Virtuelle Realität im Autobau Datenautobahn statt Teststrecke

Düsseldorf · Wer in diesen Tagen die Entwicklungsabteilungen der deutschen Automobilhersteller betritt, blickt nicht nur auf Entwürfe für die Modelle des kommenden Jahres, sondern blickt noch viel weiter in die Zukunft. Schraubendreher, Gummihammer und Gipsmodelle spielen in dieser Zukunft kaum eine Rolle.

Ersetzt werden diese Werkzeuge in Zukunft wohl durch Computer und Fertigungsroboter. Besonders in der Entwicklung von Automobilen sorgt eine Technik für eine rasante Entwicklung, die Kosten und Zeit gleichermaßen einsparen soll. Diese Technik ist die virtuelle Realität, ihre spektakulärste Erscheinungsform ist die sogenannte CAVE ("Cave Automatic Virtual Environment" (deutsch: "Höhle mit automatisierter, virtueller Umwelt") . Die CAVE ist ein Raum, dessen Wände - und meist auch der Boden - aus Leinwänden bestehen.

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Foto: afp, db/kg

Wer diesen Raum betritt, verlässt der Gegenwart und reist in eine virtuelle Zukunft. Sensoren und Kameras bestimmen den Standort des Benutzers der CAVE. Wenn man sich in dem Raum bewegt, passt sich auch das Bild auf den Leinwänden an. Man fühlt sich wie in die Welt eines Computerspiels gebeamt. Und tatsächlich stammen große Teile der Technik, die für diese Räume verwendet werden, aus der Unterhaltungselektronik.

In der Medizin, der Verbrechensbekämpfung und in der Industrie wird die virtuelle Realität jedoch nicht zu Unterhaltungszwecken genutzt. Bei Herstellern wie Daimler oder Ford werden CAVEs genutzt, um Fahrzeuge zu entwickeln und zu testen. Bevor das erste Modell aus Ton, Kunststoff oder Metall entsteht, gibt es ein virtuelles Modell.

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Foto: Bayer/Dirk Hansen

Das selbstfahrende Modell S015 von Mercedes gab es schon lange als Datensatz im Computer, bevor es im vergangenen Jahr auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas vorgestellt wurde. In Sindelfingen betreibt Daimler zwei virtuelle Höhlen, in einer der beiden können Entwickler und Designer Autos im Maßstab 1:1 darstellen und damit Abmessungen im Innenraum direkt nachvollziehen.

Bei Ford in Köln werden einige Entwicklungsstufen mittlerweile ausschließlich digital durchgeführt. "Ergnonomische Aspekte bei Lenkrädern werden zum Beispiel rein virtuell geprüft. Die Probanden können dann die Position des Lenkrades für ihre unterschiedlichen Körpergrößen einstellen.", sagt Michael Wolf, Supervisor Virtual Reality bei Ford. Zudem testen Probanden, ob sie von einem Autositz, der in die CAVE integriert wird, alle Instrumente sehen und das virtuelle Radio bedienen können. Auch wenn einige Arbeitsschritte schon jetzt nur noch digital erledigt werden, finden Testfahrten und andere Entwicklungsprozesse noch weitgehend anhand von Prototypen statt.

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Foto: Hersteller

Nahe Stuttgart macht man sich Gedanken darüber, wie die virtuelle Realität mögliche Probleme im Nachgang der Produktion verhindern kann. In der virtuellen Realität können Mechaniker etwa Wartungsarbeiten durchführen. Wenn im virtuellen Raum auffällt, dass etwa der Öltank so versteckt liegt, dass ein Mechaniker ihn später nicht erreichen könnte, dann kann in der Entwicklung nachgebessert werden.

Das ist wesentlich günstiger als dieses Tests an einem Prototyp aus Metall durchzuführen, denn diesen umzubauen ist nicht so einfach. Aber auch wenn ein Auto fertig entwickelt, gebaut und bereits gefahren wurde, können digitale Modelle helfen. Daimler spielt Modelle der Autos und Bauteile auf die Tablet-Computer der Techniker. Ein 3D-Modell zeigt oft schneller, wie ein defekter Bauteil auszutauschen ist als ein Handbuch in Papierform.

Doch es gibt auch Bereiche, in denen die virtuelle Realität an ihre Grenzen stößt. "Neben dem Sehen werden andere Sinneswahrnehmungen eher anhand von Modellen angesprochen", sagt Koert Groeneveld Leiter der Abteilung "Research & Development Communications" bei Daimler. Den Tast- und den Geruchssinn können nur wenige Systeme angemessen simulieren.

Doch die bisherigen Grenzen der virtuellen Entwicklung täuschen nicht darüber hinweg, dass ihr Anteil an der Fahrzeugproduktion stetig zunehmen wird. Dafür spricht allein schon die Kostenersparnis, die eine Entwicklung mit Instrumenten wie der CAVE bringt. Marco Schumann, Leiter des Geschäftsfeldes "Virtuell Interaktives Training" am Fraunhofer Institut in Magdeburg, schätzt, dass die Ersparnis bei den meisten Produkten bei etwa 15 Prozent liegt.

Das Fraunhofer Institut in Magdeburg zieht seine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit VW, dem Landmaschinenhersteller John Deer oder dem Flugzeugbauer Airbus. Bei den Automobilherstellern stoßen solche Schätzungen auf offene Ohren. Zumindest bei Daimler wird die Technologisierung der Fahrzeugentwicklung auch nicht von der "Schrauberehre" gebremst. "Wenn es technisch möglich werden sollte, wäre es schon wünschenswert, dass bis zur Produktion simuliert und mit digitalen Modellen gearbeitet wird.", sagt Koert Groeneveld von Daimler.

Ein Blick in die Formel 1, deren Sinnhaftigkeit oft mit ihrer Vorbildrolle als Innovator für die Automobilbranche begründet wird, zeigt, dass eine komplette Entwicklung am Computer theoretisch möglich ist. Das Team Virgin Racing stellte im Februar 2010 einen Rennwagen vor, der nach eigenen Angaben komplett am Computer konstruiert worden war. Anders als andere Rennställe hatte Virgin demnach auch auf teure Tests in Windkanälen und auf Rennstrecken verzichtet.

Da es jedoch immer wieder Probleme mit den Fahrzeugen gab, kehrte das Team - nun unter dem Namen Marussia - zur klassischen Entwicklung mit Prototypen zurück.

(ac)
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