Interview mit Günter Wältermann "Alle Kassen müssen Zusatzbeitrag nehmen"

Düsseldorf · Der Chef der AOK Rheinland, Günter Wältermann, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Folgen der Finanzreform 2015 und 10.000 überflüssige Krankenhaus-Betten in NRW.

  Günter Wältermann ist seit Juli 2012 Vorsitzender des Vorstands der AOK Rheinland/Hamburg.

Günter Wältermann ist seit Juli 2012 Vorsitzender des Vorstands der AOK Rheinland/Hamburg.

Foto: BErnd Schaller

Die gesetzliche Krankenversicherung sitzt derzeit auf einem Milliarden-Polster. Wie sieht es bei der AOK Rheinland/Hamburg aus?

Wältermann Dieses Polster wird schnell schrumpfen. Wir haben im ersten Halbjahr ein Minus gemacht, doch für das Gesamtjahr gehen wir von einem ausgeglichenen Ergebnis aus. Grund für das Minus ist unter anderem der kräftige Anstieg unserer Arzneiausgaben, die durch Sovaldi, ein neues Medikament gegen Hepatitis C, bewirkt wurde. Was nicht missverstanden werden darf: Wir treten nicht für Einschränkungen für neuartige Medikamente ein, aber die Preisgestaltung muss angemessen sein.

Ein Medikament wirkt sich so stark aus?

Wältermann Der Hersteller Gilead hat Sovaldi zu einem ungeheuren Preis in den Markt gedrückt: Für eine Behandlung verlangt er 60 000 bis 120 000 Euro. Bei 6000 Hepatitis-C-Patienten in NRW kommen da enorme Kosten zusammen. Wir verstehen, dass innovative Pharma-Unternehmen Gewinnmargen brauchen, eine Umsatzrendite von 50 Prozent, die aus Versichertengeldern erwirtschaftet wird, ist aber nicht akzeptabel. Gegen eine solche Preisgestaltung muss der Gesetzgeber vorgehen, da damit das Finanzierungssystem der GKV an seine Grenzen kommt. Zumal es keinen finanziellen Ausgleich für Krankenkassen gibt, die besonders viele Hepatitis-C-Patienten haben.

2015 tritt die Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft. Dann fällt der Sonderbeitrag von 0,9 Prozent weg, den Arbeitnehmer bisher alleine zahlen. Kommen Sie mit dem paritätisch finanzierten Beitrag von 14,6 Prozent aus oder brauchen Sie einen Zusatzbeitrag?

Wältermann Wir werden 2015 mit den 14,6 Prozent nicht auskommen, sondern wie wohl jede andere Krankenkasse auch einen Zusatzbeitrag brauchen. Wie hoch der ausfällt, hängt von der Entwicklung der Konjunktur und Beitragseinnahmen sowie der Ausgabendynamik ab. Entscheidend ist der Grundlagenbescheid des Bundesversicherungsamtes, der den Krankenkassen die Zuweisungen für 2015 bekannt gibt. Insgesamt soll es für Mitglieder der AOK Rheinland/Hamburg nicht teurer werden als bisher. Das heißt, höher als 0,9 Prozent wird der Zusatzbeitrag voraussichtlich nicht sein. Den endgültigen Beschluss über die Höhe des Zusatzbeitrages trifft unser Verwaltungsrat am 15.12.2014. Gesundheit ist unser höchstes Gut, und es kommt daher nicht nur auf den Preis, sondern das Preisleistungsverhältnis an. Die Gesundheitsversorgungskompetenz und die Erreichbarkeit in der Region sind entscheidend. Im Fall der Fälle braucht man eine Hand, die einem hilft, also einen kompetenten Ansprechpartner vor Ort, der die Angebotsstruktur kennt. Dabei nimmt dir AOK Rheinland/Hamburg als größte Krankenkasse in NRW ihre Verantwortung wahr.

Wird es denn 2015 Kassen geben, die es ohne Zusatzbeiträge schaffen?

Wältermann Das erwarte ich nicht. Auch Krankenkassen, die 2014 Prämien zurückgezahlt haben, werden den Wegfall des Sonderbeitrags spüren. Wenn sie nicht an den Leistungen sparen wollen, werden alle Kassen einen Zusatzbeitrag nehmen müssen.

Was halten Sie davon, dass Krankenkassen, die einen Zusatzbeitrag nehmen müssen, ihre Mitglieder auf günstigere Konkurrenten hinweisen müssen?

Wältermann Gegen Transparenz ist nichts einzuwenden. Alle Krankenkassen, deren Zusatzbeitrag über dem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz liegt, müssen ihre Kunden darauf hinweisen, dass es günstigere Alternativen gibt. Allerdings müssen alle Kunden der gesetzlichen Krankenversicherungen über den Zusatzbeitragssatz per Brief informiert werden. Das ist eine unnötige, bürokratische Regelung. Allein die AOK Rheinland/Hamburg kosten diese Briefe zwei Millionen Euro, die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt wird mit 50 Millionen belastet. Dieses Geld würde ich lieber in die Versorgung stecken.

