Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer "Arbeitgeber tragen mehr als die Hälfte der Krankheitskosten"

Berlin · Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hält eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für den falschen Weg. Zudem übt er Kritik an der IG Metall und fordert Union und SPD auf, bei einer möglichen Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu achten.

 Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fordert eine Reform des Arbeitszeitgesetzes.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fordert eine Reform des Arbeitszeitgesetzes.

Foto: dpa

Verschiedener können die Welten kaum sein, in denen sich Ingo Kramer bewegt: Zuhause in Bremerhaven führt der stets gut gelaunte 64-Jährige ein mittelständisches Unternehmen für Schiffsbetriebstechnik. In Berlin vertritt der Arbeitgeberpräsident die Interessen von über einer Million Betrieben.

Auch vier Monate nach der Wahl haben wir noch keine Regierung. Können wir uns das eigentlich leisten?

Kramer Eigentlich nicht! Denn wir stehen in Deutschland vor großen Herausforderungen. Das wird in Teilen der Politik und der Öffentlichkeit leider nicht so gesehen - nach dem Motto: Die Wirtschaft brummt, die Steuern sprudeln, die Sozialkassen sind gefüllt. Das täuscht darüber hinweg, dass auf uns zeitnah gravierende Veränderungen zukommen. Durch die wegbrechenden geburtenstarken Jahrgänge wird der Fachkräftemangel drastisch verschärft. Diese demografische Entwicklung wartet dringend auf politische Antworten. Wir müssen jetzt unsere Zukunft sichern.

Trauen Sie die Zukunftssicherung Union und SPD zu?

Kramer Meine Hoffnung und mein Anspruch ist, dass es bei der Union und der SPD genug verantwortungsvolle Politiker gibt.

War es auch ein Fehler von FDP-Chef Lindner, dass er die Jamaika-Verhandlungen hat platzen lassen?

Kramer Meine Antwort darauf kennen Sie ja.

 FDP-Chef Christian Lindner ließ die Jamaika-Verhandlungen platzen.

FDP-Chef Christian Lindner ließ die Jamaika-Verhandlungen platzen.

Foto: dpa, cdt

Sie sagten Lindner persönlich bei einer gemeinsamen Veranstaltung, der FDP-Ausstieg sei eine "Schande"…

Kramer Das war in einem Disput mit Herrn Lindner, bei dem wir beide zu spät realisiert haben, dass Journalisten dabei standen. Dass ich die Form und den Zeitpunkt des Abbruchs der Jamaika-Verhandlungen durch die FDP kritisiere, daraus mache ich keinen Hehl. Es ist ein Fehler gewesen, weil die strittigen Themen zum Zeitpunkt des Abbruchs noch nicht zu Ende verhandelt waren, es mangelte an Sitzfleisch. Ich gehe allerdings davon aus, dass die FDP sich nach Neuwahlen — wann immer es dazu kommt — anders verhalten würde. Die FDP hat das klarste Konzept zu unserer sozialen Marktwirtschaft. Und es sollte sich in aktiver Regierungsverantwortung widerspiegeln.

Wie ließe sich das Rentenniveau dauerhaft stabilisieren?

Kramer Wir müssen die Zahl der Erwerbstätigen von derzeit 45 Millionen trotz der demografischen Entwicklung dauerhaft stabilisieren, damit auch 2030 und 2040 so viele Menschen einer Arbeit nachgehen. Das würde erheblich dazu beitragen Druck aus der Finanzierung der Rentenversicherung zu nehmen. Um das zu erreichen, müssen wir unter anderem die Zahl der Langzeitarbeitslosen zukünftig reduzieren. Die größte Gruppe der Langzeitarbeitslosen bilden die Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Die Kernfrage dieser nächsten Bundesregierung muss doch sein: Wie stellen wir uns möglichst sofort und wirtschaftlich effektiv auf die fortschreitende Alterung ein?

Union und SPD sprechen jetzt vor allem über Umverteilungsfragen ...

Kramer Die Wirtschaft wünscht sich kein Umverteilungs-Klein-Klein, sondern Antworten auf die Zukunftsfrage: Was müssen wir jetzt schnell tun, damit die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhalten bleibt? Es geht dabei um drei Kernpunkte: Die Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit, die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit, mehr gezielte Zuwanderung. Wir reden heute viel zu viel über die Anwerbung von ausländischen Akademikern. Denn nur wir bilden Facharbeiter in unserem beruflichen Ausbildungssystem aus - diese sind für uns mindestens genauso wichtig wie Akademiker. Deshalb müssen wir künftig gezielt junge Menschen anwerben, die ihre Ausbildung bei uns machen, um diese Lücke zu schließen.

 Union und SPD sind seit Anfang Januar in Sondierungsgesprächen.

Union und SPD sind seit Anfang Januar in Sondierungsgesprächen.

Foto: dpa, nie

Brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz, das nicht nur auf Fachkräfte zielt, sondern auch auf Teenager?

