Tui-Chef Friedrich Joussen "Das höchste Risiko beim Urlaub ist die Fahrt zum Flughafen"

Hannover · Tui-Chef Friedrich Joussen (53) spricht im Interview mit unserer Redaktion über Tourismus in Zeiten des Terrors, die Zukunft der Reisebüros in Deutschland und erklärt, warum sein Unternehmen in Hannover bleibt.

 Tui-Chef Friedrich Joussen stammt aus Duisburg.

Tui-Chef Friedrich Joussen stammt aus Duisburg.

Foto: Bretz

Im wichtigen Urlaubsland Türkei gab es wieder einen schweren Anschlag. Was bedeutet dies?

Joussen: Das ist sehr, sehr traurig und macht uns natürlich betroffen. Die Anschläge sind in Istanbul passiert. Das AuswärtigeAmt rät auf seiner Internetseite zu erhöhter Vorsicht in den Großstädten. Die Urlaubsregionen an der Ägäis und der türkischen Riviera liegen aber mehrere hundert Kilometer von Istanbul entfernt. Wichtig ist nun, dass sich die Gäste im Internet und im Reisebüro informieren und dann ihre Entscheidung treffen. Die Türkei ist ein sehr gastfreundliches Land mit wunderbaren Hotels, aber wir überreden niemanden. Wir sind in mehr als 100 Ländern der Welt mit eigenen Mitarbeitern - also sind wir in der Lage, unseren Gästen eine Vielzahl von Alternativen anzubieten.

Der zunehmende Terror kann Ihnen das Geschäft vermiesen.

Joussen: So traurig das ist, die Terrorgefahren sind Teil unseres Alltags geworden. Das haben wir mitten in Europa in Paris und Brüssel gesehen. Aber auch in Sousse in Tunesien, wo vor einem Jahr ein Haus von uns Ziel eines fürchterlichen Anschlages war. Es zeigt sich momentan ein klarer Trend weg vom östlichen Mittelmeer hin nach Spanien, Italien oder auch in die Karibik. Andererseits steht für mich fest: Die Menschen wollen reisen und es werden dieses Jahr so viele Menschen weltweit in Urlaub fahren wie noch nie. Insgesamt sind die Risiken beherrschbar: Das höchste Risiko ist statistisch gesehen noch immer die Fahrt zum Flughafen, die Gefahr eines ganz normalen Verkehrsunfalles.

Als weiteres Problem will Großbritannien aus der EU austeigen und die TUI verlor als in London notierte Aktie mehr als 15 Prozent des Wertes. Was bedeutet das für TUI?

Joussen: Kurzfristig entsteht Unsicherheit. Das zeigt sich in den heftigen Bewegungen vieler Aktien im Bankensektor, bei Fluggesellschaften und auch uns. Sollte das britische Pfund nachhaltig Wert verlieren, beeinträchtigt das die Kaufkraft. Aber wenn Sie mich fragen, ob die reiselustigen Briten deswegen weniger Urlaub machen? Ich bezweifel das. Großbritannien ist ein großer Markt für Tui, aber wir sind auch ein weltweiter Konzern. Alle Prognosen sagen, dass der globale Tourismus wächst. Wir halten die Auswirkungen für beherrschbar. Und wir bestätigen auch nach dem Referendum unsere Prognose für Tui.

Und haben Sie noch trotz dieser vielen Turbulenzen noch Zeit für Ferien?

Joussen: Ja, aber ich halte auch während des Urlaubs Kontakt zum Unternehmen. Ansonsten mag ich natürlich Reisen und Urlaub — wer tut das nicht. Mit der Familie fahren wir gerne mal um Ostern oder im Herbst mit Freunden in einen unserer Robinson Clubs, zum verlängerten Wochenende auch gerne mal nach Castelfalfi in die Toskana, wo TUI ein typisches italienisches Dorf rekonstruiert hat. Städte- und Fernreisen mögen wir auch - Abwechslung zählt.

Bringt Urlaub Geld?

Joussen: Auch geschäftlich ist Urlaub attraktiv: Wir rechnen damit, dass der operative Gewinn der TUI in den nächsten drei Jahren jeweils um zehn Prozent steigt. Der bisherige Verlauf der Saison bestätigt mich in dieser Erwartung, trotz der Turbulenzen. Bei den Buchungen haben wir ein Umsatzplus von zwei Prozent im ersten Halbjahr eingefahren. Der Tourismus ist eine Wachstumsindustrie.

