Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer "Deutschland ist ein Hort der Stabilität"

Berlin · Der Arbeitgeberpräsident begrüßt die vierte Kanzlerkandidatur Angela Merkels und prophezeit der AfD ein kurzes Leben. In der Rentenpolitik warnt er vor stark steigenden Lohnnebenkosten, beim digitalen Umbau vor zu starren Arbeitszeiten.

 Ingo Kramer steht seit 2013 an der Spitze der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.

Ingo Kramer steht seit 2013 an der Spitze der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.

Foto: dpa

Herr Kramer, Angela Merkel tritt ein viertes Mal als CDU-Kanzlerkandidatin an. Ist das ein Zeichen der Stabilität oder des Stillstands?

Kramer In dieser unruhigen Welt, in der wir uns befinden, ist Stabilität ein Faktor, nach dem sich die Bevölkerung zu Recht sehnt. Von daher glaube ich, ist die Kanzlerkandidatur von Frau Merkel ein der Zeit angemessenes Lösungsangebot. Jemanden, der heute Hü und morgen Hott sagt und in Krisenfällen keinen klaren Kurs führt, würde ich lieber nicht vorne sehen.

Ein Bundeskanzler Sigmar Gabriel oder Martin Schulz wäre also eher nicht nach Ihrem Geschmack?

Kramer Wir merken, dass die Kanzlerkandidatenfrage bei der SPD noch ungeklärt ist. Insofern würde ich uns allen raten, mit unserer Bewertung abzuwarten, bis sich die SPD erklärt hat.

Nach Brexit und Trump könnte es bald eine französische Präsidentin namens Le Pen geben. Wie wirkt der Siegeszug der Rechtspopulisten auf die Wirtschaft 2017?

Kramer Die wirtschaftliche Situation für Deutschland wird 2017 noch ähnlich gut sein wie in diesem Jahr. Der Brexit trifft uns weniger als Großbritannien. Der niedrige Euro-Kurs hilft unserer Exportwirtschaft. Wir haben uns schon ein bisschen auf die politischen Umbrüche eingestellt. Von außen betrachtet gelten wir in der Welt weiterhin als ein Hort der Stabilität. Was wir nicht wissen, ist, welche Auswirkungen die politischen Entscheidungen von Trump und anderen neu Gewählten in der Zukunft haben werden.

Auch in Deutschland wird 2017 gewählt. Welche Folgen kann der Aufstieg der AfD für die Wirtschaft haben?

Kramer Die AfD ist eine Momentaufnahme. Dass die AfD im operativen Geschäft die Politik in die falsche Richtung beeinflussen kann, erwarte ich nicht. Kaum sind sie im Parlament, fangen sie an, sich zu zerlegen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die AfD in der Lage wäre, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Viel wichtiger ist die Frage, was können die übrigen Parteien tun, um nicht noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren. Ich bin mir sicher, dass sehr viele Wähler zurückgeholt werden könnten. Damit meine ich: Ihre Ängste und Problembeschreibungen ernst nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Dazu muss man nicht so radikal wie die AfD werden.

Durch die AfD verändern sich die möglichen Koalitionsmehrheiten. Eine Mehrheit könnte es für Rot-Rot-Grün geben. Ein rotes Tuch für die Wirtschaft?

Kramer Rot-Rot-Grün würde Deutschland nicht gut tun. Das ist keine Perspektive – weder innen- noch außen- noch wirtschaftspolitisch.

Und Schwarz-Grün?

Kramer In Baden-Württemberg und Hessen ist Schwarz-Grün nicht erfolglos. Auf Bundesebene wäre das aber ein Novum. Die Umsetzung der Beschlüsse der Grünen auf ihren letzten Parteitag würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland nicht gut tun.

Wie bewerten Sie die jüngsten Rentenbeschlüsse der Koalition?