Kramer Fest steht, dass wir deutlich mehr junge Menschen aus dem Ausland benötigen werden, die wir hier ausbilden können. Nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit brauchen wir jedes Jahr 300.000 Menschen aus dem Ausland allein für Beruf und Ausbildung. Das geht über die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber hinaus, die die Politik auf etwa 200.000 pro Jahr begrenzen will. Es geht doch um eine Änderung unserer gesellschaftlichen Grundhaltung zur Zuwanderung - weg von der Ablehnung der "Fremden", hin zur gezielten Anwerbung von mehr ausländischen Fachkräften und jungen Menschen, die wir auch hier in Deutschland für unseren Arbeitsmarkt ausbilden können.

Die Stimmung geht aber in die entgegengesetzte Richtung: Die Zuwanderung soll begrenzt werden…

Kramer Wir wollen die Zuwanderung von Menschen begrenzen, die den Ansprüchen unseres Arbeitsmarktes nicht genügen und keine Chance auf Asyl haben. Das müssen wir schon auseinander halten: Die Aufnahme von Flüchtlinge aus humanitären Gründen ist eine gesamteuropäische Aufgabe, zu der wir uns auch bekennen. Die Zukunftssicherung durch Anwerbung von Fachkräften und jungen Auszubildenden ist eine nationale Aufgabe für die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

Die Unterhändler von Union und SPD beraten darüber, ob es eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer geben soll. Wäre das verschmerzbar?

Kramer Ich bin ein großer Anhänger der paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems. Ich befürworte das sehr. Dann müssen wir aber auch die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einbeziehen, die die Arbeitgeber heute alleine tragen. Sie macht pro Jahr mehr als 50 Milliarden Euro aus, was 3,9 Beitragssatzpunkten entspricht. An den Zahlen kann man ablesen, dass wir als Arbeitgeber schon heute mehr als die Hälfte der Krankheitskosten tragen. Man kann nicht von einer paritätischen Finanzierung sprechen, wenn es nur um den Beitragssatz geht. Zentraler Punkt ist, dass bei den Sozialbeiträgen die Grenze von 40 Prozent Belastung des Brutto-Einkommens auch in Zukunft nicht überschritten wird. Das ist meine feste Erwartung an eine zukünftige Regierung.

Die Arbeitgeber wollen eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, bei dem die Wochenarbeitszeit betrachtet wird. Besteht nicht die Gefahr, dass das am Ende auf längere Arbeitszeiten für die Arbeitnehmer hinausläuft?

Kramer Nein. Wir wollen keine Arbeitszeitverlängerung.

Sie fordern eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, bei dem nur noch die Wochenarbeitszeit betrachtet wird. Geht es Ihnen nicht in Wahrheit um die Legitimation von Mehrarbeit?

Kramer Nein. Die gesetzlichen Arbeitszeitregeln sind nicht mehr zeitgemäß. Die Arbeitnehmer arbeiten aber nicht mehr, sie arbeiten anders. Unternehmen und Beschäftigte müssen heute die Möglichkeit haben, Arbeitszeiten gemäß den EU-Regelungen flexibler innerhalb eines Wochenrahmens zu vereinbaren - ohne die Arbeitszeit insgesamt auszudehnen. Dafür können sie in einer Woche jeden Tag die gleiche Stundenzahl arbeiten oder aber die Wochenarbeitszeit stärker nach Bedarf verteilen. Diese Möglichkeiten werden durch das heute geltende Recht eingegrenzt, weil es Tageshöchstarbeitszeit und eine Grenze von mindestens elf Stunden Ruhezeit zwischen zwei Arbeitseinsätzen gibt. Die betriebliche Wirklichkeit ist heute schon anders als die Gesetzeslage. Mir geht es darum, die Gesetzeslage den Bedürfnissen einer modernen Arbeitswelt anzupassen.

Die IG Metall fordert im Tarifkonflikt befristete Arbeitszeitverkürzungen auf 28 Stunden pro Woche bei teilweisem Lohnausgleich für Mitarbeiter, die Kinder erziehen oder Eltern pflegen. Ist das realistisch?

Kramer Ich kann doch nicht sagen: Wer weniger arbeitet, kriegt dafür auch noch vom Arbeitgeber einen finanziellen Ausgleich. Es würde in einem Unternehmen den Betriebsfrieden stören, wenn einzelne Mitarbeiter ihre Arbeitszeit verkürzen können, dafür einen Lohnausgleich erhalten, während die Kollegen die Arbeit übernehmen müssen, aber nicht mehr Geld gezahlt bekommen. Ich möchte einen solchen Betrieb jedenfalls nicht leiten, der diese Konflikte aushalten soll. In kleineren und mittelständischen Betrieben sind solche Regelungen undenkbar. Auch durch die Ungleichbehandlung zu anderen Teilzeitlösungen ist dieser Ansatz schon rechtlich fragwürdig.

Union und SPD verhandeln auch über die Anhebung des Spitzensteuersatzes. Welches Signal würde davon für die Wirtschaft ausgehen?

Kramer Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes würde die weit überwiegende Mehrzahl der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland treffen: Diese sind als Personengesellschaften geführt und deshalb einkommensteuerpflichtig. Die deutsche Wirtschaft erwartet in Zeiten höchster Steuereinnahmen, dass die Spielräume genutzt werden, um Steuern zu senken, anstatt Unternehmenssteuern zu erhöhen.

Das Gespräch führten Birgit Marschall und Eva Quadbeck.

(mar, qua)
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