Online-Buchen liegt im Trend. Ist das nicht ein Riesenproblem für die TUI als weltweit wichtigstem Anbieter von Pauschalreisen, bei dem ich Flug, Hotel und Transfer im Paket bestelle?

Joussen: Nein. Pauschalreisen sind heute sehr individuell, es geht um guten Service und Komfort. Und die Sicherheit, die ein Konzern wie TUI bietet, weil er in mehr als 100 Ländern für die Gäste da ist. Für viele Menschen ist kein Kauf emotional wichtiger als ein schöner Urlaub. Es ist die wichtigste Investition des Jahres für die ganze Familie. Sie möchten etwas erleben, sie wollen kein Risiko, sie möchten sich wohlfühlen, sie wollen davon später erzählen — also achten Gäste auf Qualität. Ein Gegensatz zum Siegeszug des Internets ist das übrigens nicht: Die Menschen informieren sich digital über unsere Angebote oder Ziele und buchen zunehmend online.

Das Reisebüro ist tot?

Joussen: Nein. Natürlich wird unsere Industrie digitaler, aber wir Deutsche mögen weiterhin die Beratung im Reisebüro. In Schweden oder Großbritannien spielt Online dagegen heute schon eine viel größere Rolle.

Aber Städtereisen werden doch nicht mehr im Paket gekauft.

Joussen: Der Markt differenziert sich. Bei Geschäftsreisen und Städtetouren bucht der Kunde Flug und Hotel häufiger getrennt. Aber selbst als Vielreisender mit 160 Reisetagen im Jahr habe ich mir für ein Familienwochenende in Barcelona von einem Reisebüro ein Hotel empfehlen lassen. Reine Onlinesuchen sind für viele unserer Kunden oft frustrierend, sie möchten kompetenten Rat - auch darum bauen wir unsere Reisebüros teilweise aus. Allerdings sind Städtereisen nicht das Kerngeschäft der TUI, beim Urlaub mit Sonne und Strand zählen die Qualität des Hauses, das Urlaubsland, die Lage des Hotels und auch die Marke.

Dann verkaufen Sie doch nur noch Übernachtungen.

Joussen: Wir ändern tatsächlich unsere Strategie. Die TUI war früher ein Händler von Reisen. Unsere Investitionen gehen heute in eigene Hotels und in den Ausbau unserer drei Kreuzfahrtflotten in Deutschland und in England. Wir werden so zunehmend ein Hotel- und Kreuzfahrtkonzern. Unsere Reisebüros, unsere Vertriebspartner und unsere 140 Flugzeuge garantieren hohe Auslastungen der eigenen Hotels und Schiffe, weil wir Vertrieb und Flugpläne auf sie ausrichten. Damit wird der Konzern gestärkt und robuster, weil im Hotelgeschäft deutlich höhere Margen liegen als im Handel.

Wäre es nicht viel schlauer, einen Onlinehändler wie Trivago zu übernehmen, um Geld ohne hohe Investitionen in Hotels zu machen?

Joussen: Trivago ist sicherlich ein spannendes Unternehmen. Aber Trivago ist eine Internet-Plattform, kein Hotelier wie wir. Unsere DNA ist die Touristik - und das Geschäft beherrschen wir sehr gut, auch in der digitalen Welt. Unsere Investoren schätzen unsere Strategie: Wir bauen 60 neue Hotels, bis 2019 kommt jedes Jahr ein neues Kreuzfahrtschiff in die Flotte. In Mexiko baut RIU bis 2020 sechs neue Hotels, das sind 645 Millionen US-Dollar Investitionen. Die Kapitalrendite unserer Häuser in der Karibik liegt deutlich über 15 Prozent, weil wir sie 365 Tage im Jahr auslasten können.

Und die Kreuzfahrten?

Joussen: Auch sie lassen sich ganzjährig auslasten. Ein Schiff kostet rund eine halbe Milliarde Euro. Ein Fünftel davon bringen wir selber auf, der Rest wird finanziert. Ein Schiff der TUI Cruises erwirtschaftet rund 50 Millionen Euro Ergebnis im Jahr. Auch hier bleibt eine sehr gute Rendite auf das Eigenkapital. Das beides zeigt die eingeleitete Transformation des Konzerns.

Mit solchen Rechnungen könnten Sie weitere Wettbewerber anlocken und so Ihr Geschäft kaputt machen.

