Lockerheit als Geschäftsprinzip Die neue Duz-Kultur der Konzerne

Düsseldorf · Ordentlich, zackig, straff organisiert - das war die deutsche Wirtschafts-Leitkultur der 50er- und 60er-Jahre. Flexibler, mit weniger Hierarchie, immer öfter per Du im Büro - das ist der neue Trend in den Büroetagen von Deutschlands Unternehmen im Digital-Zeitalter.

 Otto-Chef Hans-Otto Schrader lässt sich von seinen Mitarbeitern duzen.

Otto-Chef Hans-Otto Schrader lässt sich von seinen Mitarbeitern duzen.

Foto: dpa

Wohin die Reise geht, zeigt der 66 Jahre alte Otto-Versand. "Wir müssen im Konzern vom Sie aufs Du wechseln", verkündete Vorstandschef Hans-Otto Schrader am Mittwoch. Gezwungen werde aber niemand: "Wer die Vorstände duzen will, der kann das tun."

Die Initiative hängt eng mit dem Siegeszug digitaler Geschäftsmodelle zusammen: Mehr Eigeninitiative ist gefragt, zentrale Entscheidungen werden unwichtiger, alles wird ein bisschen angelsächsisch-lockerer - you statt Sie.

Je globaler die Unternehmen agieren, umso deutlicher setzt sich der Trend durch. "Danke, Kathrin", meinte am Donnerstag Henkel-Chef Kasper Rorsted, nachdem Personalchefin Kathrin Menges bei einer Pressekonferenz gesprochen hatte. "Jetzt bist du dran", sagte kürzlich Telekom-Leiter Tim Höttges bei ähnlicher Gelegenheit zu Vorstandskollegin Claudia Nemat.

Lockerheit als Geschäftsprinzip

Bei den Online-Händlern Amazon Deutschland und Zalando tragen die Chefs im Büro oft Jeans und Pullover - Lockerheit und Tempo gehören zum Geschäftsprinzip.

Bei Eon versucht Chef Johannes Teyssen diese Denke auch zu demonstrieren - er nahm 30 Kilo ab, der Schlips ist nicht mehr Pflicht, so will er junge Talente für den Aufbau der Ökogeschäfte ködern.

Die Firmenkultur in der Digitalszene fasziniert auch Gisbert Rühl, Vorstandschef des Duisburger Stahlhändlers Klöckner & Co. Duzen lässt sich der Chef von Mitarbeitern zwar noch nicht, dafür hat er sein Büro für Kollegen geöffnet. Seit einigen Wochen können sie hier Konferenzen abhalten. Für einen Traditionskonzern in der konservativen Stahlbranche ein großer Schritt. Momentan wird in dem Gebäude auch umgebaut: Alles soll offener werden. Das soll die Kommunikation fördern.

Ähnlich denkt man auch beim Essener Handelskonzern Karstadt. Dort blieb der Vorstand noch bis vor Kurzem gern unter sich. Der Vorstandschef saß in einem eigenen Büro hinter dicken Türen mit einer Sekretärin, die aufpasste, dass niemand an ihr vorbei kam. Was ohnehin schwierig gewesen wäre: Die Führungsspitze verschanzte sich in einer Etage, die abgeriegelt war.

Heute steht diese Führungsetage leer. Stephan Fanderl, seit gut einem Jahr Karstadt-Chef, sitzt in der hinteren Ecke eines Großraumbüros. Jeder Mitarbeiter läuft an seinem Schreibtisch vorbei, jeder kann sehen, ob er gerade telefoniert oder mit anderem beschäftigt ist. Einen festen Dresscode gibt es nicht mehr - breit geduzt wird aber nicht.

Auch das Verwaltungsgebäude aus den 60er Jahren ist bald Geschichte. Karstadt sucht nach einer neuen Konzernzentrale, luftiger soll sie sein, loftähnlicher, moderner - ähnlich wie der Vodafone-Campus in Düsseldorf.

Dabei sind die Telefonkonzerne Vorreiter beim Vormarsch in die neue Arbeitswelt. Die Telekom lässt in Bonn ganze Flure mit offenen Gesprächsecken ausstatten, Vorstandschef Höttges läuft oft nur im Pulli herum, zeigt sich auch im Brief an die Aktionäre ohne Schlips.

Bei Vodafone-Deutschland als Teil des Londoner Vodafone-Konzerns unterschreibt der neue Vorstandschef Hannes Ametsreiter seine internen Mails nur mit "Hannes". Ein abgeschottetes Büro hat er wie Amtsvorgänger Jens Schulte-Bockum nicht mehr. Auch auf eine feste Anwesenheit im Büro legt das Management keinen Wert mehr - nur die Leistung zählt. "Ein Unternehmen darf nicht dogmatisch am Tradierten hängen", meint Ametsreiter.

So locker sich der Stil entwickelt, so widersprüchlich ist er: Der künftige Henkel-Vorstand Pascal Houdayer präsentiert sich auf Firmenfotos streng mit Brille und rotem Schlips - gleichzeitig zeigt er auf Facebook jedermann Urlaubsfotos (ohne Brille). Der frühere Vodafone-Leiter Schulte-Bockum wurde von Welt-Chef Vittorio Colao zwar immer freundlich mit "Jens" oder "der Mann mit den grauen Haaren" tituliert. Doch als die Zahlen nicht mehr stimmten, war trotzdem Schluss mit der Freundschaft.

(RP)
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