Produktivität Deutschland eilt Europa davon

Düsseldorf (RPO). Die deutsche Wirtschaft ist im Vergleich zu den europäischen Nachbarn rund zehn Prozent produktiver. Allerdings warnen Ökonomen: Für die Zukunft sieht es beim Wirtschaftswachstum mau aus - und Deutschland hat eine gefährliche Schwäche.

So entwickelten sich die Löhne von 2000 bis 2010
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Düsseldorf (RPO). Die deutsche Wirtschaft ist im Vergleich zu den europäischen Nachbarn rund zehn Prozent produktiver. Allerdings warnen Ökonomen: Für die Zukunft sieht es beim Wirtschaftswachstum mau aus - und Deutschland hat eine gefährliche Schwäche.

Von 2008 auf 2009 habe Deutschland den Vorsprung bei der Produktivität von 5,8 auf 8,5 Prozent ausgebaut, 2010 läge er bei rund zehn Prozent, schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Allerdings zeigten andere Wirtschaftskrisen, dass die sich die Wachstumsraten nach der Erholung in hoch entwickelten Industriestaaten auf niedrigerem Niveau einpendelten.

Wachstum in der Zukunft eher mau

Die amerikanische Ökonomen Carnen und Vincent Reinhardt erwarten dem Bericht zufolge daher für die kommenden zehn Jahre im Durchschnitt nur 1,7 Prozent Wachstum in den Industrieländern. Auch für Deutschland erwartet McKinsey ein schnelle Ernüchterung. "In den nächsten Jahren wird Deutschland selten Wachstumsraten über zwei Prozent erzielen", zitiert die Zeitung das Unternehmen. Für dieses Jahr erwarten die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute allerdings noch ein kräftiges Wachstum von 3,5 Prozent.

Auch die Bundesregierung rechnet nach einem Bericht des Magazins "Focus" inzwischen mit 3,5 Prozent Wachstum in Deutschland. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sprach von "reiner Spekulation". Die Regierung wird ihre überarbeitete Prognose für 2010 am Donnerstag veröffentlichen. Klar ist bereits jetzt: Derzeit brummt die deutsche Wirtschaft wie lange nicht mehr.

Längst ist daher die Forderung nach höheren Löhnen kein reines Gewerkschaftsthema mehr. Auch die Koalition dringt auf ein kräftiges Plus in der Lohntüte bei den Tarifabschlüssen, damit der Aufschwung auch bei den Beschäftigten ankommt. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hatte vor wenigen Tagen für kräftige Lohnerhöhungen plädiert und war dabei von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt worden.

Jahrzehnte der Entbehrungen für Arbeitnehmer

Nicht zuletzt die strikte Lohnzurückhaltung in den vergangenen zwei Jahrzehnten brachte die deutsche Wirtschaft die Wettbewerbsvorteile, die sich nun im starken Export zeigen. In den vergangenen zehn Jahren sind die Nettolöhne real sogar zurückgegangen: Inflationsbereinigt erhielt ein Arbeitnehmer 1999 noch 16.025 Euro netto, 2009 waren es durchschnittlich nur noch 15.815 Euro im Jahr.

Auch vom Euro profitiert die deutsche Exportwirtschaft gleich doppelt: Einerseits werden Währungsschwankungen bei der Ausfuhr von Waren in Euro-Länder vermeiden, anderseits ist der Euro schwächer als eine rein deutsche Währung wäre, wodurch deutsche Waren im Ausland billiger und konkurrenzfähiger werden.

Angesichts der wieder anlaufenden Weltkonjunktur nach der Krise ist der Export auch die tragende Säule der Wirtschaftserholung in Deutschland. Gerade in Boom-Staaten wie China und Indien, die derzeit eine industrielle Infrastruktur aufbauen, wird deutsche Technik geschätzt. Anderseits bleibt der Binnenkonsum das Sorgenkind der deutschen Wirtschaft.

Weil Deutschlands Export schon vor der Krise stark war, während der Binnenkonsum traditionell schwach ist, brach die deutsche Wirtschaftkraft während der Weltwirtschaftskrise auch besonders stark ein. Die Ausfuhren brachen 2009 in einem Tempo zusammen, wie man es seit Gründung der Bundesrepublik 1949 noch nicht erlebt hat. Die Wirtschaftsleistung schmierte um 4,7 Prozent ab. Von der Erholung der Weltkonjunktur partizipiert Deutschland daher nun überproportional. Beim Nachbarn Frankreich waren die Folgen nicht so gravierend: Dort schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt nur halb so stark, weil die Franzosen weit weniger außer Landes verkaufen.

Kritik am "Modell Deutschland"

Zahlreiche internationale Ökonomen sehen das deutsche Modell mit einem starken Export und einer schwachen Binnennachfrage kritisch. Die großen Handelsungleichgewichtige zwischen den Staaten, bei denen einige Länder wie China und Deutschland hohe Exportüberschüsse erzielen, während beispielsweise die USA große Defizite in der Handelsbilanz aufweisen, gelten als eine Ursache von Kapitalblasen.

Die Mehrzahl der deutschen Ökonomen verteidigt das Modell, allerdings gibt es auch Ausnahmen: "Die große Abhängigkeit vom Export ist gefährlich", warnte beispielsweise der Deutschland-Chefvolkswirt von Unicredit, Andreas Rees, bereits im August. "Wir sind jetzt auf der Sonnenseite, können aber ganz schnell wieder im Schatten stehen." Denn durch den starken Exportanteil der deutschen Volkswirtschaft wirkt sich jedes Auf und Ab der Weltkonjunktur überproportional auf die Wirtschaftsleistung aus.

Verdi fordert kräftiges Lohnplus

Auch deshalb will die Gewerkschaft Verdi in den anstehenden Tarifrunden deutliche Lohnerhöhungen durchsetzen. "Der Aufschwung steht nur auf einem Bein, er ist nahezu ausschließlich exportgetrieben", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske am Wochenende im Deutschlandfunk. "Wir brauchen dringend eine Stärkung des Binnenmarktes, und da kommt der Lohnseite eine zentrale Bedeutung zu."

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte dagegen die Forderungen aus dem Regierungslager nach einem Lohnplus für Arbeitnehmer. Zwar spreche generell nichts gegen Lohnerhöhungen im kommenden Jahr. "Umgekehrt darf man aber auch nicht vergessen, dass die deutsche Wirtschaft auf Massenentlassungen verzichtet hat, als es der Konjunktur im letzten Jahr schlecht ging", warnte der DIW-Präsident Klaus Zimmermann im Gespräch mit der Online-Ausgabe des "Handelsblatt".

Auch sei die wirtschaftliche Lage nicht in allen Branchen gleichermaßen gut. "Es wird deshalb auf Augenmaß ankommen." Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hatte vor wenigen Tagen für kräftige Lohnerhöhungen plädiert und war dabei von Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt worden.

Mit Material von Reuters

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