Analyse Die Banken wanken

Düsseldorf · Acht Jahre nach der Lehman-Pleite wird wieder über Systemrelevanz von Banken diskutiert. Die Deutsche Bank ist der Auslöser. Sie ist in keiner existenzbedrohenden Lage, aber ihre Risiken alarmieren die Fachleute.

 Dunkle Wolken über der Deutschen Bank.

Dunkle Wolken über der Deutschen Bank.

Foto: dpa, ade

Ohne ein funktionierendes Bankensystem gäbe es keine Geldversorgung, keine Kredite, keine Investitionen von Unternehmen, kein Wachstum der Wirtschaft. Die Geldbranche ist die wichtigste im ökonomischen Gefüge, der Schmierstoff für den Wirtschaftsmotor. Wer das nicht wusste, hat es spätestens mit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise vor fast einem Jahrzehnt begriffen. Aus der damaligen Banken-Katastrophe entstand eine veritable Wirtschaftskrise. Die Vokabel "Systemrelevanz" machte die Runde, die englische Bezeichnung "too big to fail" wurde zum elementaren Bestandteil des Krisen-Wörterbuches. Gemeint ist: Wenn eine Bank so groß und wichtig ist, dass ihr Kollaps das globale Finanzsystem und die Weltwirtschaft bedrohen könnte, kann es sich niemand leisten, diese Bank fallenzulassen. Also muss der Steuerzahler ran, damit extreme weltweite Verwerfungen vermieden werden.

Das ist eine Erkenntnis aus dem Fall Lehman, der 2008 Schockwellen auslöste und ein Geldhaus nach dem anderen in Not brachte, weil alle sich gegenseitig nicht mehr vertrauten und keine Kredite mehr geben wollten. Der damalige US-Finanzminister Henry Paulson sah nach der Rettung dreier anderer amerikanischer Banken keine Notwendigkeit, auch noch eine vierte vor dem Untergang zu bewahren - ein fataler Fehler, wie sich herausstellte. Finanzpolitisch der größte der Bush-Regierung.

Acht Jahre danach diskutiert die Öffentlichkeit darüber, ob die Deutsche Bank ein Fall für Staatshilfe sein könnte. Eigentlich sollte diese Frage generell nicht mehr gestellt werden, weil Europa seit Anfang 2015 einen eigenen Abwicklungsmechanismus hat, mit dem in Not geratene Banken gestützt werden und Steuerzahler geschont werden sollen. Aber erstens ist allen klar, dass die 55 Milliarden Euro, die Europas Banken bis 2018 in einen Rettungsfonds einzahlen müssen, bei Weitem nicht ausreichen, eine Großpleite komplett abzufedern. Und: Abseits aller Verlautbarungen weiß kein Außenstehender, wie gut - oder vielmehr wie schlecht - es der Deutschen Bank wirklich geht. Die Unsicherheit ist es, die an den Investoren nagt. Das Vertrauen schwindet, weil sich immer neue Baustellen für Deutschlands einstige Paradebank aufzutun scheinen und weil der Bank die Ertragsperspektiven fehlen. Wo sollen die Gewinne auch herkommen, wenn Zinsen dauerhaft niedrig sind, Provisionen schmelzen und Kosten für aufsichtsrechtliche Anforderungen explodieren?

Und deswegen wird diskutiert - ausgelöst durch eine drohende Milliardenzahlung in den USA. Die Debatte ist natürlich zunächst rein theoretisch, weil Deutschlands einstige Superbank von einst noch genug Kapitalreserven hat, um ihre fast 8000 Rechtsstreitigkeiten zu finanzieren, weil sie ihre Aktionäre darum bitten könnte nachzulegen, weil sie neue Anteilseigner einwerben könnte, weil sie zunächst Geschäftsbereiche verkaufen könnte, weil vor der Inanspruchnahme des Steuerzahlers ohnehin erst mal Aktionäre, Gläubiger und Kunden zur Kasse gebeten würden. Aber was wäre, wenn das alles nicht reichen würde?

Dass die Banken wanken, ist unübersehbar. Der Commerzbank geht es kaum anders. Wer fast 10.000 Stellen streicht, die über Jahre hinweg ausgefallene Dividende nach einer einzigen Zahlung schon wieder einstellt und das Geschäftsmodell radikal wandelt, tut das aus der Not heraus. Einen Unterschied macht das zunächst für den Betrachter nicht. Krise ist Krise, könnte man in extremer Vereinfachung der Sachverhalte bei der Deutschen Bank und der Commerzbank sagen. Aber im Extremfall ist da ein gravierender Unterschied. Die Commerzbank, die der Bund inmitten der Krise 2009 mit insgesamt 18 Milliarden Euro am Leben erhielt (wovon bis auf zwei Milliarden Euro direkte Kapitalbeteiligung alles zurückgezahlt wurde), ist schon extrem geschrumpft und längst nicht mehr systemrelevant.

Die Deutsche Bank dagegen verfügt immer noch über eine Bilanzsumme von etwa 1,8 Billionen Euro und ist damit zweieinhalbmal so groß wie die US-Investmentbank Lehman Brothers vor ihrem Zusammenbruch. Die Bilanzsumme, in der die Vermögenswerte stehen, ist indes gar nicht das Problem. Was viel schwerer wiegt: Die Deutsche Bank sitzt auf Derivaten mit einem Volumen von 52 Billionen Euro. Das sind, ganz vereinfacht ausgedrückt, Wetten an den Finanzmärkten. Um die Dimension klarzumachen: 52 Billionen Euro sind das 17-Fache der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung. Natürlich ist es nicht so, dass mit fehlgeschlagenen Derivategeschäften gleich die gesamten 52 Billionen verloren gehen. Aber das Ausmaß dieser Risiken ist ein Indiz dafür, wie bedrohlich eine Schieflage der Bank tatsächlich wäre für das Gesamtsystem. Darum sorgen sich Politiker, Ökonomen, Analysten in Wirklichkeit. Da mag der Konzern gebetsmühlenartig wiederholen, er habe nicht um Staatshilfe gebeten, und die Regierung stets beteuern, den Banken werde nicht mehr geholfen - die Deutsche Bank ist zu einer Problembank geworden.

Was für ein Unterschied zum Oktober 2008, als der damalige Konzernchef Josef Ackermann verkündete: "Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden." Die Deutsche Bank sei "zu keinem Zeitpunkt" in der Krise akut gefährdet gewesen, beteuerte der Schweizer seinerzeit. Heute wird die Bank von den Sünden der Vergangenheit eingeholt, und es gibt nicht wenige, die sagen, ohne Ackermanns Selbstherrlichkeit wäre sie nicht in ihrer vertrackten Situation.

Wie sagte der deutsche Sozialpädagoge Siegfried Rieger einst: "Scham ist die Angst vor der eigenen Unvollkommenheit." Umgekehrt: Wo kein Bewusstsein für Unvollkommenheit existiert, kann keine Scham entstehen.

(RP)
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