Joussen: Uns stört nicht, wenn auch der Wettbewerb so agiert. Außerdem müssen wir unseren Investoren und den 76.000 Mitarbeitern erklären, wohin die Reise geht und warum wir diesen Weg für richtig halten. Jedes unserer neuen Kreuzfahrtschiffe ist schon vor Stapellauf gut gebucht und die Kapazitäten der weltweit vier in Frage kommenden Werften sind bis in das nächste Jahrzehnt ausgelastet. Die Hotels in der Karibik haben auch beste Perspektiven: wir sehen einen Trend hin zu Fernreisen und mit der in Europa größten Flotte an Boeing-Dreamlinern mit künftig 16 Maschinen bringen wir die Gäste komfortabel und schnell zu diesen Ziele. Im Sommer kommen Gäste aus Europa, im Winter aus Kanada und dem Norden der USA. So ergänzt sich unser Europa-Geschäft mit dem der TUI-Töchter in Kanada und in den USA.

Planen Sie in Asien eine ähnliche Mischung der Gäste?

Joussen: Einige unserer Häuser werden sehr international vermarktet. So zum Beispiel der erste Robinson Club auf den Malediven. Dort machen Chinesen, Japaner und Koreaner 60 Prozent des Gästeanteils aus. Für sie gibt es dann speziell asiatische Küche - die aber übrigens auch viele unserer deutschen Gäste sehr schätzen. Gerade bei Robinson stehen Marke, Lebensgefühl und Interessen der Gäste stark im Vordergrund, bei deutschen wie bei internationalen Gästen. Wie wichtig ist eine zentrale Steuerung des Geschäftes? Joussen: Die TUI-Landesgesellschaften müssen Freiheiten haben, nah am Markt und an den Kunden sein. Das gilt auch für Hotels. Jeder Robinson Club oder jedes Riu-Hotel wird sehr individuell geführt -aber nach klaren Qualitätsstandards. Gleichzeitig zentralisieren wir im Konzern die Kompetenzen in sechs Bereichen: bei der Markenführung, bei IT und Computersystemen, bei der Flugzeugflotte, Hotels und Kreuzfahrtschiffen und bei den Zielgebietsagenturen mit 6500 Mitarbeitern in den Feriengebieten.

Wer profitiert davon, Unternehmen oder Kunde?

Joussen: Die Kunden profitieren durch besseren Service, das Unternehmen wird effizienter — zum Beispiel wenn wir den Kauf von Flugzeugen oder die Wartung zentral steuern. Wichtig ist auch die enge und vertrauensvolle Partnerschaft mit den Destinationen. Nach dem Anschlag in Sharm El Sheikh in Ägypten im November 2015 haben wir innerhalb von 24 Stunden zusätzliche Hotel-Kapazitäten für 26 Millionen Euro in anderen Destinationen gesichert.

Zum Abschluss folgende Frage: Was halten Sie als Kind der Region und Duisburger davon, wenn der Flughafen Düsseldorf die Kapazität um rund 15 Prozent erhöhen will?

Joussen: Düsseldorf ist für mich einer der besten Flughäfen — kurze Wege, ein sehr gutes Angebot an Nonstop-Flügen in Europa und helle, moderne Terminals. Und er liegt nah an großen Städten. Der Ausbau der Kapazitäten erscheint mir sinnvoll und das richtige Signal in die Zukunft. Die ganze Region profitiert ja davon, dass der Flughafen so viele internationale Verbindungen hat. Das schafft Arbeitsplätze. Auch wir nutzen unser TUI-Büro in der Flughafen-City für zahlreiche internationale Sitzungen. Die Kollegen fliegen morgens aus vielen Ländern ein, wir diskutieren den Tag über, und abends geht es für alle wieder nach Hause. In London oder Madrid wäre das viel komplizierter.

Wenn Düsseldorf so toll ist, verlagern Sie doch die Zentrale hierhin vom nicht ganz so spannenden Hannover.

Joussen: Ich glaube die Mitarbeiter sind eng verwurzelt mit Hannover und sie schätzen auch ihr Umfeld. Das ist wichtig. So attraktiv ich Düsseldorf finde, die Frage ist nicht auf meiner Agenda. Je digitaler und mobiler unser Leben, desto weniger ist wichtig, wo ich arbeite, sondern wichtig ist hervorragende Technik. Mein Büro ist dort, wo mein iPad und mein Blackberry sind. Wir brauchen ein neues Denken, weg von Gebäuden und Büros als Status hin zu flexiblen Arbeitsplatzmodellen und moderner IT.

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