Kramer Es gibt gute Gründe für die Erhöhung der Erwerbsminderungsrente. Die Anhebung hier ist also grundsätzlich in Ordnung. Problematischer ist die Anpassung der Ost-Renten. Die Ost-Angleichung, wenn sie denn politisch gewollt ist, muss für die Rentenversicherung unbedingt kostenneutral bleiben.

Was halten Sie vom Plan der Arbeitsministerin, dauerhaft ein Rentenniveau von 46 Prozent festzuschreiben – trotz der Alterung?

Kramer Wir müssen mit Blick auf die Demografie und das Rentenniveau aufpassen, dass uns nicht der Rentenbeitragssatz völlig aus dem Ruder läuft. Jeder Rentenbeitragspunkt zusätzlich kostet uns mehr als elf Milliarden Euro jährlich und damit auch Jobs. Das ist unweigerlich so, weil viele Unternehmen bei steigenden Personalkosten nicht neue Jobs schaffen können. Die Höhe des Rentenniveaus hängt doch maßgeblich von der Balance von Beitragszahlern und Rentenempfängern ab. Hier liegt noch Potenzial. Das darf die Politik nicht vergessen.

Aber wegen der demografischen Entwicklung werden uns die Arbeitskräfte ausgehen. Was können wir dagegen tun?

Kramer 2030 werden wir nach den Prognosen schon sechs Millionen Erwerbsfähige weniger haben als heute. Bis dahin haben wir noch 14 Jahre. Uns bleibt also noch etwas Zeit, diesen Schwund zu verhindern. Zwei, drei Millionen Erwerbstätige können wir hoffentlich aus eigenen Ressourcen durch mehr Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren sowie besserer Qualifizierung von Jüngeren rekrutieren. Für die restliche Lücke brauchen wir mehr systematische Zuwanderung, die sich am Arbeitsmarkt orientiert. Davor scheut die Politik im Moment wegen der Flüchtlingskrise zurück. Aber die arbeitsmarktorientierte Zuwanderung darf kein Tabu sein. Je früher wir anfangen, den Menschen zu erklären, dass wir spätestens ab 2030 nicht nur ein gravierendes Problem mit der Rente haben werden, sondern auch mit der Pflege, mit der Krankenversicherung, mit der Infrastruktur, ja mit der gesamten Volkswirtschaft gewinnt die Zuwanderung mehr gesellschaftliche Akzeptanz.

Wir brauchen also keine Obergrenze, sondern eine Untergrenze für die Zuwanderung?

Kramer Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, brauchen wir mehr qualifizierte Zuwanderung in Arbeit. Das ist keine Frage von Ober- oder Untergrenze, sondern von Bedarf. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Wettbewerb um Fachkräfte stehen. Es ist nicht so, dass Computerspezialisten Schlange stehen, um nach Deutschland einzuwandern. Hier müssen wir mehr werben. Wenn wir diesen Mut nicht aufbringen, werden wir unseren Sozialstaat und unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Was muss in der nächsten Legislaturperiode unbedingt anpacken?

Kramer Wir müssen unser Arbeitszeitgesetz an die Digitalisierung anpassen. Es war eine gute Entscheidung von Arbeitsministerin Andrea Nahles, dass sie das thematisiert hat und auch zu einer Öffnung der starren Arbeitszeit bereit ist. Insgesamt brauchen wir mehr Flexibilität in der digitalen Arbeitswelt – vor allem mehr Gestaltungsspielraum für die Sozialpartner in der Tarifpolitik, statt immer neue gesetzliche Regulierungen und immer neue bürokratische Auflagen.

Wird die Digitalisierung unterm Strich Jobs kosten?

Kramer Nein, im Gegenteil. Die Digitalisierung bringt gravierend mehr Arbeitsplätze. Auf der einen Seite fallen spezifische Jobs etwa in einzelnen Sektoren weg, aber auf der anderen entsteht eine Fülle neuer Jobs in neuen Branchen, in Start-Ups, im Dienstleistungssektor, im Gesundheitssektor. Unser Problem wird eher sein, dass wir nicht mehr genügend Menschen finden, die die Arbeit künftig erledigen können.

(mar / qua)
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