Zu den Kostentreibern zählen niedergelassene Ärzte. Diese haben jüngst ein Honorarplus von 800 Millionen Euro herausgeholt. Ist das zu viel?

Wältermann Das ist ein anspruchsvoller Abschluss, der an der Grenze des Machbaren liegt. Allein die AOK Rheinland/Hamburg kostet der Abschluss 32 Millionen Euro zusätzlich im Jahr. Im Gegenzug erwarte ich von den Ärzten, dass sie ihr Wartezeit-Management verbessern. Kein Patient darf mehr Monate lang auf einen Termin warten müssen.

2015 soll die gesetzlich verordnete Termingarantie kommen. Wie soll der Gesetzgeber sie formulieren?

Wältermann Der Gesetzgeber sollte die Fachärzte verpflichten, jedem Patienten binnen vier Wochen einen Termin zu geben. Das muss auch für Radiologen, Kardiologen, Orthopäden und Psychotherapeuten gelten, bei denen derzeit die Wartezeiten besonders lang sind. Sicherstellen muss die Kassenärztliche Vereinigung die Termine.

Welche Sanktionen sollte der Gesetzgeber vorsehen?

Wältermann Sanktionen muss es nicht geben, damit die Termingarantie greift. Im Gespräch ist eine durchaus vernünftige Regelung: Wer nicht rechtzeitig einen Termin bekommt, soll das Recht haben, sich in einer Klinik ambulant behandeln zu lassen. Die Kosten sollen vom Honorartopf für niedergelassene Ärzte abgezogen werden.

Heiß diskutiert wird die Klinikreform. Was muss sich hier ändern?

Wältermann Um die Qualität der Versorgung zu verbessern, brauchen wir für mehr Operationen als bisher Qualitätsanforderungen, die krankenhausplanerisch definiert sind. Es darf nicht sein, dass jedes kleine Krankenhaus Herzkatheter-Untersuchungen durchführt — das sollte man erfahrenen Ärzten überlassen. Die Kliniken müssen sich spezialisieren, gerade auch in komplexen Bereichen wie der Onkologie.

Mehr Spezialisierung heißt aber auch längere Anfahrtswege für Patienten. Was ist zumutbar?

Wältermann Wenn Patienten wissen, dass sie in gute Hände kommen, sind sie auch heute schon bereit, für eine planbare Operation weiter zu fahren. Für Notfälle muss und wird es natürlich weiterhin ein ortsnahes Versorgungsnetz geben.

Hat NRW weiterhin zu viele Krankenhaus-Betten?

Wältermann Im Länder-Vergleich schneidet NRW schlecht ab: Die Zahl der Krankenhausbetten je 1000 Einwohner und die Verweildauer der Patienten liegen über dem Durchschnitt. Folglich sind nur unterdurchschnittliche 76 Prozent der Betten ausgelastet. Regional auffällige Mengenentwicklungen bei Operationen sind erklärungsbedürftig. Letztlich hat NRW mit seinen rund 125 000 Betten noch immer 10 000 zu viel. Wir benötigen dringend wirkliche strukturelle Veränderungen, vor allem auch im Sinne einer Kompetenzbündelung und damit verbundenen Qualitätsverbesserung.

Von einem Betten-Abbau will die Landesregierung aber nichts wissen.

Wältermann Das ist bedauerlich. Zu viele Betten binden unnötig Mittel. Wir helfen allen Patienten, wenn wir die knappen Mittel auf die besten Häuser konzentrieren. Wie gesagt: Wir treten für eine stärkere Spezialisierung der Häuser ein, in Verbindung mit dem Grundsatz: Ambulante vor stationärer Behandlung. Generell sollten die Patienten mehr Informationen über das Gesundheitssystem bekommen und mehr Auswahlmöglichkeiten nutzen. Das bieten wir als AOK Rheinland/Hamburg unseren Versicherten schon seit längerem an, und wir werden unsere Angebote ausbauen — Hinweise über die Qualität der medizinischen Versorgung und Zusatzbetreuung, aber auch Angebote für eine gesunde Lebensweise. Also, wenn Sie so wollen, die Gesundheitskompetenz der Menschen stärken.

Was ist mit den früher angedachten Fusionsplänen zwischen den AOKn in Rheinland und Westfalen?

Wältermann Das ist kein Thema mehr. Wir haben mit der AOK Hamburg fusioniert , die Westfalen mittlerweile mit der AOK Schleswig-Holstein. Nun haben wir beide eine gute und wettbewerbsfähige Größe erreicht. Eine Fusion der beiden großen Kassen würde unglaublich viel Energie binden, ohne uns oder den Beitragszahlern zu nutzen.

(anh)
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