nach. Auch 365 Forscher waren unter den knapp 40.000.

Im vergangenen Jahr erhielten den Daten zufolge insgesamt zwar knapp 85.000 Personen eine Aufenthaltsgenehmigung, damit sie eine Stelle antreten oder Arbeit suchen konnten. 44.216 von ihnen waren aber schon vor 2016 eingereist. "Die Zahlen belegen, dass wir von einer bedarfsgerechten Einwanderung von Fachkräften meilenweit entfernt sind", sagt Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, die die Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. "Bei über einer Million offener Stellen und nur 40.000 eingewanderten Fachkräften aus Drittstaaten muss man kein Mathe-Genie sein, um zu erkennen, dass das vorne und hinten nicht ausreicht", so die Bundestagsabgeordnete.

Mittelstand hat Probleme bei Mitarbeitersuche

Welcher Mangel an hochqualifizierter Zuwanderung herrscht, machen die Zahlen ebenfalls deutlich. Demnach erhielten 2016 lediglich 222 Personen eine Aufenthaltsgenehmigung, um hier nach einem Arbeitsplatz zu suchen. Das dürfen nur Ausländer, die über einen deutschen, einen anerkannten oder vergleichbaren Hochschulabschluss verfügen. 71 von ihnen kamen 2016 nach Deutschland, 151 waren bereits im Land.

Jüngst meldete der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr eine halbe Million zusätzliche Stellen schaffen wolle. Unternehmen bezeichneten einer DIHK-Umfrage zufolge den Fachkräftemangel bereits als "Top-Risiko". Und im Januar veröffentlichte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young eine Studie, wonach 80 Prozent der befragten Mittelstandsunternehmen Probleme bei der Mitarbeitersuche hätten. Der Analyse zufolge entgehen den Firmen, die weit mehr als 90 Prozent der Wirtschaftsstruktur in Deutschland ausmachen, allein wegen des Fachkräftemangels mehr als 50 Milliarden Euro an Umsatz.

Nicht attraktiv genug für hochqualifizierte Arbeitskräfte

Dabei ist das Klagelied vom Facharbeitermangel ja nicht neu. Warum gelingt es der Bundesregierung und den hiesigen Unternehmen bisher nicht, die Zuwanderung qualifizierter Menschen zu erhöhen? Ist Deutschland vielleicht doch nicht so attraktiv? "Die Bundesrepublik, vor allem der Westen, war traditionell noch nie ein Land, das besonders qualifizierte Arbeitskräfte angezogen hat", sagt Andreas Peichl, Leiter des Zentrums für Konjunkturforschung am Münchner Ifo-Institut. Die Gastarbeiter, die ab Mitte der 50er Jahre vor allem aus Italien und der Türkei kamen, seien zumeist geringqualifiziert gewesen.

"Hinzu kommt die große Sprachbarriere", sagt Peichl. Behördengänge, ein Konto eröffnen, Vermieter finden, all das gehe insbesondere abseits der Großstädte fast ausschließlich auf Deutsch. "Und auch die Kommunikation und die Arbeitsprozesse in den Unternehmen sind noch zu wenig international", meint Peichl. Und Facharbeitermangel gebe es in fast allen Industrieländern. "Hochqualifizierte können es sich also aussuchen und finden etwa in den USA, Australien, Asien oder skandinavischen Ländern meist bessere Bedingungen vor", so der Ifo-Experte. Er empfiehlt ein Einwanderungsgesetz mit Punktesystem nach kanadischem Modell und mehr Maßnahmen, um Frauen in den Arbeitsmarkt zu holen.

Beim Einwanderungsgesetz, so ist zu erwarten, wird es nach der Bundestagswahl Bewegung geben. SPD und Grüne haben ihre Konzepte bereits vorgelegt, die Union hält es sich noch offen. Allerdings wollen CDU und FDP aus Nordrhein-Westfalen Anstoß über den Bundesrat bringen.

(jd)
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